Kasachstan

Stabilität vor Demokratie

Wenige Tage vor den vorgezogenen Parlamentswahlen in Kasachstan am kommenden Samstag ist auf den Straßen von Almaty, der einzigen Millionenstadt und wirtschaftlichem Zentrum des Landes, von Wahlkampf kaum etwas zu spüren. Die vereinzelten Informationstafeln mit den Kandidaten der sieben zugelassen Parteien gehen im Wald von kommerziellen Reklametafeln unter. Nur die riesigen Plakate, auf denen mit dem Konterfei des amtierenden Präsidenten Nursultan Nasarbajew inmitten begeisterter Bürger für die Regierungspartei Nur-Otan geworben wird, fallen auf im Stadtbild.

"Hier bewegt sich etwas", meint Armanbek Isajew und schaut auf die Baustelle hinter dem Propagandaplakat. Innerhalb eines Jahres würden ganze Wohnkomplexe hochgezogen. "Bei uns in Bischkek steht dagegen alles still." Armanbek kam vor einigen Jahren aus dem armen Nachbarland Kirgisien auf der Suche nach Arbeit. Heute ist er als Vorarbeiter auf einer Baustelle tätig. "Wenn ich hier wählen könnte", betont der 42-jährige "würde ich auch für Nur-Otan stimmen." Denn hinter der Partei stehe Nasarbajew, und der sorge für Stabilität und Aufschwung. So wie Armanbek denken die meisten der 15 Millionen Kasachstaner.



Wahlwerbung Nasarbajew / Henryk Alff, n-ost

Die jüngste Geschichte Kasachstans, des neuntgrößten Staats der Erde, ist in vielerlei Hinsicht ein Erfolg. Sieben Jahre hohes wirtschaftliches Wachstum haben im ressourcenreichen Steppenland zwischen Kaspischem Meer und China besonders unter der städtischen Bevölkerung zu Wohlstand geführt. Der hohe Weltmarktpreis auf Öl, Gas und andere Rohstoffe haben Kasachstan neben Russland zum ökonomisch erfolgreichsten Staat innerhalb der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) gemacht. Das Bankensystem des zentralasiatischen Landes gilt unter Experten als das fortschrittlichste der Region.

Die politischen Erfolge Kasachstans bleiben jedoch hinter den ökonomischen weit zurück. Präsident Nasarbajew regiert das Land seit der Unabhängigkeit im Jahr 1991 mit autoritärer Machtfülle. Erst im Mai diesen Jahres hatte Nasarbajew die Begrenzung der möglichen Amtszeit auf maximal zwei Legislaturperioden aufgehoben und sich damit de-facto zum lebenslangen Präsidenten erklärt. Oppositionelle Politiker und freie Medien standen nicht selten im Visier der machthabenden Eliten. Alle Wahlen in den letzten 16 Jahren wurden von westlichen Beobachtern als unfrei eingeschätzt.

Auch der Wahlkampf um die bevorstehenden Parlamentswahlen wird von besorgniserregenden Vorfällen überschattet. Anfang August reichte die oppositionelle Allgemeine Sozialdemokratische Partei (OSDP) bei der Zentralen Wahlkommission Beschwerde ein. Die viel gelesene Zeitung "Kasachstanskaja Prawda" hatte ein Interview mit dem Parteichef der OSDP und Oppositionsführer, Scharmachan Tujakbai in stark geänderter Form abgedruckt. Weitere Vorwürfe aufgrund von Zensur und ungleichem Zugang zu den Massenmedien folgten auch in den vergangenen Tagen von Seiten der Oppositionspartei.

"Präsident Nasarbajew nutzt seine Stellung aus, um Wahlkampf für die Regierungspartei Nur-Otan zu betreiben", erklärt Dosym Satpajew, ein regimekritischer Politologe. Die Verfassung aber verbiete es, dass ein Staatsangestellter seine Position nutze, um Wahlkampf für eine bestimmte Gruppierung zu führen.Der Chef der Zentralen Wahlkommission Kuandyk Turgankulow weist die Anschuldigungen zurück. Alle Parteien hätten die gleichen Chancen, unter anderem auch den gleichen Zugang zu Massenmedien und Presse.

Dabei haben die Parlamentswahlen für die kasachstanische Führung eine besondere Bedeutung. Deren vorbildlicher Verlauf wird als wichtiger Schritt verstanden, das Image Kasachstans, das sich als erste der Nachfolgestaaten der Sowjetunion auf den Vorsitz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) im Jahr 2009 bewirbt, zu verbessern. Die kasachstanische Bewerbung wird von Deutschland und Frankreich unterstützt. Großbritannien und die USA, ebenfalls Mitglieder der OSZE, lehnen sie aufgrund substantieller demokratischer Defizite ab.

"Mir ist egal, was die Wahlen bringen. Ich gehe sowieso nicht hin, denn das verändert doch nichts", sagt Denis Maximow. Der junge Mann gehört eigentlich zu den Gewinnern des Aufschwungs. Er arbeitet in der Filiale eines ausländischen Aluminiumunternehmens und verdient gut für kasachstanische Verhältnisse. Dennoch hält er nichts vom politischen Wettbewerb in seinem Heimatland. Das Gehabe um die Wahlen, die beiderseitigen Beschuldigungen. All das seien doch nur Konstrukte, die sich irgendwelche Leute an der Spitze ausdenken.

Pragmatischer schätzen viele andere Kasachstaner, und nicht zuletzt verschiedene Meinungsforschungsinstitute die Lage vor den Wahlen ein. Umfragen sehen die Partei des Präsidenten mit bis zu 80 Prozent vorn, die übrigen bei den Wahlen antretenden Parteien schneiden hingegen miserabel ab. Im besten Falle wird einer der übrigen Oppositionsparteien der Sprung über die Sieben-Prozent-Hürde prognostiziert. Der Stabilität der Ära Nasarbaijew scheint auch bei diesen Wahlen der Vorrang gegenüber Rechtsstaatlichkeit und Demokratie gegeben zu werden.

Anmerkung: Im Text wird der Begriff Kasachstanisch anstelle von Kasachisch verwendet, da Kasachisch nur die Ethnie bezeichnet. De-facto ist das Land aber ein Vielvölkerstaat.



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