Die Vergangenheit als Hürde für den EU-Beitritt
Wer sich in Kroatien offen über die Vergehen der Militärs äußert, riskiert gesellschaftliche Isolierung und gefährdet seine berufliche Laufbahn. Mit Zeljko Peratovic ist im Oktober einer der hartnäckigsten Kritiker durchsucht und verhaftet worden. Doch die Aktion könnte sich für den jungen EU-Beitrittskandidaten schnell zum internationalen PR-Gau entwickeln.
Peratovic hat als Mitarbeiter der Tageszeitung Vjesnik in den 90er Jahren offen über die Vertreibung, Vergewaltigung und Ermordung serbischer und muslimischer Einwohnern in der Ortschaft Gospic geschrieben. Selbst nach einem tödlichen Bombenanschlag im Jahr 2000 auf seinen Freund Milan Levar ließ er sich nicht einschüchtern. Levar wollte als Zeuge vor dem Internationalen Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien über seine Erlebnisse in Gospic aussagen. Der World Press Freedom Award, mit dem Peratovic 2003 von der österreichischen Sektion von Reporter ohne Grenzen ausgezeichnet worden ist, schien im eigenen Heimatland nicht zu zählen. Öffentlich als Vaterlandsverräter bezeichnet, wechselte Peratovic mehrmals seine Arbeitsstelle und wurde nach seinem letzten Rausschmiss 2005 zur Persona non grata für die kroatischen Printmedien.
Der Journalist zog mit seiner Familie für einige Zeit in die Schweiz und lebte vom Einkommen der Ehefrau, einer Übersetzerin. Tagsüber, erzählt er und muss dabei lächeln, kümmerte er sich als Hausmann um die vierjährige Tochter. Doch nebenbei veröffentlichte er weiterhin Beiträge auf seinem Blog. Beständig sei die Zahl anonymer Quellen aus Politik und Medien gewachsen, die ihm aus eigenem Ärger und Hilflosigkeit heraus kompromittierende Informationen aus Geheimdienst und Militär zukommen ließen.
Zeljko Peratovic vor einem geliehenen Laptop /
Joachim Dethlefs, n-ost
Bei der Suche nach neuen Kontakten und Material haben Peratovic nun ausgerechnet seine Gegner in Politik und Sicherheitsbehörden unfreiwillige Schützenhilfe geleistet. Während einer Hausdurchsuchung beschlagnahmten sie mehrere Computer, Mobiltelefone sowie Kassetten und Unterlagen aus 15 Jahren journalistischer Tätigkeit. Der Verdächtige wurde anschließend auf der Wache verhört und abends offiziell festgenommen. Obwohl Peratovic bereits am folgenden Nachmittag wieder auf freien Fuß kam, gewinnt sein Fall nun täglich mehr Aufmerksamkeit – und das weit über die Grenzen des kleinen Landes hinaus. „Vorher hielten mich alle für einen Spinner, der unter Verfolgungswahn leidet“, sagt Peratovic. Was nun passierte sei für ihn nichts Neues, zeige aber endlich auch der Öffentlichkeit, welche Relevanz die Behörden seiner Arbeit beimessen würden. Fremde kroatische Rufnummern auf dem Display bei Telefonaten mit seiner Frau in der Schweiz hätten ihm gezeigt, dass seine Gespräche abgehört würden. Post habe er nur verspätet und geöffnet erhalten.
Als offizieller Grund für die jüngste Polizeiaktion wird der Verdacht auf den Verrat von Staatsgeheimnissen angegeben. Es handelt sich dabei um Dokumente, die seit mehreren Monaten auf dem Blog peratovic.blog.hr online standen und laut Peratovic schon zuvor in anderen Medien veröffentlicht worden seien. Der private Sender Nova TV, der ebenfalls den betroffenen Blog-Dienstleister blog.hr betreibt, filmte mit versteckter Kamera, wie Polizisten in den eigenen Redaktionsräumen beanstandete Dokumente löschen ließen und berichtete darüber in seinen Nachrichten. Die Verhaftung Peratovics wurde zur Topnachricht in allen Medien des Landes und zahlreiche Mitglieder der kroatischen Blog-Szene griffen das Thema aus Protest auf. Der verfolgte Journalist wird auch durch die Organisation Reporter ohne Grenzen und das US-amerikanische Komitee für den Schutz von Journalisten unterstützt.
Die kroatische Opposition hat eine restlose Aufklärung des Falles gefordert. Auch die Regierung betont, sie werde sich um Klärung der Vorgänge bemühen und ließ verlauten, es habe sich offensichtlich um eine eigenmächtige Aktion der Polizei gehandelt. Der Zeitpunkt für diese Auseinandersetzung ist dabei äußerst unangenehm. Denn am 6. November soll auf internationalem Parkett in Brüssel der Fortschrittsbericht des ambitionierten EU-Beitrittskandidaten Kroatien veröffentlicht werden. Darin spielt auch die Pressefreiheit eine Rolle. Das Ausland wird den rechtlichen Ablauf des Falles aufmerksam beobachten, denn immerhin gehören zu den von Peratovic wegen Kriegsverbrechen Beschuldigten auch prominente Persönlichkeiten wie Darko Milinovic. Und der ist kein geringerer als der Spitzenkandidat der Regierungspartei HDZ für die Wahlen am 25. November und stellvertretender Vorsitzender des kroatischen Parlaments.