Türkei

Lieder für die Mörder von Hrant Dink

Die ersten Takte klingen harmlos. Das Lied "Plan Yapmayın" ("Schmiedet keinen Komplott") beginnt wie viele türkische Schwarzmeer-Schlager mit volkstümlichen Streich- und Zupfinstrumenten. Doch wenn der Gesang von Ismail Türüt einsetzt, ist es mit der Idylle vorbei. Türüts Lied ist voller Hass auf die Armenier und andere Minderheiten. Unverhohlen werden die Mörder des armenisch-türkischen Journalisten Hrant Dink als Patrioten verherrlicht.

"Wenn einer das Vaterland verkauft, dann ist er erledigt. Die Sonne der Türken und des Islam geht am Schwarzen Meer niemals unter", heißt es in Anspielung auf Hrant Dinks Mörder, der aus der Schwarzmeerstadt Trabzon stammt. Ein Video zu dem Hetzlied erscheint auf der Internet-Videoplattform "YouTube". Als visuelle Begleitung ist die Leiche von Hrant Dink zu sehen.

Die türkisch-armenische Wochenzeitung Agos, deren Chefredakteur Hrant Dink war, zeigt sich von dieser Attacke kaum überrascht. Der Nachrichtenchef Arif Nalci findet es bezeichnend, dass dieses Lied kurz vor Weiterführung des Prozesses gegen Dinks Mörder und seine Hintermänner auftaucht. Es reflektiere die politische Stimmung unter den Ultranationalisten. "Wir werden nicht mehr so stark bedroht wie zu Hrants Lebzeiten. Aber es kommen immer noch Drohbriefe, vor allem per E-Mail." Hrant Dink hatte sich für den türkisch-armenischen Dialog eingesetzt. Trotzdem wurde er aufgrund eines Artikels wegen "Beleidigung des Türkentums" zu einer Gefängnisstrafe auf Bewährung verurteilt. Ein weiterer Prozess stand an, weil er in einem Interview mit einer ausländischen Nachrichtenagentur den Völkermord an Armeniern im Osmanischen Reich am Rande des ersten Weltkrieges bestätigte. Für die Ultranationalisten eine Provokation.

Ismail Türüt präsentierte sich diese Woche dem türkischen Nachrichtensender n-tv leutselig, mit der kleinen Tochter am Swimming-Pool. "Die türkische Nation toleriert kein Glockengeläut und keine Armenierfreunde", heißt es in dem Song. Der Text stammt von dem Dichter Ozan Arif, der bei den türkischen Ultranationalisten beliebt ist. Mittlerweile ermittelt die Istanbuler Staatsanwaltschaft wegen des Vorwurfs der Volksverhetzung. Das findet der Sänger Ismail Türüt sehr ungerecht. "An der Schwarzmeerküste dulden wir keine Separatisten, und wir verteidigen das Vaterland. Was ist daran falsch?" fragt er die Reporterin von n-tv. "Ich singe politische patriotische Lieder. Dies ist nicht das einzige. Ich preise die im Kampf gegen den Terror gefallenen Soldaten und unsere heldenhafte Polizei."

Ismail Türüt komponierte auch ein Stück für den Parteiführer der "Nationalistischen Bewegungspartei". Bei den Parlamentswahlen im Juli erhielten die Ultranationalisten vierzehn Prozent der Stimmen. Türüt steht ganz auf Parteilinie, wenn er zwar den Mord an Hrant Dink verurteilt, gleichzeitig jedoch auf dessen staatsfeindliche Gesinnung verweist. Im türkischen Fernsehen bemüht er um eine Mischung aus Rührung und patriotischem Geist. "Ich verurteile Mord zutiefst. Ich teilte die Weltsicht von Hrant Dink nicht, seine Artikel und seine Reden fand ich nicht richtig, und das darf ich auch sagen, sie haben mich massiv gestört. Trotzdem habe ich nicht dazu aufgerufen,  ihn umzubringen."

Hrant Dink wurde am 19. Januar auf offener Straße vor dem Gebäude seiner Zeitung mit drei Schüssen in den Kopf getötet. Jeder denkt daran in diesen Tagen, wenn ein Lied über Armenier gesungen wird. Entscheidend ist jetzt die Aufklärung des Verbrechens. Aris Nalci, Nachrichtenchef von Agos, fürchtet eine ungenügende Aufklärung der Hintergründe. "Der Prozessverlauf lässt uns fürchten, dass die Täter bestraft, die einflussreicheren Hintermänner aber geschont werden", sagt er nachdenklich, "Das Gericht sieht die Tat momentan nicht als organisiertes Verbrechen. Dabei haben sie neben Ögün Samast sechzehn Verdächtige."

Nur eine Woche nach der Verhaftung des Tatverdächtigen Ögün Samast tauchte Ende Januar ein anderes Skandal-Video auf. Es zeigte Samast auf der Polizeistation von Samsun an der Schwarzmeerküste. Er posiert vor einer türkischen Fahne, Polizisten klopfen ihm auf die Schulter. Mittlerweile ist bekannt ist, dass eine ganze Gruppe den Mord an Dink plante und ein Informant der Polizei die Sicherheitskräfte von den Plänen unterrichtete. Die Polizei von Trabzon und von Istanbul war mehrfach auf das Mordkomplott aufmerksam gemacht worden, dennoch unternahm sie nichts.  Die Ermittlungen gegen die Polizei wurden vor zwei Wochen eingestellt. Die Anwälte Hrant Dinks werden im Verlaufe des Prozesses als Nebenkläger versuchen, mit neuen Indizien dagegen vorzugehen.


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