Kosovo

Bizarre Unterstützer im Wahlkampf

Beim Kampf um Wählerstimmen scheint den Parteien im Kosovo derzeit jedes Mittel recht. Die einen werben mit einem mutmaßlichen Kriegsverbrecher und  Untersuchungshäftling in Den Haag, die anderen mit dem verstorbenen Ex-Präsidenten. Auf Plakaten prangt hier PR-Zugpferd George W. Bush, dort der Präsidentenpalast im fernen Kasachstan. Einig sind sich die fast einhundert Gruppen, die am 17. November zur Wahl stehen, lediglich in einem Punkt: Sie alle fordern die Unabhängigkeit des Kosovo von Serbien.

1,46 Millionen Wahlberechtigte sind aufgerufen, ihre Stimme in den gleichzeitigen Parlaments-, Kommunal- und Bürgermeisterwahlen abzugeben.Schon Mitte September hatten sich die bevorstehenden Wahlen angekündigt, noch vor der Aufstellung der Kandidatenlisten. Dutzende Straßen in der Hauptstadt Pristina, die seit langem auf Sanierung warteten, wurden plötzlich aufgerissen und neu asphaltiert. Das marode Wasserversorgungssystem wurde verbessert. Mit einem neuen Pflaster aus chinesischem Granit wird nun der Mutter-Theresa-Boulevard, benannt nach der bekanntesten Albanerin der Welt, zur Fußgängerzone herausgeputzt.

Durch die Baustellen sind alle übrigen Straßen verstopft. Mitte Oktober hieß es in der kosovarischen Presse, die Asphaltvorräte seien erschöpft - die Straßensanierung kam vorübergehend zum Erliegen. Dafür wurden seit Ende Oktober im ganzen Land Wahlplakate geklebt und Fernsehspots geschaltet. Das zentrale Programm aller albanischen Parteien lautet übereinstimmend: Unabhängigkeit des Kosovo von Serbien. Andere politische Inhalte sind in diesem Wahlkampf kein Thema, die drängenden Probleme Arbeitslosigkeit, Korruption, mangelnde Infrastruktur und wirtschaftliche Entwicklung kann man schließlich auch nach den Wahlen noch diskutieren.

Die Parteien im Kosovo sind eher als Netzwerke im Umkreis politischer Schlüsselfiguren zu verstehen. So werben sie denn auch vor allem mit der Macht und dem Einfluss ihrer Politiker. "Werde Herr im eigenen Haus", wirbt zum Beispiel die Partei Ora. Ihr Vorsitzender, Veton Surroi, hat sich für das Wahlplakat mit dem US-amerikanischen Präsidenten George W. Bush ablichten lassen, um Rückendeckung durch die USA zu signalisieren.

Auch das Plakat der Rugova-Partei Demokratische Bewegung des Kosovo (LDK) zeigt kleine Fahnen der USA, der EU und der NATO unter dem Slogan "Auf dem rechten Weg". Daneben prangt das Porträt ihres Vorsitzenden, des ehemaligen kosovarischen Präsidenten Ibrahim Rugova. Auch wenn die LDK Umfragen zufolge ein knappes Drittel der Stimmen auf sich vereinigen könnte: Der als "Gandhi des Balkans" bekannt gewordene Rugova wird keinen politischen Einfluss mehr nehmen können, denn er ist im Januar 2006 verstorben. 

Gegenüber von Rugova prangt das optimistische Konterfei des ehemaligen kosovarischen Premierministers Ramush Haradinaj, der derzeit wegen Kriegsverbrechen vor dem UNO-Tribunal in Den Haag steht. "Mit Ramush als Premierminister schaffen wir es", versprechen unbeirrt seine Unterstützer von der Parteiengruppe Allianz für die Zukunft des Kosovo (AAK). Sie stellt derzeit zusammen mit der LDK die Regierung. Auch wenn UNO-Chefanklägerin Carla del Ponte die mögliche Wahl Haradinajs zum Premierminister als Katastrophe bezeichnet hat: der AAK-Vorsitzende übt selbst aus der Ferne erheblichen Einfluss auf die kosovarische Politik aus - nicht zuletzt mit Hilfe eines Fonds "für die Verteidigung vor Gericht", in dem nach Angaben der Anti-Korruptions-Organisation "Çohu" bisher etwa zwanzig Millionen Euro gesammelt wurden.

Die zweitgrößte Partei und derzeit wichtigste oppositionelle Kraft im Kosovo ist die Demokratische Partei (PDK) mit Hashim Thaçi an der Spitze. Sie kann Umfragen aus Pristina zufolge derzeit die meisten Stimmen - ein knappes Drittel - auf sich vereinigen. Am Einfallsreichtum ihrer Wahlslogans kann das allerdings nicht liegen: "Stolz auf das Kosovo", wirbt die Partei. Eine bessere Zukunft verspricht die Allianz Neues Kosovo (AKR), die erst 2006 gegründete Ein-Mann-Partei des albanischen Multimillionärs Behgjet Pacolli, des Eigentümers der Mabetex Group. Die allgegenwärtigen AKR-Plakate zeigen protzige neue Gebäude, vor allem in der neuen kasachischen Hauptstadt Astana. Dazu verzeichnen sie, wie viele kosovarische Arbeiter der Bauunternehmer Pacolli dort beschäftigt hat.

In den Umfragen hat die AKR in den letzten Monaten kräftig zugelegt. Dass Pacolli mit Großprojekten in Russland reich geworden ist und 1999 in den so genannten Kreml-Korruptionsskandal verwickelt war, hängt er im Kosovo nicht an die große Glocke, gilt doch Moskau - größter Bremser der Unabhängigkeitsforderungen im UN-Sicherheitsrat - im Kosovo als das große Feindbild. Für seine eigene Integrität wirbt der Parteivorsitzende und Geschäftsmann vielmehr mit dem schlichten Faustsatz: "Zu reich, um korrupt zu sein".

Die übrigen der insgesamt mehr als 7900 Kandidaten stellen sich ebenfalls mal mit mehr, mal mit weniger reiner Weste zur Wahl. Die kosovarische Organisation für Demokratie und gegen Korruption ging dem nach und listete Dutzende bekannter Namen in Verbindung mit zweifelhaften Geldgeschäften und anderen Vergehen auf. Daraufhin wurde sie mit Drohanrufen überschüttet. 96 Parteien und Gruppen stehen am 17. November zur Wahl. 

Die Wähler können ihre Stimme für eine Partei abgeben und zusätzlich bis zu zehn Kandidaten innerhalb der Parteiliste wählen. Dazu kommen die am selben Tag abgehaltenen Kommunal- und Bürgermeisterwahlen, für die gleichzeitig verschiedenfarbige Stimmzettel auszufüllen sind. Es ist ein neues, papieraufwändiges und nicht gerade unkompliziertes System. Vor allem, wenn man bedenkt, dass die Analphabetenrate bei Frauen im Kosovo bis zu 13 Prozent beträgt. 

Per Briefwahl können außerdem etwa 13.000 noch im Kosovo gemeldete Auslandskosovaren ihre Stimme abgeben, darunter viele aus Deutschland. Damit bei den Wahlen alles mit rechten Dingen zugeht, hat die OSZE 380 Wahlbeobachter entsandt. Viele gehören den ohnehin im Kosovo operierenden internationalen Organisationen an. Laut Statut ist eine ihrer wichtigsten Aufgaben, den Stimmwilligen im serbisch besiedelten Norden freien Zugang zu den Urnen zu garantieren - eine eher theoretische Aufgabe, denn mit einem großen Ansturm rechnet dort ohnehin niemand. 

Die Regierung in Belgrad hat die Kosovo-Serben zum Wahlboykott aufgerufen. Die meisten serbischen Kandidaten haben mittlerweile - unter Druck aus Belgrad - ihre Kandidatur zurückgezogen, die großen serbischen Parteien hatten sich gar nicht erst registrieren lassen. Die zehn Sitze des 120-köpfigen Parlaments, die serbischen Abgeordneten vorbehalten sind, werden also leer bleiben, genau wie nach den von den Serben boykottierten Wahlen von 2004. 

Auch die serbische Regierung in Belgrad weigert sich noch immer, die parlamentarische Versammlung des Kosovo anzuerkennen. Dabei ist das Parlament demokratisch legitimiert - im Unterschied zur UNO-Zivilverwaltung UNMIK, die seit dem Ende des Kosovo-Kriegs 1999 letztendlich sowohl die gesetzgebende als auch die ausführende Gewalt in ihren Händen hält. 

Derzeit findet unter Vermittlung der so genannten Kosovo-Troika aus Russland, den USA und der EU eine letzte Verhandlungsrunde zwischen Pristina und Belgrad statt. Am 10. Dezember sollen die Unterhändler UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon ihren Bericht vorlegen. Wesentliche Annäherungen erwartet von diesen Verhandlungen niemand mehr. Die USA haben ihre rasche Unterstützung angekündigt, falls Pristina nach dem Ende der Verhandlungen einseitig die Unabhängigkeit des Kosovo erklären sollte.

Die EU-Staaten konnten sich lange nicht auf eine gemeinsame Position einigen, Deutschland gilt aber als eines der Zugpferde bei der der Unterstützung der Unabhängigkeit. Nicht zuletzt dank des Einsatzes aus Berlin wird nun erwartet, dass sich die Kosovo-Skeptiker innerhalb der EU zumindest zu einer "konstruktiven Enthaltung" durchringen werden. So ist auch von der EU ein zumindest gedämpft grünes Licht für einen kosovarischen Staat zu erwarten.

Die Unabhängigkeitsbewegung Vetëvendosje (Selbstbestimmung), die vehement gegen die "Kolonialmacht UNMIK" kämpft, fordert unterdessen zu einer Enthaltung auf, die nur als destruktiv bezeichnet werden kann. Ihre Aktivisten haben Dutzende von roten Ampellichtern mit dem Aufkleber "Nicht wählen" überklebt. Statt Wahlen fordert Vetëvendosje ein Referendum für die Unabhängigkeit. Taxifahrer Fatlumi bleibt nicht länger als nötig an der roten Ampel mit diesem Aufkleber stehen. "Ich gehe auf jeden Fall wählen", sagt der 24-Jährige. Eigentlich glaube er nicht an Parlamente, die Politik werde ja doch woanders gemacht. "Aber immerhin werden vor den Wahlen die Straßen hergerichtet", sagt er. "Wenn es nach mir ginge, könnten alle sechs Monate Wahlen stattfinden."


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