Die langen Nachwehen der Revolution
Am vergangenen Freitag erklärte das Verfassungsgericht der zentralasiatischen Republik Kirgistan das erst Ende letzten Jahres verabschiedete Grundgesetz für unwirksam. Begründet wurde die Entscheidung mit dem unsachgemäßen Vorgehen des Parlaments bei der Annahme der jüngsten Verfassungsänderungen im November und Dezember 2006. Demnach habe das oberste Legislativorgan des Landes nicht das Recht, über Verfassungsänderungen ohne die Zustimmung des Volkes zu entscheiden. Die oberste Richterin des Landes Cholpon Bajekowa sagte, dass dafür ein landesweites Referendum nötig gewesen wäre. Der ökonomische schwache Gebirgsstaat an der Grenze zu China kehrt damit zur Verfassung von 2003 zurück, die noch aus der Ära des alten Präsidenten Askar Akajew stammt.
Mit der Gerichtsentscheidung setzt sich die politische Instabilität in Kirgistan weiter fort. Vor zweieinhalb Jahren brachte dort die sogenannte Tulpenrevolution einen Machtwechsel. Staatschef Akajew hatte nach heftigen Protesten gegen die Ergebnisse der vorangegangenen Parlamentswahl und der Belagerung des Präsidentenpalastes das Land fluchtartig verlassen. Die Bilanz seines Nachfolgers Kurmanbek Bakijew sieht mehr als glanzlos aus. Auch zwei Jahre nach seiner offiziellen Wahl zum Präsidenten hat er es nicht geschafft, für Ruhe in dem ressourcenarmen, ethnisch heterogenen Staat zu sorgen. Immer wieder kommt es seitdem zu heftigen Protesten in der Hauptstadt Bischkek gegen seine Politik. Die Fluktuation in der Regierung ist hoch. Ende vergangenen Jahres war der populäre Premierminister Felix Kulow zurückgetreten und hatte sich offen gegen Präsident Bakijew positioniert. Zuletzt demonstrierten im April 2007 Tausende Menschen vor den Präsidentenpalast für Neuwahlen. Für die nachfolgenden Krawalle wurde von offizieller Seite Ex-Premier Kulow verantwortlich gemacht.
Demonstration am Jahrestag der Revolution in Bischkek. / Cornelia Riedel, n-ost
Auch Verfassungsänderungen haben in Kirgistan traurige Regelmäßigkeit angenommen. Im November 2006 hatten Tausende Demonstranten in Bischkek für Nachbesserungen im geltenden Grundgesetz protestiert. Dabei ging es besonders um die Verlagerung von Vollmachten vom Präsidenten auf das Parlament. Bakijew unterzeichnete daraufhin eilig eine neue Verfassung, die den Protesten Rechnung trug. Doch die Änderungen waren nur von kurzer Dauer. Bereits Ende Dezember 2006 sorgten Nachbesserungen für eine erneute Wiederherstellung einiger Befugnisse des Präsidenten. Die Verabschiedung dieser beiden Verfassungsentwürfe durch das Parlament wurde nun nachträglich für illegal erklärt.
Die Gerüchteküche um die Folgen des jüngsten Schiedsspruchs des Verfassungsgerichts kocht inzwischen. Am 18.September trifft sich das kirgisische Parlament zu einer außerplanmäßigen Sitzung, um die Entscheidung zu diskutieren. "Wir haben die Angelegenheit bereits Juristen übertragen", erklärte ein Parlamentssprecher am Montag. "Diese werden sich der Frage annehmen, sie ergründen und ihre Schlussfolgerungen bis morgen vorlegen."
Justizminister Marat Kaipow sieht keine Möglichkeit, die Gerichtsentscheidung anzufechten. Keine staatliche Institution, niemand, auch nicht das Parlament, könne die Legitimität des Gerichtsspruchs bezweifeln, sagte er. Mitglieder der Opposition allerdings sprechen sich offen gegen die Rechtmäßigkeit des Urteils aus. "Die Chefin des Verfassungsgerichts Cholpon Bajekowa hat Präsident Akajews Amtszeiten und später die Revolution legitimiert, dann die beiden Verfassungsänderungen von letztem Jahr und nun deren Unwirksamkeit", kritisierte Asisa Abdrasulowa, Leiterin einer Nichtregierungsorganisation, die Arbeit des Gerichts im Gespräch mit Radio Svoboda.
Das Tauziehen um das Grundgesetz hat die Diskussion um baldige Neuwahlen entfacht. Mit Spannung wird eine Ansprache des Präsidenten Bakijew am 19.September erwartet, in der er zu den Vorgängen der vergangenen Tage Stellung nehmen und die Schwerpunkte seiner zukünftigen Tätigkeit vorstellen wird. Sehr lang könnte diese nicht währen. Mit vorgezogenen Präsidentenwahlen in Kirgistan rechnen Experten noch vor dem kommenden Frühjahr.