Abschied mit Referendum und Blumenmeer
Valdis Zatlers löst Vaira Vike-Freiberga als lettisches Staatsoberhaupt abRiga (n-ost) - Am Samstagabend endet nach zwei Wahlperioden die Amtszeit von Lettlands Präsidentin Vaira Vike-Freiberga. Tags darauf übernimmt der umstrittene Unfallchirurg Valdis Zatlers das Amt des Staatsoberhaupts. Das von Ministerpräsident Aigars Kalvitis geführte Kabinett hatte zum Jahreswechsel in einem Eilverfahren ohne Parlamentsdebatte zwei Gesetzesänderungen beschlossen, die der Regierung eine stärkere Einflussnahme auf die Arbeit der Sicherheitsdienste einräumen.Vike-Freiberga legte gegen den Beschluss ihr Veto ein und forderte von der Regierung die Rücknahme dieser Änderungen. Nachdem sich das Kabinett weigerte, einigte man sich auf ein Volksreferendum, das an diesem Wochenende stattfinden wird. Hintergrund für Vike-Freibergas Ablehnen der Gesetzesänderungen sind Befürchtungen, dass dadurch sicherheitsrelevante Informationen in falsche Kanäle gelangen könnten. Gestützt werden diese Bedenken von zahlreichen Korruptionsskandalen in den vergangenen Monaten, in die Politiker des Regierungslagers verwickelt sind. So sorgt derzeit eine noch unveröffentlichte Liste mit Namen von Abgeordneten für Unruhe, die von dem seit März in Untersuchungshaft sitzenden Bürgermeister von Ventspils, Aivars Lembergs, umfangreiche Zahlungen erhalten haben sollen.Lettlands scheidende Präsidentin appellierte in ihrer letzten Rede vor dem Parlament an die Politiker, die Arbeit der Abgeordneten und Parteien sowie deren Finanzierungsquellen kritisch zu überprüfen. Zugleich forderte sie die Staatsanwaltschaft noch einmal auf, konsequent gegen Korruption vorzugehen, um das verloren gegangene Vertrauen in die Politik wieder herzustellen. Während das Kabinett die Bedeutung des bevorstehenden Referendums herunter zu spielen versucht, betrachten Kritiker es als Möglichkeit, der offenbar von bestimmten Interessengruppen beeinflussten Regierungspolitik die rote Karte zu zeigen. Andere sehen in der Abstimmung eine Gelegenheit zum Ausdruck der Verbundenheit mit der scheidenden Präsidentin.Wie groß die Popularität von Vike-Freiberga in der lettischen Bevölkerung ist, zeigte sich erneut am vergangenen Wochenende. Trotz strömenden Regens versammelten sich mehrere Tausend Menschen am geschichtsträchtigen Ort Turaida, um ihrer 70-jährigen Präsidentin Blumen zu überreichen und sich persönlich zu bedanken. Zuvor schickten Bürger aus ganz Lettland in einer von der Post unterstützten Aktion eine halbe Million Blumen nach Turaida, aus denen dann zahlreiche Freiwillige in einer Nachtaktion einen riesigen Teppich gestalteten.Auch im Ausland hat sich Vike-Freiberga in ihrer insgesamt achtjährigen Amtszeit enormes Ansehen erworben. Die im Exil aufgewachsene Psychologieprofessorin spielte seit ihrer Wahl zur Präsidentin 1998 eine entscheidende Rolle bei der Aufnahme Lettlands in die NATO und die EU und war 2006 gar als UNO-Generalsekretärin im Gespräch. Bei Lettland denke man zuerst an Vaira Vike-Freiberga, sagte der estnische Präsident Toomas Hendrik Ilves während eines Abschiedsbesuchs am Dienstag in Riga. Sein litauischer Amtskollege Valdas Adamkus verwies auf die Intelligenz und das diplomatische Geschick, die das erste weibliche Staatsoberhaupt Osteuropas auf der internationalen Bühne an den Tag legte.Ohne nennenswerte politische Erfahrung und bereits von Korruptionsvorwürfen angeschlagen übernimmt am Sonntag Valdis Zatlers die Nachfolge von Vike-Freiberga. Der parteilose Mediziner war als unabhängiger Kandidat des Regierungslagers Ende Mai vom Parlament in das höchste Staatsamt gewählt worden. Zatlers hatte sich Ende der 1980er Jahre in der Volksfront für die Wiedererlangung der Unabhängigkeit Lettlands engagiert und leitete seit 1994 die staatliche Unfallklinik in Riga. Bereits vor seiner Wahl musste der 52-jährige einräumen, als Arzt Geldzuwendungen von Patienten angenommen und diese nicht versteuert zu haben. Er habe jedoch niemals um solche "Geschenke" gebeten, beteuerte Zatlers in der Presse und wies darauf hin, dass diese Form des Dankes gängige Praxis im lettischen Gesundheitswesen sei.Seither wird in der Öffentlichkeit Lettlands eine intensive Debatte über die moralischen Anforderungen an den höchsten Repräsentanten eines EU- und NATO-Mitgliedstaates geführt. Zatlers selbst kündigte dieser Tage eine rasche Klärung der Probleme mit den Finanzbehörden an, ohne dabei auf Einzelheiten einzugehen, und zahlte bereits eine Strafe von umgerechnet 370 Euro für falsch ausgefüllte Steuererklärungen. Dennoch betrachten Kritiker den Unfallchirurgen aufgrund der Vorwürfe als ungeeignet für das Präsidentenamt. Zudem wird davor gewarnt, dass ein derart geschwächtes Staatsoberhaupt keine Kontrolle über die mit Korruptionsvorwürfen konfrontierte Regierung ausüben kann.Die Bevölkerung steht dem als ausgezeichneter Unfallchirurg geltenden Zatlers zunächst abwartend gegenüber. Aktuellen Umfragen zufolge hat sich eine Mehrheit der Letten bislang noch keine Meinung über ihren künftigen Präsidenten gebildet. Am kommenden Sonntag ist nach der Amtseinführung von Valdis Zatlers als erster Termin ein Treffen mit Vaira Vike-Freiberga geplant.*** ENDE ***-------------------------------------------------------------
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