Georgien

Die "Rosenrevolutionäre" feiern ihr Georgien

Die Vorgänge der letzten Wochen rund um die Verhaftung des mittlerweile wieder freigelassenen ehemaligen Verteidigungsministers Irakli Okruaschwili (34) haben es deutlich gezeigt: Das von jungen, enthusiastischen Politikern geführte Georgien ist noch ein ordentliches Stück davon entfernt, eine stabile Demokratie zu sein. Okruaschwili hatte Präsident Micheil Saakaschwili (40) vorgeworfen, die Ermordung eines einflussreichen Geschäftsmannes geplant zu haben. Die Regierung konterte, Okruaschwili habe einen Staatsstreich geplant. Doch die Rosenrevolutionäre rund um den charismatischen Staatschef zeichnen ein ganz anderes Bild des Landes: Seitdem sie Ende 2003 Präsident Eduard Schewardnadze und seine korrupte Regierung aus dem Amt gejagt haben, gehe es den Menschen besser, die Wirtschaft wachse, mit der Polizeiwillkür im Land sei es vorbei.

Am lautesten singt dieses Loblied Georgi Arweladze, 29 und seit knapp einem Jahr Wirtschaftsminister des viereinhalb Millionen Einwohner zählenden Staates im Südkaukasus. "Die internationale Geschäftswelt hat Georgien entdeckt", ruft er aus und verweist auf die erwarteten 2,2 Milliarden US-Dollar ausländischer Direktinvestitionen für 2007 im Vergleich zu 1,2 Milliarden im Vorjahr. Die georgische Regierung vertritt eine streng neoliberalistische Wirtschaftspolitik und treibt die Privatisierung aller Staatsbetriebe vehement voran. Die Weltbank habe Georgien, so Arweladze, als eines der unternehmerfreundlichsten Länder eingestuft. Fast alle Steuern seien seit der Rosenrevolution gesenkt worden, das Wirtschaftswachstum liege für dieses Jahr bei 12 Prozent, die Schattenwirtschaft sei fast verschwunden, entsprechend hoch seien die Steuereinnahmen. Auch dem Tourismus - mit den Bergen, Seen und der Schwarzmeerküste - sagt Arweladze eine rosige Zukunft voraus: "Warum soll Georgien nicht zu einem neuen Kroatien oder Griechenland werden?" Im letzten Jahr reisten rund eine Million ausländische Touristen - vor allem Armenier, Azeris, Kasachen und Ukrainer - nach Georgien. Gäste aus Westeuropa sind allerdings noch immer selten.



Georgi Arweladze / Norbert Rütsche, n-ost

Die Erfolge der allein regierenden Vereinten Nationalen Bewegung (VNB) von Saakaschwili sprudeln nur so aus dem Wirtschaftsminister, einem engen Weggefährten des Präsidenten, heraus. "Heute haben die Menschen 24 Stunden Strom pro Tag, nicht nur zwei wie unter Schewardnadze". Und seit der Rosenrevolution seien mehr Krankenhäuser und Schulen gebaut worden als in den 15 Jahren davor. Wer Arweladze zuhört, kann nur zu einem Schluss kommen: Georgien muss es blendend gehen, zumindest in der Wirtschaft gibt es offenbar keine Probleme. Erst auf Nachfrage gibt er zu, dass der Industrie-Bereich überhaupt nicht entwickelt sei oder dass die Sozialstandards zu wünschen übrig ließen. Etwa 30 bis 50 Prozent der georgischen Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze, auf dem Land ist vom Wirtschaftsaufschwung kaum etwas zu spüren.


Bokeria / Norbert Rütsche, n-ost

Und was ist mit der Korruption, die nach Einschätzung von "Transparency International" noch immer weit verbreitet ist? Die angesehene nichtstaatliche Antikorruptions-Organisation stellt zwar in ihrem Ende September vorgestellten Korruptionswahrnehmungs-Index 2007 bedeutende Fortschritte fest. Aber Georgien erreicht dennoch nur 3,4 von maximal zehn Punkten und liegt auf dem 79. Platz von weltweit 180 beurteilten Staaten. Minister Arweladze kümmern diese Daten nicht. Er meint ganz einfach: "Ich empfehle Ihnen, nicht auf Transparency International zu schauen. Korruption ist in Georgien kein Thema." Giorgi Isakadze, Geschäftsführer der Vereinigung georgischer Unternehmer, bestätigt zwar einen "dramatischen Rückgang" der Korruption, beklagt aber gleichzeitig, dass es nach wie vor kein unabhängiges Rechtswesen gebe. "Dies ist heute das größte Problem für Geschäftsleute im Land."


Eskalation in Georgien wegen Kosovo? Georgien verfolgt gespannt die Verhandlungen über den künftigen Status der südserbischen Provinz Kosovo. Tbilissi weiß genau, dass seine beiden abtrünnigen Gebiete Abchasien und Südossetien mit Rückendeckung aus Moskau eine Unabhängigkeit des Kosovo als Präzedenzfall und als legitime Grundlage für ihre eigene staatliche Souveränität werten würden. Doch Giga Bokeria von der georgischen Regierungspartei VNB gibt sich betont gelassen: "Es gibt keine Parallelen zwischen dem Kosovo und Georgien. Es handelt sich um zwei komplett verschiedene Situationen." Das Beste wäre, wenn es für das Kosovo zu einer Lösung im Rahmen der Vereinten Nationen käme, so der Gefolgsmann von Präsident Saakaschwili. "Ich schließe nicht aus, dass unsere Regierung ein unabhängiges Kosovo anerkennen würde." Politanalyst Davit Aphrasidze allerdings warnt vor einer Eskalation, besonders in Abchasien, sollte das Kosovo unabhängig werden. Auch westliche Beobachter befürchten für diesen Fall zunehmende Spannungen. In den Krisengebieten Georgiens wünscht sich Giga Bokeria ganz allgemein ein verstärktes Vermittlungs-Engagement der EU. Doch die Führung in Tbilissi ist sich bewusst, dass für Brüssel derzeit eine Lösung des Kosovo-Konflikts weit wichtiger ist als ein Fortschritt im Kaukasus. Ein Vorgehen der georgischen Armee gegen die abtrünnigen Regionen scheint derzeit unwahrscheinlich. Bokeria unterstreicht, dass es eine politische Lösung brauche: "Wir müssen den Menschen in diesen Gebieten zeigen, dass es besser ist, mit größtmöglicher Autonomie innerhalb Georgiens zu leben, als weiterhin ein abhängiges Instrument Moskaus zu sein." Ein schwieriges Unterfangen, besitzen doch bereits heute 70 bis 80 Prozent der heute noch 300'000 bis 400'000 Einwohner Südossetiens und Abchasiens einen russischen Pass. Umgekehrt leben weit über 200'000 aus den Konfliktregionen vertriebene ethnische Georgier als Binnenflüchtlinge anderswo im Land.


Wie steht es um den georgischen Export, seitdem Russland die Handelsbeziehungen mit dem Kaukasus-Land im Oktober 2006 abbrach? Minister Arweladze sieht darin - wen wundert's - vor allem Positives und eine Chance: Kurzfristig sei der Wegfall von Russland als bislang größtem Absatzmarkt für Mineralwasser, Wein und Weinbrand, Mineralwasser, Früchte und Gemüse zwar schmerzhaft. Doch dies zwinge Georgien, "sich auf den europäischen Markt auszurichten und auf Länder, an die wir bisher gar nicht dachten, zum Beispiel China." Wenn sich Russland wieder öffne - und das werde früher oder später geschehen -, würden die georgischen Firmen gestärkt dorthin zurückkehren.

Über so viel Optimismus kann Kacha Kukawa (31) von der oppositionellen Konservativen Partei Georgiens nur den Kopf schütteln. In einem dunklen Versammlungsraum im Keller des Parlamentsgebäudes lässt er kein gutes Haar an den aktuellen Machthabern. "Nach China haben wir bis heute vielleicht 20 oder 30 Flaschen Wein verkauft." Saakaschwili habe mit der Spionageaffäre im letzten Herbst die Konfrontation mit Russland gesucht und deswegen den folgenschweren Abbruch der Handelsbeziehungen zu verantworten, wettert er. "Es ist doch nicht die Aufgabe von kleinen Ländern wie Georgien, Demokratisierungen und Revolutionen in Russland voranzutreiben." Überhaupt sei Saakaschwili, mit dem Kukawa einst Seite an Seite in die "Rosenrevolution" gezogen war, für alles Übel im Land verantwortlich. Die Medien würden gegängelt, politische Gegner eingesperrt, Gewaltentrennung existiere nicht. "Alle Macht liegt bei einem Mann: Micheil Saakaschwili." Er sei ein Diktator wie die Präsidenten Nazarbajew aus Kasachstan und Lukaschenko aus Weißrussland. "Er tut alles, um an der Macht zu bleiben und setzt nun auf Armee und Polizei. Seine Versprechungen für Demokratie und Menschenrechte waren nur Propaganda." Dem Westen und vor allem den USA wirft Kukawa vor, viel zu großzügig über alle Demokratiedefizite in Georgien hinwegzusehen. "Weil wir ein Verbündeter der USA sind und Position gegen Russland einnehmen, wird der Regierung alles verziehen."

Ganz so schwarz malen will Davit Aphrasidze (31) nicht. Nach Einschätzung des Politologen wie auch von westeuropäischen Experten vor Ort werden die Medien nicht durch den Staat kontrolliert. Viel mehr mangle es ihnen an Professionalität und demokratieerfahrenen Journalisten. Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechtslage, so heißt es übereinstimmend, seien zwar noch in keiner Weise befriedigend. Doch eine staatliche Billigung der Missstände gebe es nicht. "Wir stecken eben mitten in einem Transformationsprozess", beschreibt Aphrasidze den Zustand seines Landes. Wahlfälschungen habe Saakaschwili bis jetzt nicht nötig gehabt. Bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Herbst nächsten Jahres dürfte es für die VNB schwierig werden, die absolute Mehrheit im Parlament - 67 Prozent Wählerstimmen errang sie im Jahr 2004 - zu halten, von den 96 Prozent für Saakaschwili bei der Präsidentschaftswahl ganz zu schweigen. "2008 wird zeigen, ob Saakaschwili die Demokratie wirklich will oder nicht", sagt Aphrasidze. Die vorgesehene 7-Prozent-Hürde für den Einzug ins Parlament ist bereits auf harsche Kritik der Opposition gestoßen. Dieser wirft der Politologe Aphrasidze vor, keinerlei konkreten Konzepte für die Lösung der Probleme Georgiens bereit zu haben.

Eine der wenigen Fragen, in welcher sich Regierung und Opposition einig sind, ist das Ziel eines möglichst schnellen Nato-Beitritts Georgiens. "Dies ist derzeit unsere außenpolitische Priorität. Wir hoffen, dass es 2010 soweit sein wird", erklärt Giga Bokeria in der Parteizentrale der VNB. Der 35jährige Bokeria ist zwar nur einfacher Parlamentsabgeordneter, gilt aber als "Kronprinz" von Saakaschwili und als der starke Mann hinter dem Präsidenten. Russland werde es nicht gelingen, den Nato-Beitritt Georgiens zu verhindern, sagt Bokeria in Anspielung auf Moskaus fast unbegrenzten Einfluss in die beiden abtrünnigen georgischen Gebieten Abchasien und Südossetien (vgl. Box). "Russland will die Spannungen aufrechterhalten, weil der Kreml nicht bereit ist, unsere erfolgreiche Entwicklung zu akzeptieren."

Die georgische Führung setzt alles daran, seine Armee zu modernisieren und den Nato-Standards anzupassen. 25 Prozent des aktuellen Budgets oder 6,5 Prozent des Bruttoinlandproduktes gibt das Kaukasusland für seine Streitkräfte und deren Reform aus. Unterstützt wird Tbilissi dabei vor allem von den USA. Im Irak sind derzeit 2000 Soldaten aus Georgien stationiert. Kritiker werfen der Regierung vor, nicht nur in Armeefragen, sondern auch in der gesamten Außenpolitik nichts ohne die Zustimmung Washingtons entscheiden zu können. Bokeria macht kein Geheimnis daraus, dass die USA ein "wichtiger Verbündeter und strategischer Partner sind. Aber wir gehören zu Europa." Die Enttäuschung über die Passivität der EU in den Beziehungen zu seinem Land will Bokeria nicht verbergen. Washington habe Georgien bisher viel mehr geholfen als Brüssel. Dennoch verfolgt die Regierung Saakaschwili auch weiterhin das Ziel eines EU-Beitritts, wenn auch nicht mehr mit dem gleichen Enthusiasmus wie noch kurz nach der Rosenrevolution. Realistisch sei, so Bokeria, von einem EU-Beitritt in vielleicht 15 Jahren auszugehen. "Aber viel wichtiger ist es für uns derzeit, ganz allgemein gute Beziehungen zu Europa zu entwickeln." Optisch ist diese Harmonie in den Strassen von Tbilissi bereits vorhanden, gibt es doch kein offizielles Gebäude, bei dem die georgische Flagge nicht von derjenigen der EU flankiert würde.


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