Türkei

Warten auf den dritten Wahlgang

Niemand hatte erwartet, dass der türkische Außenminister und stellvertretende Ministerpräsident Abdullah Gül es in der ersten Runde schaffen würde, seine Kandidatur für das Amt des türkischen Staatspräsidenten durchzusetzen. Sein Scheitern in der Wahl am Montag kam daher nicht überraschend. Gül hatte keine Chance, die nötigen 367 von 550 Stimmen zu bekommen, weil die Nationalistische Bewegungspartei (MHP) und die Demokratische Linkspartei jeweils einen Gegenkandidaten aufgestellt hatten und eine Unterstützung von Seiten kurdischer Abgeordneter ausblieb. Am Ende entfielen 341 Stimmen auf Gül, und damit nur eine Stimme mehr, als seine Partei im Parlament Sitze hat. Dennoch gilt als so gut wie sicher, dass Gül entweder in der zweiten Wahlrunde an diesem Freitag, oder spätestens in der dritten Runde am 28. August mit der dann ausreichenden einfachen Mehrheit gewählt werden wird.


AKP Wahlkampf  / Sabine Küper-Büsch, n-ost

Die Türkei war nach der erstmaligen Bekanntgabe der Kandidatur Abdullah Güls Ende April in eine tiefe Krise geraten. Damals hatte der Generalstab auf seiner Homepage ein Eingreifen des Militärs angedroht. Das war ein Angriff auf die Parteispitze der AKP, deren Spitzenpolitiker Abdullah Gül und Recep Tayyip Erdogan früher ihre Heimat in der islamistischen Bewegung des Fundamentalistenführers Necmettin Erbakan hatten. Doch es waren Gül und Erdogan, die eine Demokratisierung innerhalb des islamisch-konservativen Lagers ausgelöst und geleitet haben und dementsprechend eine große Rolle dabei spielen, dass radikal islamistische Positionen in der Türkei heute keine relevante Bedeutung mehr haben.

Die Mehrheit der Türken fand deshalb die vom Militär geäußerte und von der Oppositionspartei „Republikanische Volkspartei“ (CHP) wie ein verlängerter Arm des Generalstabs verfochtene Anti-AKP-Politik überzogen und unglaubwürdig. Die ersten Wahlgänge zur Präsidentenkür im April und Mai hatte die CHP aus Protest gegen Gül komplett sabotiert, indem ihre Abgeordneten der Abstimmung geschlossen fernblieben. Die notwendigen 367 Abgeordneten standen nicht zur Verfügung. Zwar erreichte Gül schließlich die einfache Mehrheit, die Wahl wurde aber durch eine Entscheidung des Verfassungsgerichtes annulliert. Es folgten Neuwahlen fürs Parlament.

Mit der erneuten Aufstellung Güls als Präsidentschaftskandidat pocht die Regierungspartei für „Gerechtigkeit und Entwicklung“ (AKP) nun auf ihren Wahlerfolg bei den türkischen Parlamentswahlen. Am 22. Juli hatte die Partei von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan mit 46,6 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit und einen klaren Sieg errungen. Erstmalig in der politischen Geschichte der Türkei konnte eine amtierende Regierungspartei ihren Stimmenanteil um zwölf Prozent erhöhen. Gründe dafür waren der erfolgreiche Wirtschaftskurs der AKP, die klare Europaperspektive und die Ablehnung der Einmischung des türkischen Militärs in die Innenpolitik durch einen Hauptteil der türkischen Wähler.

Gül hatte im ersten Wahlgang am Montag keine Chance, weil die Nationalistische Bewegungspartei (MHP) und die Demokratische Linkspartei jeweils einen Gegenkandidaten aufgestellt hatten. Da die Kandidaten aufgrund der Mehrheitsverhältnisse keine Chance auf einen Wahlsieg haben, kann die Kandidatur als Signal der unterstützenden Parteien gewertet werden, sich an den Wahlgängen aktiv zu beteiligen. Schon diese Tatsache ist gegenüber den ersten Wahlgängen vor den Parlamentsneuwahlen ein Fortschritt, die die CHP ja boykottiert hatte.

Weder MHP noch DSP, die neu ins Parlament gewählt wurden, folgen dieser Verweigerungshaltung. Im Gegenteil: Sie signalisieren damit den Wunsch nach pragmatischer, fairer Politik. Gleichzeitig wird die AKP bei beiden Parteien aber auf Widerstand hinsichtlich des bedingungslosen Europakurses stoßen. Vor allem die MHP ist für ihre kompromisslose, nationalistische Haltung in der Zypern-Frage bekannt und forderte im Wahlkampf mehr Sicherheitspolitik statt der Fortführung eines auf Gedankenfreiheit und der Verbesserung der Menschenrechte orientierten Kurses.

Genau in die andere Richtung werden einige der linken unabhängigen Kandidaten und die prokurdische Fraktion der „Partei für eine demokratische Gescllschaft” (DTP) ihre Oppositionspolitik lenken. Trotz der Hoffnungen des Kandidaten Abdullah Gül stimmten diese Fraktionen gestern gegen ihn, weil sie die Reformen der AKP bislang für zu schwach umgesetzt halten. Vor allem die DTP möchte, dass zentrale Forderungen aus den kurdischen Provinzen, wie die Liberalisierung des Kurdischen im politischen gesellschaftlichen Diskurs endlich umgesetzt wird. Kurdisch ist mittlerweile nicht mehr wie früher als Sprache tabuisiert und verboten, aber in der Öffentlichkeit weitgehend auf die Umgangssprache und Unterhaltungsindustrie beschränkt. Politische Nachrichtensendungen müssen unzumutbare Auflagen erfüllen und kurdische Politiker werden der Volksverhetzung angeklagt, wenn sie politische Reden auf Kurdisch halten.

Der Themenkomplex Meinungsfreiheit ist momentan der blinde Fleck des politischen Systems. Unter Paragraphen wie „Beleidigung des Türkentums, Beleidigung des Staatsgründers Atatürks, Beleidigung der Streitkräfte” wird die reine Thematisierung politischer Tabus verfolgt und oftmals sogar mit Haftstrafen geahndet. Der DTP-Vorsitzende Ahmet Türk erklärte, die Bemühungen der AKP um Demokratisierung seien nicht gesellschaftsumfassend. Der unabhängige Abgeordnete Ufuk Uras, Vorsitzender der “Partei für Freiheit und Demokratie” (ÖDP) äusserte der Präsidentschaftskandidat sei für ihn bemüht um eine Demokratisierung, aber nicht engagiert genug.

Positives Fazit der Abstimmung und der erwarteten Wahl Abdullah Güls zum türkischen Staatspräsidenten am 28. August ist, dass die Pattsituation vom Frühjahr überwunden worden ist. Durch den Einzug von mehr Parteien in die Nationalversammlung ist das Parlament repräsentativer geworden. Die Regierungspartei wird sich einer ernsthaften Opposition stellen müssen, hat aber auch die Chance neue Allianzen knüpfen zu können, wenn sie kompromissbereit und bezüglich politischer Tabuthemen mutig und entscheidungsfreudig handelt.


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