Pen-Club zeichnet Hrant Dink aus
Dunkle Wolken verdichten sich über der armenisch-türkischen Wochenzeitung Agos, nachdem ihr Herausgeber, der armenische Journalist Hrant Dink, am 19. Januar auf offener Strasse vor dem Redaktionsgebäude erschossen wurde. Vor zwei Wochen wurden zudem der jetzige Herausgeber, Sarkis Seropyan, und der neue Chefredakteur, Hrant Dinks Sohn Arat, zu einem Jahr Gefängnis auf Bewährung verurteilt. Die beiden haben die Veröffentlichung eines Interviews zu verantworten, das Hrant Dink im Juli 2006 der Nachrichtenagentur Reuters gab. Darin bejaht er die Frage, ob am Rande des ersten Weltkrieges ein Völkermord an den Armeniern begangen worden sei. Wegen dieser Äußerung drohte Hrant Dink vor seiner Ermordung eine Haftstrafe. Im Oktober 2005 war eine erste Klage gegen ihn wegen "Beleidigung des Türkentums" mit sechs Monaten Haft auf Bewährung ausgesetzt worden. Diese Verurteilung hatte eine landesweite Hetzkampagne gegen den Journalisten und Schriftsteller ausgelöst, der sich für den armenisch-türkischen Dialog einsetzt.
Ogün Samast hat zugegeben, Hrant Dink mit drei Schüssen in Kopf und Genick getötet zu haben. Als Motiv seiner Tat gibt er an, Dink hätte behauptet: "Die Türken haben schmutziges Blut." Tatsächlich hatte der Journalist sich in einem Artikel ganz im Gegenteil von unreflektierten Vorurteilen gegen die Türken distanziert und sinngemäß in einem Leitartikel gefordert, die Armenier sollten sich endlich von dem Türkenhass befreien, der ihr Blut vergifte. Diese Blutrhetorik wurde unzählige Male aus dem Zusammenhang gerissen und von einer Fraktion ultranationalistischer Anwälte als Beleidigung der Reinheit des türkischen Blutes interpretiert.
Hrant Dink wurde am 19. Januar 2007 ermordet. / Sabine Küper-Büsch, n-ost
Trotz eines linguistischen Gutachtens, das dem Artikel semantisch nichts
Beleidigendes entnehmen konnte, folgte das Gericht der Argumentation
der Nationalisten und sprach Dink schuldig. In seinem letzten Artikel,
der am 19. Januar, dem Tag seiner Ermordung, erschien, rekapituliert der
über das Urteil zutiefst betroffene Journalist: "Ich fühle mich wie
eine furchtsame Taube, die sich stets nach Gefahren umblicken muss."Die
türkische Öffentlichkeit war tief erschüttert, als nach Hrant Dinks Tod
eine Kette von komplotthaften Ungereimtheiten ans Tageslicht kam. So
stammt Dinks Mörder aus einem von der Polizei seit Monaten beobachteten
militanten nationalistischen Umfeld aus Trabzon an der Schwarzmeerküste.
Ein in die Szene eingeschleuster Polizeispitzel hatte die Polizei 17
Mal vor einem geplanten Mordanschlag auf den prominenten Journalisten
gewarnt. Von Trabzon über Ankara bis Istanbul waren die
Sicherheitskräfte informiert worden - doch nichts geschah.
In seinen letzten Artikeln hatte Dink gewagt, den Geheimdienst offen zu beschuldigen, ihn bedroht zu haben. So hätten ihn zwei Agenten kurz vor Eröffnung des ersten Verfahrens unter Druck gesetzt und gemahnt, er solle die Gefahren bedenken, die seine Publikationen mit sich brächten. Hrant Dinks Anwältin, Fethiye Cetin, ist Nebenklägerin im Prozess gegen den Mordverdächtigen und seine mutmaßlichen Hintermänner. Sie beklagt schwere Verfahrensfehler und befürchtet, die wahren Hintergründe der Tat sollten verschleiert werden. Cetin kann zum Beispiel die Aussage des Polizei-Informanten Erhan Tuncel nicht einsehen, weil das Gericht die Akte zurückhält. Die Tonbandaufnahme eines Gespräches Tuncels mit einem Trabzoner Polizisten nach dem Mord zeigt deutlich, dass der Beamte über die Tat und ihre Hintergründe informiert war. Sie ist plötzlich verschwunden, genau wie die Videoaufnahmen der Bank, vor der Dink erschossen wurde. Vorhanden sind nur noch die Ausschnitte, auf denen zu sehen ist, wie der Attentäter flieht. Der Mord und die Minuten davor wurden gelöscht. Zeugen hatten von einem zweiten Täter berichtet, doch es ist fraglich, ob dieser nun jemals ermittelt werden kann. "Ich fürchte, dass kein Interesse an der kompletten Aufklärung besteht", seufzt Anwältin Fethiye Cetin.
Skandalös ist ebenfalls, dass die Ermittlungen im Polizeiapparat wegen "mangelnder Notwendigkeit" inzwischen komplett eingestellt wurden. Nach Ogün Samasts Verhaftung hatten Sicherheitskräfte für Erinnerungsphotos Arm in Arm mit dem Tatverdächtigen vor einer türkischen Fahne posiert. Ein Disziplinarverfahren wurde nur gegen den Kommissar Ibrahim Firat eingeleitet, der die mit einer Handykamera gefilmten Aufnahmen der türkischen Presse zuspielte und damit die jetzt eingestellten Ermittlungen im Polizeiapparat auslöste.