Türkei

Abdullah Gül wird Präsident der Türkei

Sein erster Anlauf ins Präsidentenamt hat die Türkei vor wenigen Monaten in eine tiefe innenpolitische Krise gestürzt. Am Dienstag wurde Außenminister Abdullah Gül nach langen Irrungen und Wirrungen nun doch zum türkischen Präsidenten gewählt. Im dritten Wahlgang genügte dafür die einfache Mehrheit, über die Güls islamisch-konservative Partei AKP verfügt. Diese stellt im Parlament 340 von 550 Abgeordneten. Die in den ersten beiden Wahlgängen nötige Zweidrittelmehrheit von 367 Stimmen hatte der 56-jährige promovierte Volkswirt in der türkischen Nationalversammlung nicht erreicht, weil die Demokratische Linkspartei (DSP) und die nationalistische Bewegungspartei (MHP) jeweils einen Gegenkandidaten aufgestellt hatten. Durch ihre Präsenz bei den Wahlgängen erteilten die beiden Oppositionsparteien jedoch der Politik der kemalistischen Republikanischen Volkspartei (CHP) eine Absage, die noch im März durch einen Wahlboykott die Präsidentenwahlen verhindert und dadurch vorgezogene Parlamentswahlen im Juli ausgelöst hatte.

Abdullah Gül gilt neben dem charismatischen Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan innerhalb der Regierungspartei für "Gerechtigkeit und Fortschritt" (AKP) als pragmatischer, weltoffener Politiker. Dennoch gibt es Kritiker im Land, die ihn als Islamisten und Gefahr für die von Staatgründer Mustafa Kemal Atatürk auf einer strengen laizistischen Ordnung fußenden Republik sehen. Güls Ehefrau Harünissa konnte wegen ihres Kopftuches nicht an türkischen Universitäten studieren. Sie zog für das Recht auf Verschleierung bis vor den Europäschen Gerichtshof für Menschenrechte, nahm die Klage jedoch 2004 zurück, um ihrem Ehemann politisch nicht zu schaden.


Abdullah Gül / Sabine Küper Büsch, n-ost

Seit Jahren wird in der Türkei über religiöse Rechte kontrovers diskutiert. Ein Grund für die Europabegeisterung der gemäßigten Islamisten ist auch die liberalere Gesetzgebung in Europa. Der innertürkische  Kopftuchstreit bezieht sich nicht auf die Bekleidung von Amtsträgern wie etwa in Deutschland, sondern auf die Freiheit der Kleiderwahl an den Universitäten. Nirgendwo sonst in Europa ist Studentinnen in Europa das Kopftuch verboten.

Innerhalb der Türkei ist die Liberalisierung des Kopftuchverbotes Teil eines von der AKP nun vorbereiteten umfassenden Kataloges zur Änderung der Verfassung. Gesamtgesellschaftlich sollen mehr bürgerliche Freiheiten eingeräumt werden. Ein Eckpfeiler ist etwa auch die Aufhebung von Türkisch als einziger Unterrichtssprache in staatlichen Schulen. Damit ist ein Weg geebnet, Minderheiten wie den Kurden und christlichen Aramäern Schulunterricht in der Muttersprache zu erlauben. Da für eine Verfassungsänderung eine Zwei-Drittel-Mehrheit notwendig ist, wird die AKP jedoch zunächst Teile der Opposition überzeugen müssen.

Anders als Vorgänger Ahmet Necdet Sezer wird sich Abdullah Gül als Präsident jedoch nicht so häufig seines Vetorechtes bei der Berufung von Amtsträgern und Gesetzesentwürfen bedienen. Auch wenn er als Präsident die AKP als Partei verlassen muss, bleibt er ihr ideologisch verbunden. Es ist jedoch nicht zu erwarten, dass Gül als pragmatischer Politiker bei Aufgaben des Präsidenten wie der Berufung des Generalstabschefs Alleingänge wagen wird. Als Außenminister hat er sich zudem erfolgreich um Verhandlungen über die Aufnahme der Türkei in die Europäische Union (EU) bemüht. Innerhalb der EU wird er als entschiedener Reformer respektiert. Güls Wahl zum Präsidenten war unter anderem vom EU-Außenbeauftragten Javier Solana unterstützt worden.

Der im zentralanatolischen Kayseri geborene Sohn eines Handwerkers studierte Wirtschaft in Istanbul und Großbritannien.1983 ging er für acht Jahre zur Islamischen Entwicklungsbank nach Saudi-Arabien. Auf diesem Posten fiel der junge Wirtschaftsexperte dem Vater der islamistischen Bewegung in der Türkei auf, dem späteren Ministerpräsidenten Necmettin Erbakan. Gül kehrte 1991 in die Türkei zurück und wurde als Abgeordneter von Erbakans Wohlfahrtspartei ins Parlament gewählt. Als Erbakan 1996 Ministerpräsident wurde, rückte Gül zum Regierungssprecher mit Ministerrang auf. Ein Jahr später war es damit aber wieder vorbei: Die Militärs drängten Erbakans Regierung aus dem Amt.

Mit seiner Vorgeschichte ist Gül ähnlich wie Ministerpräsident Erdogan ein politischer Ziehsohn Erbakans. Und wie Erdogan begann sich auch Gül nach dem Verbot der Wohlfahrtspartei 1998 von Erbakan und dessen Gefolgsleuten zu lösen. In der als Ersatz für die Wohlfahrtspartei gegründeten Tugendpartei wurde Gül zum Anführer des Reformflügels. Das war der Anfang der Spaltung der religiösen Bewegung. Als 2001 auch die Tugendpartei verboten wurde, kam endgültig der Bruch: Erdogan, Gül und andere Reformer gründeten die religiös-konservative "Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung" AKP. Innerhalb der Partei ließ Gül dem wegen seiner erfolgreichen Amtszeit als Istanbuler Bürgermeister hoch angesehenen Erdogan den Vortritt. Noch vor den Parlamentswahlen 2002 erklärte die Partei sie verstünde sich nicht als islamisch sondern wertkonservativ.


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