Ungarn

"Ungarn hat heute eine illegitime Regierung"

Interview mit dem ungarischen Oppositionsführer Viktor Orban

Budapest (n-ost) - Der national-konservative Bund Junger Demokraten (Fidesz) ist die größte Oppositionspartei im ungarischen Parlament. Chef des Fidesz ist der frühere Ministerpräsident Viktor Orban. Nach der knappen Wahlniederlage im Frühjahr 2006 bekam der Fidesz durch die Budapester Straßenunruhen und Ausschreitungen im vergangenen Herbst neuen Auftrieb. Grund für die Unruhen war die Veröffentlichung einer geheimen Rede des sozialistischen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány. In dieser gestand der Premier ein, die ungarischen Wähler hinsichtlich des wahren - desolaten - Zustands der ungarischen Haushaltslage hinters Licht geführt zu haben. Der Fidesz verstand es geschickt, die landesweite Anti-Gyurcsány-Stimmung für sich zu nutzen. Orbán, der von Kritikern als Rechtspopulist bezeichnet wird, brach jeglichen Dialog mit dem Regierungschef ab. Wären heute Parlamentswahlen in Ungarn würde der Fidesz nach aktuellen Umfragen mit großem Vorsprung gewinnen. Mit Orbán sprach unser Mitarbeiter Peter Bognar.

Frage: Welche Schlüsse haben sie aus den Straßenunruhen im vergangenen Herbst und am 15.  März dieses Jahres gezogen?

Orbán: Ich sehe in den traurigen Ereignissen die Erschöpfung der ungarischen Demokratie. Dazu kam es schrittweise. Zuerst wurden die Wähler, vor den Parlamentswahlen 2006, heimtückisch hinters Licht geführt, wodurch Ungarn heute eine illegitime Regierung hat. Dann, im Oktober 2006, wurde eine friedliche Massenkundgebung auf Geheiß der Regierung mit beispielloser Brutalität von der Polizei aufgelöst. Was wir heute in Ungarn haben, ist ein Mehrparteiensystem ohne Demokratie. Die Fassade ist vielleicht hui. Was sich aber dahinter verbirgt, ist pfui.    

Frage: Wollen Sie damit sagen, dass die linksliberale Regierung undemokratisch ist?    

Orbán: Ja, die Regierung hat wichtige demokratische Einrichtungen wie die Notenbank, das Amt des Staatspräsidenten und die Opposition ausgehebelt. Außerdem betreibt sie nichts anderes als eine organisierte Lügenpolitik.   

Frage: Ungarn wurde im Zusammenhang mit den Unruhen auch als "Bananenrepublik" bezeichnet. Was ist ihre Meinung dazu?

Orbán: In Ungarn ist eine postkommunistische Elite an der Macht, die die alten Reflexe und Vorgehensweisen aus den Zeiten des Kommunismus in sich vereint. Diese Machtelite glaubt an rein gar nichts. Sie ist zynisch und machtverliebt. An der Oberfläche wird die heutige Macht von der Regierung und der Sozialistischen Partei (MSZP) repräsentiert. Im Untergrund verbirgt sich jedoch eine Sphäre weitläufiger geschäftlicher, wirtschaftlicher und intellektueller Netzwerke. Diese durchdringen alle Ebenen der Gesellschaft. Sie sind die wahre Macht im Land.

Frage: Ferenc Gyurcsány ist noch immer Ministerpräsident. Wie lange wird er noch Regierungschef bleiben?

Orbán: Der Ministerpräsident gehört der Vergangenheit an. Er hat sein Ablaufdatum längst erreicht.  

Frage: Sind sie überhaupt noch bereit, mit ihm in Dialog zu treten?

Orbán: Meine Partei hat einen festen Grundsatz: Wer als Politiker die Menschen missachtet und vor den Kopf stößt, ist für uns eine persona non grata. Der Ministerpräsident hat sich dieser Vergehen schuldig gemacht. Ein Dialog mit ihm ist ausgeschlossen.

Frage: Eine Zeitlang hatte es den Eindruck, als wolle der Fidesz vorgezogene Wahlen erzwingen. Sind Neuwahlen ein Ziel des Fidesz?

Orbán: Je früher Wahlen stattfinden, desto besser für den Fidesz. Die Mehrheit der Ungarn will vorgezogene Wahlen. Die Regierung hat sich demokratisch und moralisch völlig diskreditiert. Außerdem hat sie bewiesen, dass sie schlicht und einfach ungeeignet ist, das Land zu regieren. Dies schlägt sich auch in den Meinungsumfragen nieder. Der Fidesz führt derzeit haushoch vor den Sozialisten, die zu einer mittelgroßen Partei geschrumpft sind. Wir sind jedenfalls schon heute bereit, das Ruder zu übernehmen.

Frage: Hat der Fidesz überhaupt ein alternatives Programm? Die Kritiker ihrer Partei widersprechen dem.  

Orbán: Ja, wir haben ein alternatives Programm. Nur ist es der Regierung ein Dorn im Auge. Sie lässt keine Gelegenheit aus, darauf hinzuweisen, dass der Fidesz kein Programm habe, und also auch nicht regierungsfähig sei. Das stimmt nicht. Tatsache ist, dass wir völlig andere gesellschaftspolitische Vorstellungen haben wie die Regierung. Der politische Diskurs beschränkt sich also nicht nur auf Detailfragen. Er ist ein Wettstreit von einander widersprechender Prinzipien. Die Regierung verfolgt einen engstirnigen Neoliberalismus. Ihre Politik wird ausschließlich von der Geschäftslogik geleitet. Der Glaube an die Allmacht des Marktes steht über allem. Unserer Ansicht nach gibt es aber Bereiche, wo der Markt nichts verloren hat, beispielsweise im Gesundheitswesen.

Frage: Und wie sehen die Vorstellungen des Fidesz aus?

Orbán: Kollektive Verantwortung und mehr gesellschaftliche Solidarität.

Frage: Dies klingt doch ziemlich links, oder etwa nicht?

Orbán: Die politischen Kategorien "links" und "rechts" sind auf Ungarn nicht gut anwendbar. Wir sehen auf der einen Seite die Linke, die eine klassische neoliberale Politik verfolgt. Auf der anderen Seite steht die bürgerlich-konservative Rechte, die sich in ihrer Politik häufig solidarischer zeigt als die Linke.

Frage: Welche Wirtschaftspolitik würde der Fidesz verfolgen, wenn er am Ruder wäre?

Orbán: Der Fidesz würde eine wachstumsfördernde Wirtschaftspolitik betreiben. Erstens müssten die staatlichen Ausgaben eingefroren werden. Zweitens müssten die Steuern gesenkt werden.

Frage: Sind Steuersenkungen angesichts des hohen Budgetdefizits nicht unrealistisch?

Orbán: Nein. Es müsste nur das richtige Maß für Steuersenkungen gefunden werden. Bedenken sie: Wegen der riesigen Steuerlast liegt der Umfang der Schattenwirtschaft in Ungarn zwischen 25 und 30 Prozent. Steuersenkungen würden etwa zur Halbierung der Schattenwirtschaft führen. Neben dem Einfrieren der Ausgaben und der Reduktion der Steuerlast müssten schließlich, als ein dritter Schritt, jene Hindernisse aus dem Weg geräumt werden, die die Wirtschaft heute behindern. Dazu gehören die Bürokratie und die Korruption. Die Senkung des Budgetdefizits wäre durch ein hohes Wirtschaftswachstum zu bewerkstelligen, gleichsam als Folge unserer Wirtschaftspolitik.

Frage: Werden sie als Spitzenkandidat ihrer Partei in die nächsten Parlamentswahlen gehen?

Orbán: Als Parteichef werde ich den Fidesz auf jeden Fall bis zum Flussufer führen. Freilich, der Anführer überquert zumeist auch den Fluss. Ich kann nur eines dazu sagen: Innerhalb meiner Partei bin ich der einzige Politiker, der über Erfahrungen als Regierungschef verfügt.

Frage: Ihnen wird häufig vorgeworfen, dass sie mit der radikalen Rechten gemeinsame Sache machen. Was denken sie darüber?

Orbán: Die rechtskonservativen Kräfte ins radikale Eck zu stellen, ist eine bekannte Waffe der Linken. Der neue französische Präsident Nicolas Sarkozy oder Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber sahen sich auch immer wieder damit konfrontiert. Doch wie man sieht, hat sich die Linke sowohl an Sarkozy als auch an Stoiber die Zähne ausgebissen.

Frage: Und wie stehen sie jenen Vorwürfen gegenüber, sie seien ein Populist?

Orbán: Edmund Stoiber hat einmal gesagt, dass diejenigen, die anderen Populismus vorwerfen, herablassend und arrogant seien und das Volk in Wahrheit nicht ausstehen könnten. Der Fidesz jedenfalls versteht sich als europäische Volkspartei.

Frage: Welche außenpolitischen Prioritäten verfolgt der Fidesz?

Orbán: Wir wollen ein starkes Europa. Darin streben wir nicht nur eine gemeinsame Energie-, sondern auch eine gemeinsame Einwanderungspolitik an. Wir sind der Ansicht, dass die Einwanderungspolitik strenger werden muss.

Frage: Wie wollen sie aber dann das demografische Problem lösen, sprich das wachsende Missverhältnis zwischen einer steigenden Zahl von Ruheständlern und einer schrumpfenden Zahl von Arbeitstätigen?

Orbán: Durch eine aktive Familienpolitik. Zuwanderung ist für uns keine Lösung.

ENDE

Kurzporträt Viktor Orbán:

Viktor Orbán (44) wurde in Székesfehérvár (Stuhlweißenburg) geboren. Orbán studierte Rechtswissenschaften in Budapest und war 1989 Stipendiat an der britischen Universität Oxford. Noch zu Zeiten des real existierenden Sozialismus 1988 war er einer der Gründerväter des systemkritischen Bunds Junger Demokraten (Fidesz). Unter seiner Führung wurde aus dem ursprünglich liberalen Fidesz die größte konservative Partei Ungarns. 1998 erreichte Orbán den bisherigen Höhepunkt seiner Politkarriere. Er wurde Regierungschef einer Mitte-Rechts- Koalition. Diese unterlag bei den Wahlen 2002 den Sozialisten, die bis heute den Regierungschef stellen. Seit 2003 ist Orbán wieder Parteichef des Fidesz. Er ist in erster Ehe mit Anikó Lévai verheiratet. Die beiden haben fünf Kinder.

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Peter Bognar



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