Der Traum vom eigenen Fußballteam
Die Nachricht aus dem Deutschlandfunk verbreitete sich im Kosovo wie ein Lauffeuer: Die deutsche Regierung, hieß es, werde die Provinz als eigenständigen Staat anerkennen, sollten die Kosovo-Albaner sich für unabhängig erklären. In fast jeder Zeitung des kaum zwei Millionen Einwohner zählenden Gebietes im Süden Serbiens stand diese Meldung am nächsten Tag in fetten Lettern auf der Titelseite. Schließlich schreiben die Kosovo-Albaner Deutschland eine Schlüsselfunktion dabei zu, andere EU-Länder von der Notwendigkeit eines unabhängigen Kosovo zu überzeugen.
Nora Ejupi jubelt denn auch, als ginge es um ein Fußballspiel: „Deutschland ist für uns.“ Die 21-Jährige arbeitet in einem Büro gegenüber der Schweizer Botschaft. Ein ganzer Dienstleistungszweig zur Beratung in Visafragen hat sich entlang dieser Straße entwickelt. Wer in die Schweiz möchte, bekommt Hilfe beim Ausfüllen der Formulare und kann die erforderlichen Flüge gleich mit buchen. Nora, die sieben Jahre in Düsseldorf gelebt hat, ist freiwillig ins Kosovo zurückgekehrt – wie die meisten ihrer Landsleute. Trotzdem fühlt sie sich Deutschland immer noch sehr verbunden. Und dass Angela Merkel jetzt die Unabhängigkeit unterstützt, findet sie ziemlich gut.
Wahlkampf im Kosovo: Die Reformpartei Ora wirbt mit ihrem guten Draht zu US-Präsident Georg Bush. / Timon Perabo, n-ost
So denkt auch Basri Pllana, in dessen Druckerei bis in die Nacht hinein große Geschäftigkeit herrscht. Sämtliche Parteien lassen bei ihm Plakate für die anstehenden Wahlen drucken. Fünf große Druckmaschinen einer deutschen Firma laufen gleichzeitig in dem kahlen, von hellem Neonlicht erleuchteten Raum. Eine albanische Flagge an der Wand ist die einzige Dekoration. Der 36-jährige Druckereibesitzer glaubt fest an die Unabhängigkeit. Er erwartet, dass sie kleineren Unternehmen wie seinem den Zugang zu Krediten erleichtert. Auch die Willkür bei der Visa-Vergabe würde dann ein Ende haben, hofft er. Denn er muss bald wieder nach Deutschland, um neue Druckmaschinen zu kaufen.
Das Kosovo steht seit dem Krieg der Nato gegen Serbien 1999 unter der Kontrolle der Vereinten Nationen. Seitdem warten die Kosovaren darauf, ihren eigenen Staat zu erhalten. Die bisher letzte Etappe in den seit fast einem Jahrzehnt dauernden Statusverhandlungen bildet die Kosovo-Troika, in der die USA, Russland und die EU versuchen, mit den verfeindeten Regierungen in Belgrad und Pristina einen Kompromiss zu finden. Am 10. Dezember wollen sie UN-Generalsekretär Ban Ki Moon ihren Abschlussbericht vorlegen.
Mit einer Einigung rechnet allerdings kaum mehr jemand. Serbien betrachtet das Kosovo nach wie vor als Teil seines Territoriums und bietet allenfalls weit reichende Autonomierechte an. Die Kosovaren ihrerseits wollen nichts akzeptieren als die vollständige Unabhängigkeit des zu 90 Prozent von Albanern bewohnten Gebiets. Die EU und die USA haben bereits deutlich gemacht, nach dem 10. Dezember nicht weiter verhandeln, sondern eine schnelle Entscheidung fällen zu wollen.
In Pristina herrscht unterdessen seltene Einmütigkeit zwischen Regierung und Opposition. Politiker aller Richtungen kennen nur ein Ziel für die nähere Zukunft: Unabhängigkeit. Immer wieder geben sie zu verstehen, dass sie die nach dem 10. Dezember notfalls auch einseitig ausrufen würden. Im Vorfeld der am 17. November stattfindenden Parlamentswahlen will deshalb auch kein echter politischer Wettstreit aufkommen. Alle möglichen Wahlkampfthemen werden von der Frage nach dem Status in den Schatten gestellt – und in der sind sich eben alle einig. Dieser demonstrativen Entschlossenheit und Einigkeit ist wohl auch die gegenwärtige Ruhe im Kosovo zu verdanken.
Pristinas Großbaustellen verweisen politisch bereits in die Zukunft: die Stadt wird zur Hauptstadt umgebaut. Man möchte für die Eigenstaatlichkeit gerüstet sein, zumindest symbolisch. Also gestaltet die Stadtverwaltung die zentrale Mutter-Teresa-Straße mit Granitplatten zu einer Prachtstraße um. Am Boulevard Bill Clinton musste eine Schule für eine neue, große Kathedrale weichen. Dazu leistet sich die Stadt eine Oper, für die der Berliner Architekt Kai Auffermann kürzlich die Ausschreibung gewonnen hat.
Der Umbau zur Hauptstadt wirkt jedoch überstürzt und rein äußerlich. Die Oper ist dafür das beste Beispiel. Weil sich im Zentrum kein Platz für das repräsentative Gebäude fand, wird es nun auf einem Hügel am Stadtrand gebaut. Unklar bleibt, wie es mit Leben gefüllt werden soll. Denn bereits dem bestehenden Nationaltheater fehlen Ausstattung und Künstler, für Konzerte des philharmonischen Orchesters reicht das Geld nicht.
Die regierende LDK verspricht gute Beziehungen zu NATO und EU. / Timon Perabo, n-ost
Längst nicht alle Kosovaren teilen die Geschäftigkeit und Zuversicht, die von offizieller Seite ausgestrahlt wird. Kumrije Gjushnica hat sich in die lange Schlange vor der Schweizer Botschaft eingereiht und wartet auf ihr Visum. Bei einer Arbeitslosigkeit von rund 40 Prozent sei es vor allem für Frauen schwer, einen Job im Land zu finden, sagt die 49-Jährige. Deshalb geht sie jedes Jahr für zwei bis drei Monate als Putzfrau in die Schweiz. So kann sie ihre fünfköpfige Familie ernähren. Gjushnica glaubt, dass es noch Jahre dauern wird, bis das Kosovo unabhängig ist. Für den Fall jedoch, dass der Status im nächsten März immer noch ungelöst ist, fürchtet sie um den Frieden im Land. Denn „kommt Frühling, kommt Krieg“, sagt sie. So sei das auf dem Balkan.
Auch Agram Ruhani ist sehr skeptisch. Der 47-Jährige arbeitet als Leiter des Transit Centers der kosovarischen Post eng mit dem Ausland zusammen. Seit dem Berliner Kongress im Jahr 1878, schimpft er, hätte Europa den Albanern immer wieder die Unabhängigkeit verwehrt. Warum sollte das jetzt also anders sein? „Die werden uns wieder verarschen“, ist er sich sicher.
Etwas gelassener sieht es die jüngere Generation. Neuntklässer Arben Kelmendi sitzt in eine dicke Jacke gehüllt mit seinen Freunden am Bolzplatz vor seiner Schule. Er glaubt, dass sich nicht viel ändern würde in einem unabhängigen Kosovo. Doch dann besinnt er sich und meint: „Wir hätten eine eigene Fußballmannschaft“. Und wem würde er die Daumen drücken, in einem Spiel Kosovo gegen Albanien? „Kosovo natürlich“, sagt er, „und die würden mit Sicherheit auch gewinnen.“