Tokio Hotels fernste Fans
Zuerst haben sie Deutschlands Teenager um den Verstand gebracht, dann die in ganz Europa und Russland. Nun ist auch die kasachische Jugend den Jungs von der Magdeburger Band Tokio Hotel verfallen: Hunderte Fans holen sich Bill, Tom, Georg und Gustav auf Postern ins Zimmer, tragen T-Shirts mit deren Gesichtern und färben sich die Haare auffallend schwarz. Manche lernen sogar extra Deutsch, um die Liedtexte endlich verstehen zu können.
In Almaty, Kasachstans heimlicher Hauptstadt, gibt es seit dem Frühjahr sogar einen ordentlichen Tokio-Hotel-Fanclub. Die 25-jährige Margo Petrosjan hat ihn zusammen mit ihren Schwestern Anait und Gajane gegründet. "Wir haben andere Fans im Internet gefunden und dann einfach beschlossen, uns zu treffen. Gleich beim ersten Mal kamen 30 Leute", freut sich die studierte Architektin.
Nikita und Maxim gehören zu den jüngsten Tokio-Hotel-Fans in Kasachstan. / Jekaterina Bolgert, n-ost
Wie die meisten jungen Leute in der ehemaligen Sowjetunion kannte sie vorher vor allem die Lieder einer anderen Band aus Deutschland : "Rammstein hat meine Vorstellung von der deutschen Sprache geprägt, aber Tokio Hotel hat sie wieder völlig verändert", erzählt Margo. "Ich konnte mir nie richtig vorstellen, dass man auch so schön und zärtlich auf Deutsch singen kann", vergleicht sie die Tokio-Hotel-Musik mit den martialischen Stücken von Rammstein.
Glatte schwarze Haare, dunkel geschminkte Augen, enge schwarze Hosen und eine schwarze Jacke trägt die Clubchefin, genau wie ihre Idole. Ein ungewohnter Anblick in einer Stadt, in der die meisten Mädchen ihres Alters hochhackige Schuhe und kurze Röcke anhaben. An Margos Handgelenk hängen Armbänder, ihre Fingernägel sind schwarz lackiert.
Den Aufbau ihres Fanclubs verfolgen die drei Schwestern mit viel Ernst und Engagement. Jeder, der Mitglied werden will, muss seine Motivation anhand eines Fragebogens beweisen. Eine Frage darin lautet: "Was würdest Du für die Gruppe tun?" Wenn der Kult um Tokio-Hotel-Frontmann Bill dabei zu weit geht, kennt die Chefin kein Pardon: Wer antwortet, er würde "für Bill von der Brücke springen", den verweist sie an Club-Psychologin Jekaterina Serenowa. "Aber das passiert selten", betont Margo.
Margo Petrosjan (rechts) hat mit ihrer Schwester Anait einen TH-Fanclub in Almaty gegründet. /
Jekaterina Bolgert, n-ost
Heute hat der Tokio-Hotel-Fanclub in Almaty 380 Mitglieder. Und mit jedem Treffen werden es mehr. Der jüngste im Bunde ist elf Jahre alt, der älteste 28. Chefin Margo versucht, Zeit für alle zu finden. Jedes neue Mitglied bekommt ein Abzeichen, an dem sich die Fans untereinander erkennen. Auf dem Sticker ist das Zeichen von Tokio Hotel zu sehen, die ineinander verschränkten Buchstaben "T" und "H". Aber eigentlich sind gar keine besonderen Symbole nötig: Wenn sich die Almatyer Fans von Tokio Hotel auf dem zentralen Platz der Republik in Almaty treffen, sprechen die schwarzen T-Shirts mit den Gesichtern von Frontmann Bill Kaulitz, die Frisuren, die Piercings und das tiefschwarze Make-up für sich.
Wer als kasachischer Fan etwas auf sich hält, der sammelt so viele Informationen wie möglich über seine Lieblingsband. Auf dem Fantreffen am Unabhängigkeitsdenkmal im Zentrum der Stadt werden jeden Sonntag die Band-Neuigkeiten ausgetauscht. Es wird Musik gehört und diskutiert. "Zweimal haben wir schon eine Tokio-Hotel-Party gefeiert", erzählt Margo. Als "Eintrittskarten" dienten die Klubabzeichen. "Damit die Anti-Fans draußen bleiben", erklärt sie.
Wände und Mauern in der Stadt mit Fanlosungen zu beschmieren, ist Clubmitgliedern streng verboten. Trotzdem ziert eine Liebeserklärung für Bill und seine Band manche Haltestelle in Almaty. "Wer die Regeln nicht achtet, wird bestraft", versichert Margo. "Clubmitglieder, die sich auf den Partys betrinken, bekommen zum Beispiel sofort eine Strafe."
Tokio-Hotel-Fans Lena und Daniella. /
Jekaterina Bolgert, n-ost
Auch den Deutschlehrern in Almaty dürfte die Popularität der Magdeburger Band gefallen."Wir haben angefangen, Lieder auswendig zu lernen, obwohl sich früher viele von uns nicht vorstellen konnten, Deutsch zu büffeln", erzählt Margo, "echte Fans tun eben fast alles für ihre Lieblingsband". Einige lernen nun intensiver in der Schule Deutsch, andere haben begonnen, Sprachkurse zu besuchen. So auch Aigerim, die Deutschunterricht im Goethe-Institut nimmt. "Ich will die Texte von Tokio Hotel besser verstehen und die Interviews ohne Übersetzung lesen", sagt sie. "In der Muttersprache äußern sie ihre Gefühle viel direkter."Dass das im Juli geplante Konzert ihrer Lieblingsband im Almatyer Eisstadion Medeo erst verschoben und schließlich ganz abgesagt wurde, haben viele Fans bis heute nicht verschmerzt. Nur wenige konnten sich die Alternative leisten und fuhren ins über 3000 Kilometer entfernte Moskau, um dort den Auftritt von Tokio Hotel zu sehen. "Wir sind trotzdem stolz, dass wir so viele Mitglieder in unserem Club haben", freut sich Margo. Sie hofft, dass der Klub weiter erfolgreich existiert und täglich neue Mitglieder gewinnt. Ganz nach dem Motto eines populären Liedes der Band: "Wir sterben niemals aus!"