Rumänien

Dornröschen am Fuß der Karpaten

Kronstadt in Siebenbürgen ist ein architektonisches Kleinod - das auf seine Rettung wartetKronstadt/Brasov (n-ost) - Wäre man nicht mitten in Rumänien, man könnte sich im süddeutschen Alpenvorland wähnen. Kronstadt, rumänisch Brasov, liegt direkt am Fuße des südlichen Karpatenbogens, der hier Höhen bis über 2500 Meter erreicht, und nicht nur wegen seiner Ski-Gebiete und der Törzburg in Bram, dem angeblichen Schloss des Grafen Dracula, sehenswert ist. "Die Ähnlichkeit mit Deutschland hat einen Grund", so der junge rumänische Historiker Alexandru: "Kronstadt wurde vor 800 Jahren von den Rittern des Deutschen Ordens gegründet. Diese befanden sich im Jahre 1211 auf dem Nachhauseweg eines Kreuzzugs aus dem Heiligen Land und erhielten, als sie durch die Länder des Königreichs Ungarn zogen, Ansiedlungsrecht im Burzenland, wie die Senke innerhalb des Karpatenbogens genannt wurde."


Schwarze Kirche in Kronstadt
Peter BurdackDie Herrschaft des Deutschen Ordens währte nicht lange. Nachdem sie sich daran machten, einen autonomen Ordensstaat zu gründen, wurden sie vom ungarischen König vertrieben. Die Ordensritter zogen ins spätere Ostpreußen weiter. Doch "Corona", wie sie ihre Ansiedlung im Burzenland getauft hatten, sollte sich zu einer bedeutenden Siedlung entwickeln. Der ungarische König lockte Siedler aus dem zumeist süddeutschen Raum in sein Reich. Begabte Handwerker, Bauern, vor allem auch Bergleute und Händler folgten dem Ruf und begannen, das an Naturschätzen reiche "Land jenseits der Wälder", wie Transsilvanien übersetzt heißt, zu besiedeln.Die Bezeichnung "Siebenbürgen" erhielt die Region aufgrund der sieben "Stühle", wie die Verwaltungseinheiten der Region im Mittelalter genannt wurden. Auf ihrem Land, dem "Königsboden", waren die deutschen Siedler durch die Jahrhunderte hinweg ihre eigenen Herren, während Siebenbürgen zeitweise unter türkische und später habsburgische Herrschaft fiel.Kronstadt besteht aus mehreren Teilen, die allmählich zusammenwuchsen. Den ältesten Teil bildet die Altstadt, rumänisch Brasovul, rund um die Kirche des Deutschritterordens in Bartholomä, am Fuße des Martinsbergs. Später wurde der Kern der Stadt nach Süden verlegt, direkt unter den Berg Zinne, rumänisch Tampa, die über der Stadt aufragt. Unverkennbar thronen dort heute im Stile Hollywoods die überdimensionalen Lettern mit der Aufschrift "Brasov", die zu Zeiten Ceaucescus wohl daran erinnern sollten, dass Kronstadt zu einer rumänischen Stadt geworden war. Heute kann man mit einer Seilbahn auf die Zinne hinauffahren und einen atemberaubenden Blick über die Stadt und weit nach Siebenbürgen hinein genießen.Bis ins 19. Jahrhundert stellten die Siebenbürger Sachsen, wie die Deutschen in Transsilvanien genannt wurden, dank ihrer Privilegien die Oberschicht der Stadt. Der Name Sachsen beruht darauf, dass man Deutsche im Mittelalter oft als "saxones" bezeichnet hatte. Neben den deutschen Ansiedlungen entstanden im Osten Kronstadts die von Ungarn bewohnte Siedlung Blumenau und die von Rumänen, Bulgaren und Griechen bewohnte Obere Vorstadt.Der deutschen Vorherrschaft folgte während der K.u.K.-Monarchie eine ungarische, und im 20. Jahrhundert schließlich eine rumänische, die mit der nationalistischen Diktatur Ceaucescus einen traurigen Höhepunkt erreichen sollte. Ab den 60er Jahren wurden die Deutschen Siebenbürgens von der Bundesrepublik einer nach dem anderen freigekauft. Für Ceaucescus devisenarme Diktatur waren die Deutschen eine wichtige Einnahmequelle. Zudem diente die Maßnahme dazu, das Land zu "romanisieren". Die Folge war ein massiver Schwund der sächsischen Bevölkerung, die sich in ihrem kulturellen Leben in die für das Land typischen Kirchenburgen - einst Schutzstätten kriegerischer, nun ideologischer Angriffe - zurückzogen. Der letzte Exodus der Sachsen erfolgte nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und der Öffnung Rumäniens. Zurück blieben die Alten. Die deutsche Kultur in der Region scheint dem Aussterben geweiht.Die 80-jährige Rentnerin Katharina, eine der wenigen Sachsen, die noch in der Stadt lebt, erinnert sich an bessere Zeiten: "Früher, als die unsrigen noch viele waren, ging es viel ordentlicher in der Stadt zu. Unsere Häuser bröckeln jetzt, weil niemand mehr daran interessiert ist, unser kulturelles Erbe aufrechtzuerhalten", seufzt die Rentnerin im siebenbürgisch-sächsischen Dialekt. Kronstadt ist heute mehrheitlich orthodox und rumänisch. Das liegt auch daran, dass ab den 70er Jahren Umsiedlungsprogramme gewachsene Bevölkerungsstrukturen auseinander rissen.Heute zählt die deutsche Minderheit in Kronstadt weniger als 1000 Personen, bei einer Gesamtbevölkerung von 280.000. Als Kind hat es der Historiker Alexandru noch erlebt, wie die große gotische Schwarze Kirche, das Wahrzeichen der Stadt, bei den Gottesdiensten voller Menschen war. Die Innenstadt war deutsch-evangelisch geprägt, denn die deutsche Bevölkerung der Stadt hatte im Jahr 1543 als eine der ersten in Europa die lutherische Reformation angenommen. Kronstadt ist noch heute stolz auf seinen berühmten Reformator, den Humanisten Johannes Honterus, der dazu beitrug, Luthers Thesen in ganz Siebenbürgen einzuführen. Das Zentrum der Kronstädter Reformation war seit jeher die mächtige Marienkirche, deren Bau 1383 begann und die heute die größte gotische Kirche im Südosten Europas ist. Nach dem Stadtbrand von 1689 erhielt sie aufgrund der vom Ruß geschwärzten Mauern im Volksmund ihren heutigen Namen Schwarze Kirche.Alexandru gehört zu einer neuen Gruppe junger Historiker, die den Beitrag der Minderheiten zur Geschichte des Landes nicht klein reden wollen. "Zur Zeit Ceausescus hat sich eine Mentalität entwickelt, der zufolge alles, das nicht von Rumänen stammte, entweder romanisiert oder beseitigt werden sollte." Auch heute noch scheint sich die Politik wenig um das historische Erbe Kronstadts zu kümmern, denn viele der alten Gemäuer verfallen. So wird der alte Mauergürtel der Stadt nur notdürftig mit Beton zusammengehalten. "Ohne die Hilfe aus Deutschland und dem Westen wären die historischen Bauten dem Untergang geweiht. Die Schwarze Kirche wurde mit Müh und Not mit dem Geld deutscher Stiftungen restauriert", so der Historiker.Die imposante Kirche ist heute ein wichtiger Anziehungspunkt für Stadtbesucher und dabei,  als Sitz der deutschen evangelischen Gemeinde, auch einigen Bewohnern ein Dorn im Auge. "Einige Rumänen meinen, die Kirche wäre von ihnen gebaut worden, besonders alte Leute, die in der Ceausescu-Ära in der Schule den Beitrag der Minderheiten zur Kultur des Landes zu unterschätzen lernten." Diese Geschichtsverdrehungen versuchen Historiker wie Alexandru zu korrigieren.Trotz bröckelnder Fassaden, ist die Stadt bei Touristen sehr beliebt, auch weil in der Nähe der berühmte Erholungsort Schullerau (Poiana Brasov) liegt. In den Sommermonaten findet in Kronstadt das beliebte Musikfestival "Der Goldene Hirsch" (Cerbul de Aur) statt. Im Zentrum, wo heute wieder das Leben pulsiert, kann man den morbiden Charme vergangener Zeiten erleben und gemütlich bei einer Tasse Cafe auf dem Rathausmarkt sitzen. Der von malerischen Gebäuden gesäumte große Renaissanceplatz umgibt das 1420 erbaute Rathaus, das zweite Wahrzeichen der Stadt.Größte Hoffnung der verbliebenen Deutschen auf Rettung ihrer Kultur sind die deutschsprachigen Schulen, die es in Siebenbürgen in den größeren Gemeinden wie Hermannstadt, Mediasch oder Kronstadt noch gibt. Diese deutschen Schulen, wie beispielsweise das Brukenthal-Gymnasium in Hermannstadt, genießen auch unter Rumänen einen hervorragenden Ruf.Auch im Kronstädter Lyzeum neben der Schwarzen Kirche lernen rumänische und ungarische Kinder die Grundlagen der deutschen Sprache und Kultur, wobei nicht wenige von ihnen auch den Glauben der Sachsen übernehmen. Die evangelische Kirche ist zu ihrem Selbsterhalt um Integration bemüht. "Es gibt neben dem deutschen Hauptgottesdienst auch einen rumänisch abgehaltenen Gottesdienst, der von den Jugendlichen gut besucht wird", so Frau Johanna, ein Mitglied der Gemeinde.In Hermannstadt (Sibiu), der diesjähirgen Europäischen Kulturhauptstadt, brachte es der Deutsche Klaus Johannis fertig, mit 88 Prozent der Stimmen zum Bürgermeister gewählt zu werden. Das zeigt, dass die Sachsen nicht nur innerhalb ihrer Kirchenmauern, sondern auch im politischen Geschehen Transsilvaniens wieder eine Rolle spielen. Allerdings steht Kronstadt klar im Schatten der nicht unbedingt schöneren transsilvanischen Schwester. Hier  scheiterte das Deutsche Forum, ein "Hermannstädter Modell" einzuführen.
Seit Januar 2007 ist Rumänien EU-Mitglied und das erweckt auch die Hoffnung bei den Kronstädtern, mithilfe der EU-Gelder mehr für die Stadt erreichen zu können. Bis das Geld fließt, versucht man, die alte Bausubstanz irgendwie vor dem Zerfall zu bewahren und die deutsche Geschichte der Stadt den jüngeren Generationen nahezubringen. Historiker Alexandru blickt optimistisch in die Zukunft: "Kronstadt, war eine Kreuzung der Kulturen und kann auch heute wieder ein idealer Ort für Begegnungen zwischen West und Ost werden."Ende
Infokasten:Aktuelle Veranstaltungen der Deutschen evangelischen Gemeinde:
Orgelkonzerte in der Schwarzen Kirche im August jeweils Di, Do und Sa 18 Uhr
Musikreihe Diletto Musicale jeweils Sonntags um 17 Uhr in der Tartlauer Kirchenburg bei Brasov:5. August: Konzert des Duos L'Arcadia aus der Schweiz12. August: Ensemble Cantate Domino19. August: Jugendbachchor26. August: Werke für zwei Gitarren2. September: Madrigalchor HeidelbergAnreise:German Wings fliegt So und Mi kostengünstig von Köln/Bonn nach Bukarest (Baneasa) hin und zurück, stündliche Zugverbindung von Bukarest nach Kronstadt (Fahrtzeit ca. 2 Stunden)
Unterkunft:www.brasov.ru (in Englisch)Rumänisches Tourismusamt
in Berlin: 030/24 19 04 1
in München: 089/51 56 76 87http://www.rumaenien-tourismus.de/
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