Türkei

Die Rapperin und das Kopftuch

Das Kopftuch von Harünissa Gül, der Gattin des neuen türkischen Präsidenten Abdulah Gül, sorgt für viel Wirbel. Dass die Bild-Zeitung Harünissa Gül unlängst als eine der provozierendsten Frauen des Jahres präsentierte, fanden viele Türken gar nicht lustig. "Eine Respektlosigkeit", kommentierte selbst die sonst liberale Tageszeitung "Radikal". Statistiken zufolge tragen 60 Prozent der Türkinnen ein Kopftuch. Selbst die Mehrheit der jungen Istanbulerinnen will zwar keines aufsetzen, ist aber gegen ein Verbot.

Eine von ihnen ist Ayben Özçalkan. Die 25-Jährige trägt am liebsten Tanktops zur Hüfthose, damit das Tattoo auf der Schulter besser zur Geltung kommt. Die Aufmachung passt zu Aybens Beruf. Ayben ist Musikerin - sie bezeichnet sich selbst als einzige Rapperin der Türkei. Beim Istanbuler Festival Rock'n Coke stand sie neben internationalen Stars wie den "Smashing Pumpkins" und "Franz Ferdinand" auf der Bühne. Rock'n Coke versucht so etwas wie das Roskilde des nahöstlichen Raumes zu werden.


Rapperin Ayben in Istanbul / Stefan Dietrichs, n-ost

Viele von Aybens Songs sind Gassenhauer der Istanbuler Club-Szene. "Mein Name ist Ayben, habt Angst vor mir", hieß der erste Hit der Rapperin. "Rap ist meine Lebensphilosophie, der Spiegel meines Herzens, ich war noch ein Baby als ich schon Rap hörte, ich habe ihn von meinem Meister erlernt ...", rappt Ayben Özçalkan. Ihr sogenannter "Meister" ist der fünf Jahre ältere Bruder Bilgin alias "Ceza", Kult-Star der Szene und zusammen mit  der Schwester auch in Fatih Akins Film "Crossing the Bridge - The Sound of Istanbul" zu sehen. Wenn die beiden auftreten, steht ihnen backstage der stolze Vater Danyal Özcalkan bei.

Ayben strahlt, wenn sie erzählt, dass der erste Film, den sie mit ihrem Vater zusammen anschauen durfte, "Easy Rider" war. Dass Ayben mit fünfundzwanzig noch bei ihrem Vater im konservativen Stadtteil Üsküdar lebt, ist für die Türkei nicht ungewöhnlich, passt aber dennoch nicht so recht zur schnelllebigen Istanbuler Musikszene. Ayben und  ihr Vater sind ein merkwürdiges Gespann. Die Tochter selbstbewusst und cool, der Vater ein liebevoller, rundlicher Papa-Typ, der offensichtlich nicht als Aufpasser auf Konzerte mitkommt, sondern sie sich selbst gern anhört. In den 70er Jahren gehörte Danyal Özçalkan zu den langhaarigen Hippies, die Jimi Hendrix und Pink Floyd hörten und von den Ultrarechten wegen ihres Äußeren noch verprügelt wurden.

Aybens Mutter starb früh. Sie muss eine sanfte, religiöse Frau gewesen sein. Ayben verliert ihre burschikose Art, wenn sie über die Mutter spricht. Es wird deutlich, dass die junge Musikerin nicht bei dem Vater wohnt, um aufgepasst zu werden, sondern sich vielmehr um ihn kümmert. Aybens Mutter trug als religiöse Frau ein Kopftuch. Die Rapperin reagiert gereizt auf das Thema Kopftuch-Streit. Sie findet jegliche Art von Reglementierung in Bezug auf Kleidung autoritär. Auch das generelle Kopftuch-Verbot an Schulen, Universitäten und im öffentlichen Dienst in der Türkei. Und die Diskussion um die Kopfbedeckung von Harünissa Gül, Ehefrau des Staatspräsidenten Abdullah Gül ist ihr peinlich. Dass Harünissa mit 15 Jahren den damals bereits doppelt so alten Abdullah heiratete, kommentiert sie lapidar mit: "Tja, so war das halt früher auf dem Land."

Tatsache ist, dass der rauschende Wahlsieg von der islamisch-konservativen Partei AKP und die Präsidentschaft Güls nicht auf eine schleichende Islamisierung zurückzuführen ist. Mehr als 80 Prozent aller Türken wünschen sich eine strikte Trennung von Religion und Staat, auf solche eindeutigen Ergebnisse kommen Wissenschaftler weder in den USA noch in den meisten EU-Staaten. Die Türken wünschen sich eine pragmatische Politik und dafür steht die AKP.

Ayben Özçalkan steht für das wachsende Selbstbewusstsein junger Istanbulerinnen, wie selbstverständlich kombinieren sie Moderne mit Familienverbundenheit und Traditionalität, eine Mischung, die die Stadt am Bosporus prägt. Ihren Rap benutzt die Musikerin als Ausdrucksmittel für diese Widersprüchlichkeiten. Sie hat eine eigene Terminologie entwickelt. Rap ist für Ayben die "Kunst der verbalen Verteidigung." Es macht sie unglaublich wütend, wenn sie auf der Straße belästigt wird. Dabei übersieht die geborene Istanbulerin in ihrem Verständnis von Toleranz, dass ihr hipper Kleidungs-Stil gerade die Leute provoziert, deren Frauen sich in Kopftücher und Schleier hüllen. "Das ist ein Vorurteil", findet Ayben. "Die Leute, die mir Sprüche hinterher rufen sind nicht religiös, sondern sie terrorisieren ihre Frauen mit einer religiös übertünchten Macho-Manier." Das ist nur zu wahr. Und so charakterisiert sich Ayben in ihrem erfolgreichsten Lied "Mein Rap" mit folgenden Worten: "Rap ist für mich meine Balance, mein einziger Liebhaber, red mir nicht rein, ich weiß, was mich glücklich macht, mein Rap."


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