Stadt der Winde und des Öls
Baku, die Stadt der Winde und Hauptstadt Aserbaidschans, empfängt seine Gäste an diesem Tag mit Windstärke fünf. Der Wind pfeift über den Kierow-Platz, von dem aus man den wohl besten Panoramablick auf die Millionen-Stadt genießen kann: die Protzbauten der Altstadt, die langgezogene Uferpromenade, die Hafenkräne und das Kaspische Meer, das sich sichelförmig in das Land gezwängt hat. Selbst Einheimische wie Walida Abasowa, die mit Mühe ihr buntes Haartuch festzuhalten versucht, staunen über die Kraft des Windes. "In Baku gibt es das ganze Jahr über Wind, doch so stark wie heute ist er selten", sagt die Dolmetscherin. Das allerdings hat auch seine Vorzüge. Denn während sonst der stetige Geruch des Erdöls über der Stadt liegt, weht so frische Luft nach Baku.
Baku und sein Öl ist eine ewige Geschichte. Stadt und Land haben dem Öl viel zu verdanken, seitdem Mitte des 19. Jahrhunderts auf der Halbinsel Abscheron industriell in großem Maß nach Erdöl gebohrt wurde und das Land um 1900 zum größten Erdöllieferanten der Welt aufstieg. Zwar sind diese Glanzzeiten vorbei, doch im Kaspischen Meer wird weiterhin kräftig Öl gefördert und Richtung Westen exportiert. Dank des Wirtschaftbooms und gut bezahlter Fachkräfte aus dem Westen haben auch in Baku exquisite Boutiquen, deutsche Nobelkarossen und schicke Restaurants längst Einzug gehalten. Von dem Aufschwung profitiert jedoch nur eine kleine Oberschicht: 40 Prozent der Landesbewohner leben laut offiziellen Statistiken unterhalb der Armutsgrenze. Zu ihren Lasten geht auch der Aufschwung in Bakus Zentrum. "Bürotürme und große Hochhauskomplexe in den besten Innenstadtlagen verschandeln die Altstadt und vertreiben ihre Bewohner, die sich die hohen Mietpreise nicht mehr leisten können", klagt Abasowa. Durch die rege Bautätigkeit verschwinden zudem auch die historischen Prachtbauten, die einst Bakus architektonischen Ruf als "Weiße Stadt" ausmachten.
Im Trubel der wirtschaftlichen Geschäftigkeit Bakus gerät dabei leicht in Vergessenheit, dass Baku mit seinen geschätzten 2,5 Millionen Einwohnern mehr zu bieten hat als nur Business und das Bild verrostender Förderturmskelette im Kaspischen Meer, das einst für die Verfolgungsjagden im James-Bond-Film "Die Welt ist nicht genug" eine eindrucksvolle Kulisse abgab. So prägt die pulsierende Altstadt mit ihrem hektischen Autoverkehr der Jungfernturm, von dem sich einer Sage nach die Tochter des Khans ins Meer hinunterstürzte, weil ihr der Vater die Liebe zu einem Hirten verboten hatte. Heute steht der 29 Meter hohe und mit zu fünf Meter dicken Gemäuern klobige Koloss in deutlicher Entfernung vom Meer, doch für einen Blick auf das Meer lohnt der Aufstieg allemal. In der Altstadt, am höchsten Punkt des Gassengewirrs, thront ein weiteres Wahrzeichen der Stadt: Der Schirwan-Schah-Palast. Mit seinen massiven Mauern aus hellgelbem Stein, den gemeißelten Kalligraphien, ausgeklügelten Belüftungssystemen und filigranen Fenstergittern zählt der im 15. Jahrhundert errichtete Bau heute zum Weltkulturerbe der Unesco.
Wem Trubel und Hektik in Baku zu viel werden, sollte flüchten. Dafür braucht er aber Zeit und Geduld auf Aserbaidschans maroden Straßen. Ein Trost: Einsam sein wird er nie. Treuer Begleiter auf Schritt und Tritt sind Heydar Alijew und sein Sohn Ilcham. Fotos und Sprüche des 2003 verstorbenen Staatspräsidenten Heydar Alijew und seines heute herrschenden Nachfolgers Ilcham sind stets präsent bei der Reise durch das Land des Feuers, das rund neun Millionen Einwohner hat und etwa so groß wie Bayern ist. Ob entlang von Straßen, an öffentlichen Gebäuden, Straßenkreuzungen; ob in der Hauptstadt oder einem entlegenen 1000 Einwohner-Kaff inmitten der Steppe - die Alijews und mit ihnen ihre Lobpreisungen über den Fortschritt im eigenen Land, waren schon da. Bei den meisten Aserbaidschanern kommt der Personenkult schlecht weg. Negativ darüber reden will in dem von starker Hand des Präsidenten geführten Land aber niemand. "Wir alle dachten, dass die Propaganda nach dem Tod Heydars weniger wird. Stattdessen wurde es immer mehr", sagt eine Passantin in Baku, die ihren Namen lieber nicht nennen möchte.
Wer sich von der einfallslosen Politik-Propaganda nicht stören lässt und die trostlose braune flache Steppeneinöde um Baku herum hinter sich gebracht hat, wird mit einer reichhaltigen Natur belohnt. Folgt man etwa der sagenumwobenen Seidenstraße von Baku aus für mehrere Stunden Richtung Nordwesten, erwartet einen eine malerisch gelegene Kleinstadt am Fuß des Großen Kaukasus. Sheki mit dem ehrwürdigen Shekikhans Palast, den Karawansereien und etlichen Kunsthandwerkern gilt vielen als schönste Stadt des Landes. Ein äußerst seltenes Naturschauspiel bietet dagegen der Süden des Landes: Unzählige Schlammvulkane blubbern nur rund 100 Kilometer von Baku nicht unweit der Hauptstraße. Und auch der Westen des Landes hat bald seine Highlights, hofft zumindest das Tourismusministerium des Landes. Auf den Spuren des französischen Schriftstellers Alexandre Dumas sollen Besucher durch den Kaukasus wandeln. Und auch wer sich auf die Suche nach deutschem Kulturgut begibt, wird nicht enttäuscht. Eine Weinroute durch die kaukasischen Dörfer, in denen deutsche Siedler bis Mitte des 20. Jahrhunderts edlen Wein und Cognac herstellten, soll bald Touristen aus Deutschland nach Aserbaidschan locken.