MEDIENWENDE NACH KACZYNSKI
Nach der Wahlniederlage Jaroslaw Kaczynskis werden die polnischen Medien plötzlich liberal - und entdecken EuropaIn Polen passieren dieser Tage erstaunliche Dinge: Wie von Geisterhand bewegt, hat sich die Berichterstattung in den großen Medien des Landes durch den politischen Machtwechsel in Warschau verändert. Denn seitdem der nationalkonservative ehemalige Premierminister Jaroslaw Kaczynski und seine Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) die Parlamentswahlen Ende Oktober deutlich gegen die liberalkonservative "Bürgerplattform" (PO) verloren haben, gehen auch die Medien mit der neuen Mehrheit. Vor der ersten Regierungserklärung des neuen Premiers Donald Tusk Ende November bekannte die Nachrichtensprecherin des öffentlich-rechtlichen Fernsehkanals TVP-Info, dass "der freundliche Umgang, den Tusk mit uns Journalisten pflegt, sehr sympathisch ist". Aus diesen Worten klang gleichsam eine Botschaft der Erleichterung: Über das Ende der Ära Kaczynski. Der frühere Premier hatte anders denkende Journalisten gleichsam als Staatsfeinde behandelt - auch in unangenehmen persönlichen Gesprächen. Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen war Kaczynski zu Beginn seiner Ära vor zwei Jahren zielgerichtet gegen liberale Redakteure vorgegangen, um den Sender auf Regierungslinie zu bringen. Mit Erfolg. Kaczynskis Medienverständnis war "ein vordemokratisches", wie es Clemens Schöll auf den Punkt bringt, dessen Berliner Initiative "Medien - Mittler zwischen den Völkern" seit Jahren den Austausch zwischen deutschen und polnischen Redaktionen fördert. Und die Organisation "Reporter ohne Grenzen" schrieb im Sommer dieses Jahres gar einen offenen Brief an die polnischen Medien, um an die Grundlagen der Pressefreiheit zu erinnern. Viele der Journalisten sahen sich davon allerdings in ihrer patriotischen Ehre verletzt. Aber nun ist die Wende da.Vor allem die konservativen Blätter des deutschen Axel Springer Verlags, dem Marktführer in Polen, fügen sich nun der neuen Regierungsmehrheit. Früher hatte Springer in Polen ganz in der Linie der Kaczynski-Partei deutschfeindliche Ressentiments gepflegt. Aus wirtschaftlichem Kalkül, denn vor allem ältere Polen sehen in Deutschland noch immer eine Bedrohung. Heute darf sich dagegen der von Kaczynski aus dem Amt gedrängte ehemalige Außenminister Adam Rotfeld in Springers Boulevardblatt "Fakt" über den "neuen Ton in der Außenpolitik gegenüber unseren Partnern in der NATO und der EU, sowie gegenüber unseren Nachbarn" freuen. Und das in einem Gastkommentar auf Seite zwei, wo bislang Kaczynskis publizistische Scharfmacher gegen Berlin, Brüssel und Moskau wetterten. Auf derselben Seite schreibt nun gar der bekannte liberale Fernsehjournalist Tomasz Lis den Hauptkommentar über die Regierungserklärung. Bislang galt er bei "Fakt" bloß als Quotenliberaler. Inzwischen wird er sogar bei der zweiten Springer-Zeitung, dem "Dziennik", als neuer Chefredakteur gehandelt.
Polnischer Ministerptäsident Tusk
Jan ZappnerBislang galten die journalistischen Leiter des "Dziennik" als scharfe Gegner eines liberalen Gesellschaftsentwurfs, wie er in Westeuropa üblich ist. Nun dominiert in dem Blatt das Thema Europa. Da ist auf der Titelseite von einer "Europäischen Offensive" die Rede, und Polen wird als "eines der ersten Länder" gefeiert, die den Reformvertrag der EU ratifizieren werden. Politische Beobachter in Warschau sehen darin eine opportunistische Strategie des Branchenführers, der ganz einfach mit dem Trend geht. Zumal die Auflage des "Dziennik" in den vergangenen Monaten stark rückläufig war und nun die pro-europäische Jugend in Polen das Land verändert.Cezar Michalski, Stellvertrender Chefredakteur des "Dziennik" und zeitgleich Hauptunterstützer von Kaczynskis restaurativer "IV.Republik", begegnet dem Vorwurf der Parteinahme beziehungsweise der angeblichen "Reorientierung" (so heißt das in Polen) so: In seiner Zeitung seien sämtliche politische Parteien stets gleichmäßig kritisiert worden. "Daher kann nun auch nicht die Rede von einem Wechsel der Fronten sein." Wer aber regelmäßig den "Dziennik" liest, weiß, dass beides nicht stimmt. Bislang spielten stets Themen rund um das polnische Nationalgefühl und um das nationale Gedenken eine große Rolle - also Vergangenes. Stattdessen erscheint heute schon mal ein Text über ein elektronisches Buch auf der ersten Seite, es geht um neue Straßen oder um den Alltag berufstätiger Mütter: Also um jene Themen, die das moderne Polen tatsächlich beschäftigen. Der geschiedene Premier Kaczynski hatte für so etwas wenig Platz in seiner Politik.Sogar das sehr konservative Wochenmagazin "Wprost" entdeckte nun den Wert des Regierungswechsels: "Tusks Heimkehrer" heißt dort eine Geschichte über junge Polen, die aus der Arbeitsimmigration in Großbritannien zurückkehren - angeblich wegen des Machtwechsels in der Heimat. Fiel "Wprost" zuletzt durch Thesen auf, wie einer deutschen Medienverschwörung gegen Polen oder politischer Spitzen gegen Berlin aus der Feder von Mariusz Muszynski, der in seiner Zeit als Deutschlandbeauftragter Kaczynskis den deutsch-polnischen Beziehungen mehr geschadet als genützt hat. So will das Magazin nun ein "neues Kapitel der deutsch-polnischen Beziehungen aufschlagen": Statt eines Zentrums gegen Vertreibung in Berlin - das in Polen sehr kritische gesehen wird - will "Wprost" nun ein Museum der "Aussöhnung" errichtet sehen: Auf der deutsch-polnischen Grenze bei Stettin soll sowohl an deutsche als auch an polnische Vertriebene erinnert werden. Zur Unterstützung bemüht "Wprost" deutsche Zeugen wie den Publizisten Arnulf Baring, der das als "interessanten Gedanken" bezeichnet.In Anlehnung an Tusks Plan, schon bald die polnischen Truppen aus dem Irak abzuziehen, stellt das angesehene Nachrichtenmagazin "Polityka" die berechtigte Titelfrage: "Was machen wir eigentlich dort?". Vor wenigen Wochen noch wäre die "Polityka" wegen dieses Titels das Opfer von Kaczynskis Medieninquisition geworden; er hätte das Magazin ganz sicher als "unpatriotisch" gescholten. In Polen ist das ein Totschlagargument.Doch die Zeiten haben sich fundamental geändert. So darf sogar der ehemalige polnische Fußballnationalspieler und Beschäftigte von Schalke 04, Tomasz Waldoch, Deutschland im "Dziennik" zum Titelfavoriten für die Europameisterschaft im kommenden Jahr küren: Als offizielle Redaktionsempfehlung. Demnach würde Polen spätestens im Viertelfinale ausscheiden.ENDE