Polen

Entscheidet Rokita-Rochade polnischen Wahlkampf?

Nelly Rokitas Wechsel zur Kaczynski-Partei und der Rücktritt ihres Mannes verringern die Chancen der OppositionWarschau (n-ost) - Der Machtkampf in Polen ist um eine vielleicht Wahl entscheidende Kuriosität reicher: Polens Präsident Lech Kaczynski, der wie sein Zwillingsbruder und Ministerpräsident Jaroslaw nicht gerade als Freund Deutschlands, Russland und der weiblichen Emanzipation gilt, beruft mitten im Wahlkampf eine Russlanddeutsche zur persönlichen Beraterin in Frauenfragen. Zu allem Überfluss handelt es sich dabei um die Ehefrau eines der wichtigsten polnischen Oppositionspolitiker, der bei der Neuwahl am 21. Oktober eigentlich gegen die Kaczynski-Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) antreten sollte.Jan Rokita, lange Zeit die Nummer Zwei bei der liberalen Bürgerplattform (PO), trat nach der Nominierung seiner Frau aus der aktiven Politik zurück. Eine Woche später folgt nun sogar die Kandidatur Nelly Rokitas auf der Wahlliste der Kaczynski-Partei. In Warschau wird sie voraussichtlich als Nummer Zwei hinter Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski antreten. Die Rokitas spekulieren vermutlich auf eine Koalition aus PiS und der PO, bei der sie eine wichtige Rolle spielen könnten. Zugleich wird die Position des Spitzenkandidaten der PO, Donald Tusk, als dessen innerparteiliger Rivale Jan Rokita zuletzt den Kürzeren gezogen hatte, geschwächt. Die Rokita-Rochade in Warschau könnte am Ende wahlentscheidend sein.Wer sind die beiden Rokitas?Nelly Rokita-Arnold, 1959 in Sibirien als Russlanddeutsche geboren, in Kirgisien aufgewachsen und 1976 nach Deutschland gezogen, lernte ihren Mann Jan Rokita 1986 in Polen kennen. 1994 heirateten die beiden. Nelly Rokita nahm die polnische Staatsbürgerschaft an. Vor einiger Zeit sagte sie der Zeitung Gazeta Krakowska ob ihrer Identität: "Für die Russen gehörten wir nicht dazu, vielleicht erachteten sie uns gar als die Schuldigen der Kriegstragödie. Die Deutschen wiederum haben unsere Multikulturalität nicht geschätzt, als wir aus der UdSSR kamen. Und in Polen? Hier fühle ich mich gut, das ist meine Wahlheimat, ich bin ja eine Europäerin." Zwar gilt Nelly Rokita durchaus als konservativ, war jedoch, seit 2003 Vorsitzende der polnischen Sektion der Europäischen Frauenunion, bis Anfang 2007 mehr oder minder mit der liberal-konservativen PO liiert - vor allem aufgrund der zwischenzeitlich starken Position ihres Mannes in der Partei.Jan Rokita, ebenfalls Jahrgang 1959, ist seit 1990 auf dem politischen Parkett Polens zu Hause und war seither in fünf Parteien aktiv. Landesweite Bekanntheit erlangte er als Mitglied der 2001 gegründeten PO, deren konservativen Flügel er maßgeblich prägte und der Partei so entscheidend zu ihrer heutigen Bedeutung verhalf. Im Ausland erlangte er durch seine pathetische Parole "Nizza oder der Tod", vor dem Hintergrund der Verhandlungen über einen neuen EU-Vertrag 2002, eine kurze Bekanntheit. Rokita war Fraktionschef und 2005 Kandidat der PO für den Posten des Premiers. Seitdem die PO bei den Wahlen vor zwei Jahren den Kaczynski-Zwillingen unterlag, ist jedoch sein konservativer Stern in der von liberalen Kräften dominierten Bürgerplattform stetig gesunken. Sein jetziger Rückzug könnte die Partei mittelfristig in eine Zerreißprobe stürzen.Nelly Rokita war den liberalen PO-Verantwortlichen schon lange ein Dorn im Auge. Lautstark sprach sie ihre Kritik am liberalen Parteichef Donald Tusk aus, bekundete offen ihre Sympathien für die PiS, vor allem für deren Außenpolitik, und kritisierte den möglichen Schwenk der PO nach links hin zu einer möglichen Mitte-Links-Regierung mit der LiD (Linke und Demokraten), der voraussichtlich drittstärksten Kraft im neu zu wählenden Parlament. Vor einigen Monaten verließ Nelly Rokita daher die PO - als Protest gegen die
Marginalisierung ihres Mannes in der Partei.   Offene ZukunftIn polnischen Medien wurde spekuliert, dass die Berufung Nelly Rokitas nur ein ausgemachter Vorwand für den Rückzug Jan Rokitas aus der PO gewesen ist. Dieser Rückzug könnte der PO nun einen entscheidenden Schlag versetzen, da konservative Wähler Abstand von der Partei nehmen dürften. Nach ersten Umfragen der Tageszeitung "Rzeczpospolita" vom Montag vermuten 56 Prozent der Befragten, dass der Rückzug sich nachteilig auf das PO-Wahlergebnis auswirken werde.Sollte die PO die Wahlen verlieren, könnte eine neue, vielleicht die große Stunde Jan Rokitas schlagen: Er könnte dann doch noch Chef der PO werden, der dann wohl aber eine mögliche Zersplitterung droht. Denn als Premier einer Regierung zwischen PiS und PO wäre Rokita wohl der einzige Kandidat, den beide Seiten akzeptieren könnten. Die Rolle seiner Frau dürfte in einer neuen Konstellation ebenfalls keine geringe werden, darauf deutet der gute Listenplatz, den Sie von der PiS erhält. Möglicherweise wird Jan Rokita seiner deutsch-russisch-polnischen Frau in der Zukunft sogar Einiges zu verdanken haben - und sie sich selbst auch. ENDEFotos der Rokitas sind über die Nachrichtenagentur pap erhältlich---------------------------------------------------------------------------
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