Die Dornen der Rosenrevolution
Einst hat er sich mit Menschenrechten befasst und ist für sie eingetreten. Jetzt ist Michail Saakaschwili Präsident Georgiens und tritt eben diese Rechte mit Füßen. Als Volkstribun in Jeans und Lederjacke war der 39-Jährige 2003 an die Macht gekommen - nun zeigt er, dass die Rose, mit der er damals vor die Massen trat, schmerzhafte Dornen trägt.
Seit einer Woche versammeln sich vor dem georgischen Parlament in Tiflis Hunderttausende, die den Rücktritt von Präsidenten Saakaschwili und Neuwahlen im April fordern. 15 Demonstranten befinden sich im Hungerstreik. Viele wurden inzwischen festgenommen. Organisiert werden die Aktionen von einem zehn Parteien umfassenden Oppositionsbündnis, das Saakaschwili die Instrumentalisierung der Justiz, Amtsmissbrauch, einen autoritären Führungsstil sowie eine verfehlte Wirtschaftspolitik vorwirft.
"Die friedlichen Demonstrationen wurden mit brutaler Gewalt aufgelöst. Wir waren Zeugen der Ereignisse", sagt Nino Gvedashvili, Mitarbeiterin des Menschenrechts-Dokumentationszentrums HRIDC. "Jetzt sind mit der Ausrufung des Ausnahmezustandes alle Fernsehstationen und Zeitungen, die nicht dem Staat gehören, dicht gemacht worden." Das Rupert Murdochs Medienimperium gehörende Imedi TV wurde nicht nur abgeschaltet, Polizisten zerstörten auch dessen technische Einrichtung.
Nino Gvedashvili berichtet über die Ereignisse und dokumentiert sie, wie all die Jahre zuvor, auf der Homepage ihrer Organisation. Doch inzwischen hat sie dabei Angst: "Wir fühlen uns nicht sicher, weil jede Information, die wir auf unsere Webseite packen, für die Regierung Anlass sein könnte, mit uns das selbe zu machen, was sie mit den unabhängigen Fernsehanstalten gemacht hat."
Gvedashvili veröffentlichte neben eigenen Berichten, auch aus anderen Städten des Landes, die Presseerklärung von Human Rights Watch. Die internationale Menschenrechtsorganisation verurteilt darin das brutale Vorgehen gegen die friedlichen Demonstranten, insbesondere die Behinderung von Journalisten, die das Vorgehen filmen oder fotografieren wollen. "Auch in Krisenzeiten muss es Georgiern gestattet sein, friedlich zu demonstrieren ohne von der Polizei verprügelt zu werden", sagt Helen Carter von Human Rights Watch.
Die brutalsten Einsätze der Polizei erlebten die Bürger von Tiflis am Mittwoch. So wurde der Oppositionspolitiker Koba Davitashvili, der Vorsitzende der georgischen Volkspartei, von Polizeikräften so heftig geschlagen, dass er in kritischem Zustand im Krankenhaus liegt. Selbst der Ombudsmann für Menschenrechtsfragen, Sozar Subari, wurde von der Polizei angegriffen und mit Schlägen traktiert. "Sie haben mich gezielt ausgesucht, weil ich als Ombudsmann die Regierung eben häufig kritisiere", sagte Subari später in einer öffentlichen Erklärung.
Neben Tränengas- und Wasserwerfern setzte die Polizei auch Knüppel und Gummigeschosse ein. Letztere feuerte sie, so Human Rights Watch, gegen fliehende Demonstranten. Das Menschenrechts-Dokumentationszentrum berichtet in seiner Erklärung davon, dass Busse von Demonstrationsteilnehmern angegriffen wurden. Anfang dieser Woche habe zudem ein ranghoher Militär namens Giorgi Gotsiridze vergifteten Wein an Demonstranten verteilt, durch den 30 Personen erkrankt seien. Von offizieller Seite wurde dies umgehend dementiert.Warum geschieht all das?
Ministerpräsident Surab Nogaideli begründete die Maßnahmen der Regierung in einer Fernsehansprache mit der Behauptung, es habe einen Putschversuch gegeben. Die Oppositionsgruppen auf den Straßen seien vom russischen Geheimdienst unterwandert. Der Innenminister berichtete, ein russischer Militärjet habe in einem Dorf bei Tiflis eine Bombe abgeworfen, die jedoch nicht detoniert sei und so keinen Schaden angerichtet hätte.
Die Spannungen zwischen Russland und Georgien haben eine lange Geschichte: Da ist zum einen der Konflikt um die abtrünnigen Regionen Abchasien und Ossetien, deren Kampf um Unabhängigkeit von Russland unterstützt wird. Zum anderen ist die angestrebte NATO-Mitgliedschaft Georgiens den Russen ein Dorn im Auge, denn auf diese Weise könnte die NATO einen weiteren Stützpunkt im Südkaukasus aufbauen - in einem Gebiet, dass konservative Strategen in Moskau als russischen Hinterhof bezeichnen und in dem sie auf die geopolitische Vorherrschaft ihres Landes pochen.
Hat sich Saakaschwili, fragt sich nun mancher, inzwischen seinem Gegner Wladimir Putin angenähert, zumindest was den Umgang mit den Bürgern angeht? Man wird sehen, ob der jetzt verhängte Ausnahmezustand tatsächlich nur 15 Tage lang auf Georgien lastet. Oder ob der Rosenrevolutionär Saakaschwili bis dahin längst in die kaukasischen Berge geschickt wurde - mit den gleichen Mitteln, mit denen er einst seinen Vorgänger Eduard Schewardnadse aus dem Amt jagte.