Krise in Bosnien-Herzegowina als Trumpf für Serbien?
Nach dem Rücktritt des Ministerpräsidenten keine Lösung der Staatskrise in Sicht Nach dem Rücktritt von Ministerpräsident Nikola Spiric steckt Bosnien-Herzegowina in einer der größten politischen Krisen seit dem Ende des Krieges 1995. Belgrad hat die Gunst der Stunde erkannt und im Poker um die Zukunft des Kosovo die "bosnische Karte" gespielt.Als Grund für seinen Rückzug gab Spiric an, er sei von Miroslav Lajcak, dem mit weitreichenden Vollmachten ausgestatteten Hohen Repräsentanten der internationalen Staatengemeinschaft, entmachtet worden. "In diesem Land regieren Ausländer, und das ist nicht gut für das Land und seine Bürger", sagte Spiric bei seiner Rücktrittserklärung am Freitag. Lajcak hatte im Oktober verschiedene Maßnahmen angeordnet, um im Ministerrat und dem gesamtstaatlichen Parlament einfacher Entscheidungen herbeiführen zu können. Die Beschlussfassung sollte nicht mehr allein durch das Fernbleiben von Ministern oder Abgeordneten blockiert werden können. Vor allem Vertreter der serbischen Volksgruppe hatten damit in letzter Zeit immer wieder das Funktionieren der Institutionen behindert.Miroslav Lajcak wird kritisiert als "Kaiser, der über den Gesetzen steht."
Norbert Rütsche
Die bisherigen Minister bleiben mit einem "technischen Mandat" im Amt bis eine neue Regierung gebildet wird. Dies dürfte ohne Beteiligung der Partei von Nikola Spiric, dem bosnisch-serbischen "Bund der Unabhängigen Sozialdemokraten" (SNSD), aber kaum gelingen. SNSD-Chef Milorad Dodik ist gleichzeitig Ministerpräsident der Republika Srpska (RS), der kleineren der beiden bosnisch-herzegowinischen Teilrepubliken, und regiert dort mit absoluter Mehrheit. Mit dem auf serbischer Seite alles dominierenden SNSD in der Opposition wäre eine Regierungsbildung auf gesamtstaatlicher Ebene auch nach Neuwahlen faktisch unmöglich, zumal Dodiks Partei dabei gestärkt werden dürfte. Eine Blockade des Landes scheint vorprogrammiert.Belgrad hat die Krise in Bosnien-Herzegowina dankbar aufgenommen und den Moment genutzt, um zur Stärkung der serbischen Position im Streit um das Kosovo die "bosnische Karte" zu spielen und dem Konflikt eine gefährliche regionale Dimension zu geben. Der serbische Ministerpräsident Vojislav Kostunica erklärte, wenn das Kosovo die Unabhängigkeit bekomme, habe auch die RS das Recht, sich von Bosnien-Herzegowina abzuspalten. Gleichzeitig warf er dem Hohen Repräsentanten Lajcak vor, mit den angeordneten Maßnahmen auf eine Abschaffung der RS hinzuarbeiten. Milorad Dodik allerdings bekannte sich zur Zugehörigkeit zu Bosnien-Herzegowina: "Sofern die RS darin Platz hat, wollen wir ein Teil Bosnien-Herzegowinas sein. Kosovo hat darauf keine Auswirkungen."EUFOR-Kommandant Hans-Joachim Witthauer fürchtet, dass Bosnien-Herzegowina auseinanderbricht.
Norbert Rütsche
Die Verknüpfung der Kosovo-Frage mit Bosnien-Herzegowina seitens Belgrads bereitet vielen Vertretern der internationalen Gemeinschaft große Sorgen. Der Kommandant der EU-Friedenstruppe EUFOR in Bosnien-Herzegowina, der Bundeswehr-Admiral Hans-Joachim Witthauer, sagte: "Eine überwachte Unabhängigkeit des Kosovo haben wir gerade noch im Griff. Wenn aber Bosnien-Herzegowina auseinander bricht, dann ist die Büchse der Pandora wirklich geöffnet". Damit spielte er auf die zahlreichen schwelenden ethnischen Konfliktherde im westlichen Balkan an. Als Regisseur der aktuellen Krise in Bosnien-Herzegowina sieht Witthauer Russland: "Der Herrscher des Verfahrens sitzt in Moskau. Dort liegt auch der Schlüssel zur Lösung der balkanischen Fragen."Ein erster Vorgeschmack darauf, dass Russland nicht nur im Kosovo, sondern auch in Bosnien-Herzegowina nicht mehr bereit ist, die von der EU und den USA dominierten Positionen kommentarlos mitzutragen, zeigte sich letzte Woche bei der Sitzung der wichtigsten Mitglieder des mit der Umsetzung des Daytoner Abkommens betrauten Friedensimplementierungs-Rates (PIC) in Sarajewo. Russland behielt sich vor, in der Abschlusserklärung "seine tiefste Besorgnis" bezüglich der jüngsten Maßnahmen des Hohen Repräsentanten auszudrücken, während alle anderen anwesenden PIC-Mitglieder diese klar unterstützten. Am 21. November wird sich zeigen, ob Russland diesen Worten Taten folgen lässt. An diesem Tag entscheidet der Uno-Sicherheitsrat über die Verlängerung des EUFOR-Mandates. In höchsten EUFOR-Kreisen gibt es Befürchtungen, Russland könnte dies mit seinem Veto verhindern. Das wäre nicht nur das Ende einer durch die Uno legitimierten internationalen Militärpräsenz in Bosnien-Herzegowina, sondern auch eine ernsthafte Bedrohung des Büros des Hohen Repräsentanten (OHR), das damit zu einem zahnlosen Tiger würde.Haris Silajdzic, Vertreter der Bosniaken im dreiköpfigen Staatspräsidium und Vorsitzender der "Partei für Bosnien-Herzegowina", will nicht soweit gehen und Russland direkt mit der derzeitigen Krise im Land in Verbindung bringen. Vielmehr wirft er Belgrad vor, "Bosnien-Herzegowina zu instrumentalisieren und eine regionale Krise heraufzubeschwören, um dadurch Serbiens Verhandlungsposition bezüglich Kosovo zu verbessern". Es sei aber klar, dass Russland seine neue geopolitische Rolle nutze und die serbischen Forderungen unterstütze. Silajdzic trat unmissverständlich für die Beibehaltung eines starken OHR im Lande ein: "Wir brauchen Hilfe. Es ist traurig, dass wir in unserem Land nicht fähig sind, selbst Lösungen zu finden." Die meisten Politiker der Republika Srpska, in der rund 1,4 Millionen der insgesamt zirka vier Millionen Einwohner Bosnien-Herzegowinas leben, wünschen sich dagegen nichts sehnlicher als die rasche Schließung des OHR. Der ehemalige RS-Präsident Dragan Cavic sagte: "Der Hohe Repräsentant ist wie ein Kaiser. Es ist absurd, dass es eine Person gibt, die über allen Gesetzen steht."Miroslav Lajcak denkt derzeit überhaupt nicht an eine Schließung des OHR. Dies sei erst möglich, wenn Bosnien-Herzegowina politisch und wirtschaftlich stabil und auf einem unumkehrbaren Weg in Richtung EU sei. "Wir sind hier, um das Dayton-Abkommen zu erhalten und den Staat zu stärken. Dabei werden wir weder nationalistische Rhetorik noch ein Infrage-Stellen der Republika Srpska tolerieren", sagte Lajcak dieser Zeitung. Gleichzeitig wies der Hohe Repräsentant "jede Verknüpfung zwischen dem Kosovo und der RS, wie sie von Belgrad gemacht wurde", ohne wenn und aber zurück.
ENDE