Polen

Woodstock an der Oder

Wenn er pfeift, fällt keine Klappe, sondern es geht die Post ab: Roman Polanski ist Bahnhofsvorsteher von Zary (Sorau). Zu seinen Pflichten gehört es Jahr für Jahr, eine ganz besondere Haltestelle zu eröffnen: die "Haltestelle Woodstock", das größte Rockfestival Polens. Jährlich treffen sich in der Nähe der deutsch-polnischen Grenzstadt Kostrzyn (Küstrin) rund 300.000 Rockfans unter dem Motto "Liebe, Freundschaft, Musik". Doch dieses Jahr könnte es vorerst das letzte Mal gewesen sein. Finanzielle Probleme machen den Veranstaltern des kostenlosen und nicht-kommerziellen Festivals zu schaffen.


Schlammspiele / Andreas Metz, n-ost

Die ersten Besucher kamen in diesem Jahr schon zehn Tage vor dem Festivalstart aus der Nähe von Krakau angereist und kampieren seitdem auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz bei Kostrzyn. Wenn das Festival am Freitag offiziell startet, werden dort bereits Tausende von Zelten stehen. Seit 1995 gibt es die "Haltestelle Woodstock", seit 2004 findet sie an der deutsch-polnischen Grenze statt, folglich sind unter den Besuchern zahlreiche Deutsche. Auf der Bühne, einer der größten Festivalbühnen Europas, stehen in diesem Jahr an zwei Tagen mehr als 40 Bands, unter anderem die US-Rocker von "Type o Negative" und die Kieler Formation "Smoke Blow". Auch Nachwuchsbands stehen Schlange, um dabei zu sein: Bei den Veranstaltern gingen mehr als 800 Bewerbungen von Musikgruppen ein, darunter 120 aus Deutschland. Musiker aus dem Nachbarland sind regelmäßig dabei, mehrmals spielten hier zum Beispiel die Toten Hosen.

Die sorgten allerdings 2005 für einen Eklat, als einer ihrer Tontechniker nicht nur die Zuschauer im Internet abklemmte, sondern die Aufzeichnung für die Dokumentation zum Festival unterbrach.Der Verkauf von DVD ist eine wichtige Einnahmequelle für die Veranstaltung, die keinen Zloty Eintritt kostet. Ursprünglich war die "Haltestelle Woodstock" als Dankeschönfete für die Helfer des Großen Orchesters der Weihnachtshilfe (Wielka Orkiestra Swiatecznej Pomocy, WOSP) gedacht. So nennt sich eine Stiftung, die seit 1993 mit jeweils einer großen Aktion zu Jahresanfang Spenden sammelt für die Ausstattung von Kinderkrankenhäusern. Zum großen Finale, das immer am zweiten Januarsonntag des Jahres abgehalten wird, finden zahlreiche Konzerte, Feste und Auktionen im ganzen Land statt.

Das Spektakel, das mit Bildern von Herzen, Sonnenblumen und Engelsfiguren hippieesk und bunt aufgemacht ist, wird live im Fernsehen übertragen, tausende ehrenamtliche Helfer gehen mit der Spendenbüchse auf den Straßen sammeln und verteilen dafür herzförmige Aufkleber.Und die Spendendosen werden voll: Beim 15. Finale am 14. Januar 2007 kamen rund 9,35 Millionen US-Dollar zusammen - nicht nur in Polen, sondern zum Beispiel auch in den Hochburgen der Polonia in den USA. Gesammelt wird jeweils für einen bestimmten Zweck - in diesem Jahr für die Unfallrettung von Kindern und für Unterricht in Erster Hilfe. Insgesamt rund 72 Millionen US-Dollar hat die Stiftung nach eigenen Angaben bisher in die medizinische Ausrüstung von 650 Krankenhäusern in ganz Polen investiert.

Dabei genießt die Stiftung ein Vertrauen, von dem andere Institutionen in Polen vermutlich nur träumen können. Das liegt zum einen an der Transparenz: Über jeden Zloty, betont die Stiftung, werde Rechenschaft abgelegt. Die Finanzberichte sind im Internet einsehbar. Zum anderen hat es auch mit der Person des Machers zu tun. Jerzy Owsiak, der Vater von WOSP, ist Radio- und Fernsehmacher, Aktivist und die Seele des Unternehmens "Woodstock". Am Ende jedes Festivals hat sich der Mann mit der runden Brille und der Glatze heiser geschrieen, doch die Fans lieben ihn. "Wenn er wollte, dass jemand in den Sejm gewählt würde, dann würden die Leute denjenigen dorthin tragen", sagt zum Beispiel "Woodstock"-Fan Gregor Piotrowski aus Leknica.

Für Ordnung auf dem Festival sorgt eine rund 1000-köpfige Freiwilligentruppe - die so genannte Friedenspatrouille (Pokojowy  Patrol). Das Konzept geht auf: Die "Haltestelle Woodstock" gilt als ausgesprochen friedlich und sicher. Das dürfte auch damit zusammenhängen, dass außer Bier kein Alkohol ausgeschenkt wird. Schwierig dürfte es eher von einer anderen Warte her werden. Mittlerweile ist die Veranstaltung so groß geworden, dass Organisator Owsiak öffentlich darüber nachdenkt, dass das diesjährige "Woodstock" das letzte dieser Größenordnung gewesen sein könnte. Knackpunkt sind die Kosten: Fast zwei Millionen Zloty (über 500.000 Euro) verschlingt jede Ausgabe des Mammutfestivals. "Es darf der Stiftung keine Verluste bereiten", sagte Owsiak Zeitungsberichten zufolge. Deshalb denke man über eine veränderte, kleinere Version des Festivals nach - auch wenn er sich noch nicht definitiv entschieden habe.


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