Moore sollen Klima retten
Europaweit einmaliges Projekt auf mehr als 500.000 HektarWeißrusslands Ruf in der westlichen Welt ist schlecht: Politisch ist das Land des Präsidenten Alexander Lukaschenko weitgehend isoliert, vielen gilt es nicht ohne Grund als letzte Diktatur Europas. Anerkennung findet Weißrussland jedoch für sein Engagement im Naturschutz - und das womöglich in Zukunft mehr denn je. Denn weißrussische Moorökologen planen mit Unterstützung westlicher Wissenschaftler und Geldgeber ab dem kommenden Jahr, eine Moorfläche von insgesamt 262.000 Hektar zu vernässen, 240.000 weitere Hektar sollen später hinzukommen. Ziel des gigantischen Projektes ist nicht nur der Erhalt seltener Tier- und Pflanzenarten, sondern auch der Schutz des globalen Klimas - schließlich gelten Moore als ideale Kohlenstoffdioxidspeicher. "Im Westen wäre ein Projekt in dieser Dimension nicht zu finanzieren", sagt einer der Projektkoordinatoren, der Deutsche Norbert Schäffer von der Königlichen Gesellschaft für Vogelschutz aus Großbritannien. In Weißrussland seien die Voraussetzungen für ein solches Projekt hingegen sehr günstig, da sich fast alle Renaturierungsflächen in staatlichem Besitz befinden. Das macht das internationale Großprojekt finanziell erschwinglich. 62.000 Dollar kostet es, 1.000 Hektar Moorlandschaft zu vernässen und zu pflegen. Dies ergab jüngst eine von der Michael-Otto-Stiftung finanzierte Machbarkeitsstudie. Kalkulierte Kosten für das gesamte Projekt: rund 16 Millionen US-Dollar. "Das klingt zunächst nach viel Geld, ist aber für diese enorme Fläche effektiver Naturschutz", sagt Schäffer. Und da das weißrussische Ministerium für Naturressourcen und Umweltschutz sich erst im Sommer auf einer internationalen Tagung in Minsk erneut dafür aussprach, die heimischen Niedermoore wieder zu vernässen, bastelt Schäffer derzeit fleißig daran, das Vorhaben zu finanzieren.
Moorlandschaft Osveyskoe
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Dabei setzt er auf den internationalen Emissionshandel und das freiwillige Engagement umweltbewusster Personen und Unternehmen. "Wenn Privatpersonen oder Firmen die von ihnen verursachten Kohlenstoffemissionen zum Beispiel bei Flügen kompensieren möchten, sollen sie in Zukunft die entsprechenden Kohlenstoff-Äquivalente von unserem Projekt kaufen können", sagt Schäffer. Mit den Erlösen wollen die Wissenschaftler dann die Moore renaturieren. Noch dürfen Kohlendioxidanteile, die man aus der Vernässung von Niedermooren gewinnen könnte, nicht über das Kyoto-Protokoll gehandelt werden. Doch dies, so hofft Schäffer, werde sich ab 2012 ändern. Weißrussische Wissenschaftler schätzen, dass jeder Hektar trockengelegtes Moor jährlich mehr als zehn Tonnen Kohlendioxid freisetzt. Verursacher sind die alten Entwässerungssysteme aus Sowjetzeiten, durch die viele Torfflächen trocken fallen. Die Folge: Der Torf mineralisiert, große Mengen Kohlendioxid geraten in die Atmosphäre. Profitieren soll von der Renaturierung der Moore auch die lokale Bevölkerung. "Die Feuchtigkeit wird Torffeuer verhindern, die landesweit jedes Jahr auf vielen tausend Hektar der zerstörten Moore brennen", sagt Aleksandr Kozulin, wissenschaftlicher Projektkoordinator und Zoologe an der weißrussischen Akademie der Wissenschaften in Minsk. Die Brände seien nicht nur wegen des Rauchs und des frei werdenden Kohlendioxids ein ökologisches Problem, sondern auch wegen der Strahlenbelastung: Sie setzen radioaktive Materialien frei, die seit der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986 in den Mooren gebunden waren.
Moorlandschaft Obolskoe
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Was die Biologen nun im großen Stil planen, ist in einem anderen Moorprojekt in Weißrussland schon Realität. Seit Herbst 2004 werden auf einer Gesamtfläche von 42.000 Hektar bereits 17 Moorgebiete im Land vernässt. Das kostet mehr als drei Millionen Dollar die die Regierung Weißrusslands, das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen und Nicht-Regierungsorganisationen gemeinsam aufbringen. "Ein europaweit einmaliges Projekt", urteilt Michael Succow, Moorforscher der Universität Greifswald und Träger des Alternativen Nobelpreises. Im Vergleich dazu fallen deutsche Vorhaben bescheiden aus. In Mecklenburg-Vorpommern, dem Vorreiter der Moor-Renaturierung in Deutschland, sind laut Succow in den vergangenen acht Jahren lediglich rund 12.000 Hektar vernässt worden. Für weißrussische Verhältnisse sind 42.000 Hektar Moorfläche allerdings ein Klacks. Mehr als 29.000 Quadratkilometer und damit rund 14 Prozent der Fläche Weißrusslands waren ursprünglich Moore. Ab den 1950er Jahren setzten in der Sowjetunion die gigantischen, vom Moskauer Institut für Melioration und Wasserwirtschaft durchgeführten Moormeliorationen ein. In einem "gewaltigen Moorvernichtungsprogramm", so Succow, wurden in Weißrussland bis in die 90er Jahre hinein Feuchtlandschaften drainiert. Gräben entwässerten die Feuchtflächen, auf denen danach zumeist Ackerbau betrieben oder aufgeforstet wurde. Zudem wurde Torf abgebaut, der dann auf den trockenen und sandigen Ackerböden als Dünger ausgebracht wurde. Doch auch diese Stickstoffzufuhr half nichts: "Die Böden waren spätestens nach sieben Jahren nicht mehr fruchtbar", sagt Wissenschaftler Kozulin. Auch für die Forstwirtschaft seien die Böden zu schwach gewesen. Das Trockenlegen der Moore schädigte viele Tiere und Pflanzen. Elf Pflanzenarten verschwanden, Vögel wie Schelladler und Wachtelkönig, Doppelschnepfe oder Seggenrohrsänger verloren ihre Lebensräume. Insgesamt fielen der Melioration in Weißrussland bis in die 90er Jahre 46 Prozent der Moore zum Opfer. Erst der Zerfall der Sowjetunion zu Beginn der 1990er Jahre setzte den Entwässerungsmaßnahmen ein Ende, so dass Moore heute noch rund 6,4 Prozent der Fläche Weißrusslands bedecken. Darunter sind eine Reihe international bedeutender Schutzreservate wie etwa die Pripjat-Aue. Sie sind Heimat für viele Tier- und Pflanzenarten, die man in Deutschland nur noch selten antrifft. Unter anderem leben dort 60 Prozent aller Seggenrohrsänger der Welt, in Deutschland kommt der Vogel hingegen nur noch an der Oder vor. Einen Strich durch die Rechnung der weißrussischen Wissenschaftler könnte in Zukunft allerdings der russische Präsident Wladimir Putin machen. Weil das staatlich kontrollierte Unternehmen Gazprom seit Anfang des Jahres auch vom kleinen Bruderstaat Weißrussland Öl und Gas zu Preisen fast auf Weltmarktniveau verlangt, fürchten manche Naturschützer, dass Weißrussland wieder auf Torf als Brennmaterial umsteigt. Das wäre fatal für die weißrussichen Moore und nach Meinung von Succow "kontraproduktiv", weil bei Torfbriketts die Energieausbeutung gering, die Kohlendioxidbelastung dagegen enorm ist. Projektkoordinator Norbert Schäffer ist fest entschlossen, sich auch durch die Politik nicht von seinem Weg abbringen zu lassen. "Wenn es gelingt, das Projekt im gesamten Umfang durchzusetzen, wird die Freisetzung einer Menge von Kohlendioxid verhindert, die in ihrer Größenordnung dem Kohlendioxidausstoß aller Haushalte der Stadt Hamburg entspricht", sagt Schäffer.ENDE