Chinatown auf dem Balkan
Die Dame vor dem Spiegel hält sich ein grellrotes Kleid aus Kunsteide mit Blumenmustern an. Sie entdeckt einige Nahtfehler, deshalb feilscht sie mit der Händlerin um den Preis. Ihr Mann wartet geduldig. „Wir sind schon lange Kunden bei chinesischen Händlern“, sagt er. „Sie bieten zwar nicht immer beste Qualität, aber sie sind billig.“
Das Ehepaar steht in einer riesigen neuen Markthalle, einer Alukonstruktion ohne Fenster. An den langen Gängen haben Händler ihre Tische mit grellbuntem Spielzeug, Kleidung und Lebensmitteln aufgestellt. Es riecht nach Plastik. Der rumänische Kunde ist begeistert. „Alles so ordentlich und geräumig hier, kein Gedränge wie anderswo.“
Die Markthalle steht in dem Dorf Afumati am Nordostrand von Bukarest. Mitte Juli wurde hier die „Chinatown Romania“ eröffnet, das größte chinesische Geschäfts- und Handelszentrum in ganz Mittel- und Südosteuropa.
Das Handelszentrum ist erst der Anfang
Ein riesiges traditionelles chinesisches Tor steht vor der Zufahrt auf das Chinatown-Gelände, 40 Meter breit, 15 Meter hoch. „Handgeschnitzt und handbemalt“, sagt Geschäftsführer und Miteigentümer Pan Jidong voller Stolz, „das größte Tor dieser Art in Europa.“ Der 55-Jährige trägt ein Businesshemd, in einem schwarzen Jeep fährt er über das Gelände. In drei riesigen Hallen, jede so groß wie ein Fußballfeld, bieten chinesische Händler ihre Waren an: Textilien, Werkzeuge, Elektronikartikel und vieles mehr. Daneben gibt es noch ein halbes Dutzend Lagerhallen für Großhändler sowie kleinere Bürogebäude.
Knapp 30 Millionen Euro haben die 19 chinesischen Großaktionäre des Projekts bereits investiert. Das sei aber erst der Anfang, so Pan Jidong. Man wolle Wohnungen, Schulen, einen Kindergarten, Bürogebäude, einen Bereich für Freizeit und Unterhaltung bauen, auf insgesamt 60 Hektar. „Wir wollen in Bukarest einen Ort haben, an dem sich alle chinesischen Händler aus der Region versammeln und mit ihren Familien wohnen können“, sagt Pan. „Insgesamt werden wir mehr als hundert Millionen Euro investieren.“
Ob sich die Investition schon gelohnt hat, darüber will Pan Jidong noch nichts sagen. Doch die Hallen sind gut besucht: Familien mit Kindern, Rentner, aber auch Großhändler laufen über das Gelände, in der Hand Plastikkinderwägen, Werkzeug oder Kisten mit Gemüse. Märkte, auf denen man von Lebensmitteln bis zum Ersatzteil alles bekommt, haben in Rumänien Tradition: Wegen der geringen Kaufkraft in dem von der Krise stark betroffenen Land gibt es kam ausländische Ketten wie H&M oder C&A. Die Rumänen verdienen etwa 450 Euro im Monat, weit unter dem europäischen Durchschnitt. Die chinesischen Markthallen sind deswegen für viele eine willkommene Abwechslung.
Mit dem Projekt „Chinatown Romania“ liegt Rumänien im Trend der Region: Immer mehr chinesische Großinvestoren drängen nach Mittel- und Südosteuropa, meistens staatliche Konsortien, zunehmend aber auch Privatfirmen. Sie wollen Milliarden investieren, und sie werden eifrig umworben. Denn der Boom westeuropäischer Investitionen ist vorbei. Gerade auch das krisengeschüttelte Rumänien braucht neue Investitionen, die Geld in die klammen Staatskassen spülen.
Der rumänische Ministerpräsident Emil Boc erschien im Juli persönlich zur Einweihung von „Chinatown Romania“. Boc sprach vom „chinesischen Wunder“, lobte die rumänisch-chinesische Freundschaft in den höchsten Tönen und lud chinesische Unternehmer ein, in weitere Großprojekte zu investieren.
Chinatown-Geschäftsführer Pan Jidong zeigt in seinem Büro die Fotos, auf denen er zusammen mit Regierungschef Boc zu sehen ist. Chinatown solle ein internationales Handelszentrum werden, bereits jetzt kämen Händler aus Serbien über die Türkei bis Syrien hierher, um ihre Waren anzubieten.
Ob der Staat die erhofften Steuern und Abgaben jedoch tatsächlich erhält, wird von Beobachtern bezweifelt. Investor Pan Jidong runzelt die Stirn, das Image seiner Landsleute im von Korruption und Bestechung gebeutelten Rumänien ist nicht das Beste. Rumänische Medien berichten immer wieder, wie chinesische Händler die Steuern hinterziehen. Oft besitzen die Händler keine Kassenautomaten oder stellen auch keine Quittungen aus. Vielfach, so heißt es beim rumänischen Zoll, gebe es keine korrekten Herkunftsnachweise für Waren.
„Natürlich müssen wir an bestimmten Problemen noch arbeiten“, sagt Pan Jidong ausweichend. „Aber die Medien sollten nicht vergessen, dass eine so große Investition sehr wichtig für Rumänien ist.“ Dann beschwert er sich über die rumänische Bürokratie. „Es gibt alle möglichen Kontrollorgane, das ganze System wirkt undurchsichtig und chaotisch“, so Pan.
Der Strumpfhändler Zhong Yuan-Tsing hat seine Probleme gelöst, seit er in Halle A einen Stand hat. Jedenfalls sagt er das. Eine Kasse besitzt er nicht, aber er stellt Quittungen aus. Der 47-Jährige lebt seit fünfzehn Jahren mit seiner Familie in Bukarest. Früher hatte er mehrere Marktstände im berüchtigten Bukarester Handelszentrum „Niro“, in dem die Polizei regelmäßig Razzien veranstaltete, weil der rumänische Besitzer Nicolae Dumitru, genannt Niro, in großem Stil schwarz Marktgebühren erhob und Steuern hinterzog. Auch Zhongs Marktstände wurden mehrmals geschlossen, seine Ware konfisziert. Jetzt ist er froh, in einem Handelszentrum mit chinesischen Besitzern zu sein, er habe endlich einen Vertrag.
Fotos von Cristian Ciureanu