Blutiges Ende der Demonstrationen in Tiflis
"Sie versuchen ins Studio einzubrechen." Fernsehsprecher Giorgi Targamadze bekam es mit der Angst. "Ich möchte sagen, dass "Imedi" immer das einzige Fenster war, durch welches ganz Georgien die Wahrheit sehen konnte." Während er sprach, hörte man es im Hintergrund Krachen. Dann gingen die Lichter aus und die Kamera wurde ausgeschaltet. Dramatische Stunden am Mittwoch Abend im georgischen Privat-Sender "Imedi". Sicherheitskräfte sollen den Fernseh-Journalisten Pistolen an die Köpfe gehalten haben. Die Ausrüstung des Senders, der dem Geschäftsmann Badri Patarkatsischwili gehört, sei zerstört worden.
Nach dem die Opposition sechs Tage lang ununterbrochen Kundgebungen vor dem Parlamentsgebäude abgehalten hatte, verhängt Präsident Michail Saakaschwili einen 15tägigen Ausnahmezustand. Nach 48 Stunden muss das Parlament den Notstand bestätigen. Dass Saakaschwili für den Schlag gegen die Opposition von den USA grünes Licht bekommen hat, steht für den stellvertretenden Leiter des Moskauer Instituts für GUS-Länder, Wladimir Scharichin, außer Frage. "Die Freunde von Saakaschwili auf der anderen Seite des Ozeans haben lange geschwankt und ihm schließlich die Erlaubnis gegeben ein georgischer Musharraf zu werden."
Tränengas gegen die Opposition / Alexander Kedelaschwili
Am Mittwoch hatten georgische Sicherheitskräfte unter Einsatz von Wasserwerfern, Gas- und Lärmgranaten eine Kundgebung der Opposition auf dem Rustaveli-Boulevard aufgelöst. Der Protest der Demonstranten richtete sich unter anderem gegen die von Saakaschwili selbstherrlich verkündete Verlegung der Parlamentswahlen vom Frühjahr auf den Herbst nächsten Jahres. Seit einiger Zeit schon berichten Menschenrechtler über Verletzungen der demokratischen Grundrechte. Die Weltbank hat Georgien zum Musterland von Wirtschaftsreformen gekürt, doch die Kluft zwischen Arm und Reich steigt und die Unzufriedenheit wächst.
Weiter angeheizt wurde die Krise durch die Inhaftierung und spätere Abschiebung des ehemaligen Verteidigungsministers Irakli Okruaschwili. Dieser hatte den georgischen Präsidenten beschuldigt, Mordpläne gegen Oppositionelle zu schmieden. Okruaschwili, wie Saakaschwili ein Falke, wenn es um den Konflikt mit Russland geht, befindet sich zur Zeit in München. Es war ein schwarzer Tag für Georgien. War es ein Zufall, dass es ausgerechnet auch der 90. Jahrestag der Oktoberrevolution war?
Saakaschwili erklärte in einer Fernsehansprache "ranghohe Mitarbeiter russischer Sondereinheiten" seien für die Unruhen in Tiflis verantwortlich. Der russische Geheimdienst sei zur Zeit "sehr aktiv" in Georgien. "Wir hatten im Voraus Informationen über einen Plan, wonach die georgische Regierung bis zum Ende des Jahres gestürzt werden sollte." Der georgische Präsident kündigte die Ausweisung von russischen Diplomaten an, die angeblich als Spione tätig waren.Die Reaktion aus Moskau folgte prompt. Der Vorsitzende der russischen Duma, Boris Gryslow, konterte in einer Stellungnahme vor der Presse in Moskau, die Politik der georgischen Führung werde schon seit einigen Jahren vom "amerikanischen Geheimdienst geleitet".
Der Sprecher des russischen Außenministeriums, Michail Kamynin, gab die Ausweisung von drei georgischen Diplomanten bekannt. Gründe nannte er nicht. Kamynin sagte, die georgische Führung sei "nicht in der Lage, die inneren Probleme zu lösen. Uns besorgt, was heute in Georgien mit den Menschenrechten passiert." Weiterhin erklärte der Duma-Vorsitzende: "Wenn nach der Auflösung der Demonstration mehr als 500 Menschen ins Krankenhaus eingeliefert werden, ist das schon Blutvergießen." Er hoffe, dass die Führung Georgiens, "zur Vernunft kommt" und "den Kampf gegen das eigene Volk beendet." Die USA riefen die georgische Führung auf, weitere Gewalt zu vermeiden. Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer erklärte, man verfolgte die Ereignisse "aufmerksam und mit Sorge". Der EU-Kommissar für Außen- und Sicherheitspolitik, Javier Solana, erklärte, die georgische Regierung müsse alle Maßnahmen einstellen, die zur Destabilisierung führten.
Schwer bewaffnet gegen die Demonstranten / Alexander Kedelaschwili
Was sich in den vergangenen Tagen auf dem Platz vor dem georgischen Parlament abspielte, wirkte martialisch und brutal. Die georgischen Sicherheitskräfte waren zum Teil schwarz maskiert oder trugen Gasmasken. Als das Gas eingesetzt wurde, brach unter den Demonstranten Panik aus. Die Menschen versuchten in Seitenstraßen zu fliehen. Polizisten in gelben Mänteln traten nach einem Mann, der schon am Boden lag und schlugen mit ihren Knüppeln auf ihn ein.
Mitglieder der georgischen Sondereinsatzgruppen, welche in die Hände der Demonstranten fielen, erging es nicht besser. Sie wurden zu Boden geworfen und mit Füßen traktiert. Nach Angaben des georgischen Gesundheitsministeriums wurden 508 Menschen verletzt. Unter den Verletzten waren auch mehrere russische Journalisten sowie Mitglieder der Sondereinsatzgruppen. Vertreter der Opposition fühlten sich an den 9. April 1989 erinnert. Damals hatte der sowjetische General Igor Rodionow Soldaten gegen Demonstranten eingesetzt. 20 Demonstranten wurden damals getötet.
Michail Saakaschwili sei zwar kein russischer General, aber er gehe den Weg von Igor Rodionow, erklärte Oppositionsführer Lewan Berdsenischwili gegenüber der Zeitung "Kommersant". In Tiflis blieb es gestern ruhig. Armee-Lastwagen blockierten die Straßen, die ins Zentrum führen. Es fuhren weniger Autos als üblich. Die Opposition hatte aus Sicherheitsgründen weitere Proteste abgesagt. Sprecher der Opposition erklärten, die Hälfte der Oppositionsführer werde noch vermisst. Das Bildungsministerium gab bekannt, dass Schulen und Universitäten bis Montag geschlossen bleiben.
Nur ein staatlicher Fernsehkanal sendete politische Nachrichten. Die beiden der Opposition nahe stenden Kanäle "Imedi" und "Kavkasia" wurden abgeschaltet. Andere Kanäle brachten nur ein Unterhaltungsprogramm. Die Zeitungen in Tiflis konnten allerdings erscheinen. Der Ansturm der Leser war groß. Die Mitarbeiter des Kreml-kritischen "Radio Echo Moskwy" schickten einen Offenen Brief an Saakaschwili, indem sie vor einem "Abrutschen in die Diktatur" warnten. Während des Putsches 1991 gegen Gorbatschow war "Radio Echo Moskwy" für die Russen die einzige kritische elektronische Nachrichtenquelle. Für die demokratischen Kräfte in Russland haben die Ereignisse in Georgien gravierende Folgen. Die russischen Medien versuchen seit Langem, Kritik am Kreml als von Außen gesteuert zu diffamieren.