Tschechien

Teuflische Kriegsbeute

Der Codex Gigas kehrt für einige Monate nach Böhmen zurückPrag (n-ost) - Die berühmte böhmische Teufelsbibel wurde kurz vor Ende des Dreißigjährigen Krieges als Beute von schwedischen Truppen nach Stockholm gebracht. Seit dem 20. September ist sie nun bis 6. Januar 2008 erstmals im Prager Klementinum zu sehen. Entstanden ist das Werk, das auch Codex Gigas genannt wird, wohl in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts in dem Benediktinerkloster Podlažice in Ostböhmen. Codex Gigas heißt wörtlich übersetzt "Riesiges Buch" und verweist darauf, dass es sich bei der Teufelsbibel wohl um das größte mittelalterliche Manuskript handelt. Eingeschlagen in hölzerne Buchdeckel birgt es 312 Pergamentseiten, die 890 Millimeter hoch und 490 Millimeter breit sind. Das Buch wiegt auch dank der metallenen Beschläge 75 Kilogramm.Die Schaffung so genannter Riesenbibeln war im Mittelalter nichts Ungewöhnliches. Sie dienten vor allem liturgischen Zwecken. Mit dem Codex Gigas verhält es sich jedoch offenbar anders. Denn seine Ausmaße machen ihn für den liturgischen Gebrauch unhandlich. Auch das reine Lesen in den Texten gestaltete sich wegen der überwiegend sehr kleinen Schrift als sehr schwierig. Gleichzeitig ist der Kodex aber reich illuminiert und mit verzierten Initialen ausgestattet.
Codex Gigas Teufel
Steffen Neumann

Den Verfassern des Codex Gigas muss es von Beginn an um seine Einzigartigkeit gegangen sein. Dieses Bestreben sorgte dafür, dass das Buch offenbar in relativ kurzer Zeit geschaffen wurde. Denn anders als bei ähnlichen Werken, unterscheidet sich die Schrift nur an wenigen Stellen. Sie wirkt wie aus einem Guss. Das heißt aber auch, dass an dem Buch ständig gearbeitet wurde, um es in so kurzer Zeit fertig zu stellen. Historiker erklären die Gründe für das ambitionierte Projekt so: Die Benediktiner waren bis zum 13. Jahrhundert der einzige Mönchsorden in Böhmen und zugleich eng mit dem Herrscherhaus der Přemysliden verbunden. In der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts zogen mit den Franziskanern und den Dominikanern neue Mönchsorden nach Böhmen, die den Benediktinern ihre Position erfolgreich streitig machten. So zurückgedrängt muss es wohl zu der Entscheidung gekommen sein, etwas ganz Einzigartiges zu schaffen.Die wohl berühmteste Seite des Codex Gigas ist eine Abbildung des Teufels. Darstellungen des Teufels standen oft im Kontrast zu Darstellungen des Himmlischen Jerusalem. Damit sollte der Betrachter des Bösen und der Sünde gedenken, die ihn von dem Erreichen des Himmlischen Jerusalem abbringen können. Für diese Zeit ziemlich ungewöhnlich ist hier der Teufel ganz allein auf einer ganzen Seite abgebildet. Daraus entsponn sich die Legende, die dafür gesorgt hat, dass der Codex Gigas den populären Beinamen "Teufelsbibel" erhielt: Demnach sollte ein Mönch wegen Verstoßes gegen die Klosterregeln lebendig eingemauert werden. Um dieser schrecklichen Strafe zu entgehen, versprach er, in einer einzigen Nacht ein Buch zu schreiben, das alles Wissen der Welt enthielte. Als er gegen Mitternacht merkte, dass er sein Ziel nicht erreichen kann, bat er den Teufel zu Hilfe, der das Werk vollendete. Als Dank fügte der Mönch dem Kodex das Bild des Teufels bei.Seit seiner Vollendung hat der Codex Gigas eine wahre Odyssee genommen. Zunächst erwarb ihn das damals bei Prag gelegene Benediktinerkloster Břevnov, um ihn vor den Hussiten im Kloster Broumov zu schützen. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts wurde er dem Kaiser Rudolf II. übereignet, der sie in seine neu geschaffene Kunstkammer einfügte. Und dann kam der Dreißigjährige Krieg und mit ihm die Schweden.Die neuzeitliche Geschichte der Leihgabe in die böhmische Heimat ist nicht weniger spannend. Seit dem 19. Jahrhundert hatte es immer wieder Versuche gegeben, die Handschrift zurückzuerhalten. Den letzten erfolglosen Versuch startete Anfang der Neunziger Jahre Präsident Václav Havel. Danach konzentrierten sich die Bemühungen der tschechischen Diplomatie darauf, das Manuskript wenigstens als Leihgabe zu erhalten. Auch dieses Unterfangen war nicht weniger brisant, wurde der Codex Gigas doch bisher erst zweimal ausgeliehen. 1970 nach New York und in den Neunziger Jahren nach Berlin. Einer Ausleihe nach Prag standen immer Bedenken entgegen, die Tschechen könnten den wertvollen Schatz nicht wieder zurückgeben. Apropos Schatz, um den unschätzbaren Wert der Bibel wenigstens formal abzusichern, hat die tschechische Regierung eine Garantiezusage von elf Millionen Euro gegeben.Zu Beschädigungen oder Verlust soll es aber gar nicht erst kommen. Dafür sorgen die strengen Auflagen an Sicherheit und Lagerung. Die Bibel liegt in einem eigens dafür geschaffenen Tresorraum, der gleich bleibende Temperatur- und Feuchtigkeitsbedingungen garantiert. Dabei sind von dem Codex wie in der Stockholmer Bibliothek im Original nur die beiden berühmten Seiten mit dem Himmlischen Jerusalem auf der linken und dem Teufel auf der rechten Seite zu sehen. Wie sorgsam mit dem ehrwürdigen Schriftdenkmal umgegangen wird, zeigt die kürzlich erfolgte Digitalisierung. Das Einlesen nur einer Seite nahm dabei mehrere Tage in Anspruch. Der Direktor der Königlichen Bibliothek Gunnar Sahlin übergab der tschechischen Nationalbibliothek zur feierlichen Eröffnung der Ausstellung in Prag ein Exemplar der 500 Gigabyte starken digitalisierten Version. Schon jetzt kann der Kodex erstmals in voller Länge auf den Internetseiten der Königlichen Bibliothek (www.kb.se) gelesen werden, versehen mit einem Kommentar in schwedischer, tschechischer und englischer Sprache. In Zukunft dürfte das der einzige Weg sein, die Teufelsbibel außerhalb Stockholms zu bestaunen. Denn Direktor Sahlin kündigte an, in Zukunft auf weitere Ausleihen zu verzichten. Aller guten Dinge, sind eben doch nur drei.
Praktische InformationenDie Ausstellung des Codex Gigas befindet sich in der Galerie Klementinum der tschechischen Nationalbibliothek. Die Ausstellung zeigt neben dem eigentlichen Codex Gigas Kopien ausgewählter Seiten und begleitende Exponate vorrangig aus den Beständen der tschechischen Nationalbibliothek. Ergänzt wird die Ausstellung durch Begleittexte. Im Online-Vorverkauf (www.nkp.cz) können Eintrittskarten erworben werden. Ab 24. September läuft der Vorverkauf für den Oktober. Dienstags und samstags kann die Ausstellung ohne Reservierung besucht werden.
Öffnungszeiten: 11-19 Uhr, montags geschlossen.ENDE

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