Weltkulturerbe von Staudamm bedroht
Hasankeyf liegt im Südosten der Türkei nahe der Grenze zum Nachbarland Syrien. In dem überwiegend von Kurden besiedelten Gebiet finden sich Spuren einer über tausend Jahre alten Siedlungsgeschichte. Ein weitläufiges Denkmal aus Höhlen, Gassen, Läden, Medresen und Kirchen liegt in einem fruchtbaren Tal. Zentrum ist eine Felsenburg und die Relikte einer im zwölften Jahrhundert von den Seldschuken gebauten Brücke über den Tigris.Die kurdische Bevölkerung der heutigen Kleinstadt Hasankeyf lebt vom Tourismus inmitten der Artefakte einer großen Vergangenheit. Seit Jahren fürchtet sie das geplante Staudammprojekt. Bürgermeister Vahap Kuşen ist Mitglied einer Initiative von zwanzig türkischen Verbänden, die sich für den Erhalt von Hasankeyf einsetzen.
Hasankeyf / Sabine Küper-Büsch, n-ost
"Seit über tausend Jahren gibt es die Stadt Hasankeyf am Tigris, an einem Knotenpunkt des alten Mesopotamien. Hier gibt es die Spuren von etwa dreißig bis vierzig Zivilisationen, die noch viel älter sind. Die Römer haben in dieser Region gelebt, die Assyrer, die Babylonier, die Sumerer, die Hethiter, die Seldschuken. Mesopotamien ist die Wiege der Menschheit, dementsprechend ist der kulturhistorische Verlust verheerend", klagt der Bürgermeister. Ohne die Kreditbürgschaften der Regierungen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz könnte der Staudamm nicht gebaut werden. Eine unpopuläre Entscheidung.
Um Kritikern zuvorzukommen, entwarfen die drei Länder einen Katalog von Auflagen als Bedingungen für die Finanzierungsgarantien des Projektes. Eine zentrale Forderung ist der Schutz der Kulturgüter. Die Türkei verspricht dies zu gewährleisten. Teile der antiken Stadt sollen versetzt und in einem Kulturpark wieder aufgebaut werden. In den nächsten Tagen schickt Ankara eine Delegation, die vor Ort eine Auswahl treffen soll. Hasankeyfs Bürgermeister Vahap Kuşen ist skeptisch: "90 Prozent des antiken Hasankeyf liegt noch unter der Erdoberfläche. Wie wollen sie eine nicht ausgegrabene Stadt versetzen, ohne sie gesehen und erforscht zu haben?", fragt er. "Dazu sind hundert Jahre nötig." Tatsächlich sind die meisten Wissenschaftler überzeugt, dass es unmöglich ist, Hasankeyf zu versetzen. Der türkische Archäologe Abdülselam Uluçam warnt davor, dass die antiken Kunstschätze jetzt schon durch den Tourismus beschädigt werden und mehr erhaltende Grabungen notwendig sind. Doch Ankara beharrt auf dem Staudamm-Projekt. Die Umsetzung der wichtigsten Kulturgüter soll nun die Lösung sein. "Denken sie sich die Relikte einer antiken Brücke ohne Tigris in einem Kulturpark. Das ist Augenwischerei", ist Vahab Kusen wütend.
Nach der bei Hasankeyf geplanten Aufstauung des Tigris wird der Ilisu-Staudamm die gesamte Ebene überfluten und am Ende 70 Prozent der Größe des Bodensees haben. Die Topographie des Zweistromlandes Mesopotamien zwischen Euphrat und Tigris würde verschwinden. Offiziell heißt es, die Türkei benötige das gigantische Staudammprojekt für die Energieversorgung. Inoffiziell ist bekannt, dass Ankara Politik mit Wasser betreibt. Die umliegenden Nachbarn haben Öl, die Türkei staut im Gegenzug die Wasserressourcen.
Die ökologischen Folgen sind beträchtlich. Bürgermeister Vahap Kuşen befürchtet die Entstehung eines Tropenklimas in Südostanatolien. "Wir stauen den seit Millionen Jahren hier fließenden Tigris. Jeder kann sich vielleicht vorstellen, was der gigantische See bei einer solchen Sommerhitze wie wir sie momentan erleben, es sind etwa vierzig Grad, für eine Feuchtigkeit produzieren wird. "In den Fluten des 300 Quadratkilometer großen Stausees sollen außer der Stadt Hasankeyf auch 73 Dörfer verschwinden. Etwa 40.000 Menschen sind davon betroffen. Der Weber Hasan ist verzweifelt. Mittlerweile verkauft er Decken aus Ziegenhaar an Touristen und kann gut davon leben.
In den 90er Jahren war die Region bitterarm und wurde von den Konflikten zwischen Militär und PKK aufgerieben. Jetzt soll das Wasser alles überfluten. Für Hasan steckt das Militär hinter den Plänen. "Die wollen hier ein künstliches Bollwerk aus Wasser schaffen. Tatsächlich liegt der Ilısu-Staudamm nach den momentanen Plänen an der Grenze zu Syrien und dem Nordirak, wo sich noch Lager der kurdischen PKK-Rebellen befinden. Hasankeyfs Bürgermeister Vahap Kuşen weiß für die sozialen Folgen des Projektes eine Lösung: Er will zusammen mit der Landbevölkerung Asyl in den Ländern beantragen, die die Kredite für das Projekt garantieren: in Österreich, in der Schweiz und in Deutschland. "Der Staudamm wird mit dem Geld gebaut, dass diese Länder der Türkei verschaffen. Deswegen haben die Länder, die die Finanzierung sichern auch eine Mitverantwortung für das Verschwinden von Hasankeyf. Alle hier in der Region, die davon betroffen sind werden vor dem Europäischen Menschengerichtshof klagen und in diesen Ländern Asyl verlangen", kündigt er an.
Der Bau des Ilısu-Staudamms hat bereits begonnen. Falls Hasankeyf tatsächlich unter den Fluten versinken sollte, entsteht vielleicht in der Zukunft eine kleine kurdische Kolonie in den Alpen. Im Länderdreieck Deutschland, Schweiz und Österreich.