Mord an Hrant Dink entzweit die Türkei
Mitten im türkischen Wahlkampf für die Parlamentswahlen am 22. Juli beginnt am Montag den 2. Juli der Prozess gegen den Mörder Hrant Dinks und dessen Anstifter. Nach Faktenlage tötete der 17-jährige Ogün Samast aus Trabzon im Nordosten der Türkei am 19. Januar den prominenten armenischen Journalisten und türkischen Staatsbürger mit drei Schüssen in Kopf und Genick. Insgesamt werden 18 Angeklagte beschuldigt, an der Tat beteiligt gewesen zu sein.Der Dink-Mord vertiefte die Kluft zwischen den europanahen Kräften und dem so genannten "tiefen Staat", der mittlerweile massiv in die türkische Innenpolitik eingreift.
Der Fall löste in der Türkei eine Welle des stillen Protestes aus. Hunderttausend Menschen strömten in Istanbul zu einem Trauermarsch und gaben Dink das letzte Geleit. Auf der anderen Seite stehen ultranationalistische, EU-feindliche Hardliner vor allem aus Kreisen des Militärs. Diese ahmten am 24. Juni sogar den stillen Schweigemarsch zu Dinks Begräbnis nach. Motto der von den Nationalisten initiierten Demo war der Kampf gegen den Terror. Seit Jahren wird das Thema Terrorbekämpfung instrumentalisiert, um in der Türkei autoritäre Politik zu rechtfertigen. Vor allem kritische Intellektuelle wie Dink werden beschuldigt, Separatisten und Verräter zu sein.
Hrant Dink / Sabine Küper-Büsch, n-ost
In Anlehnung an die Schilder auf der Dink-Beerdigung, "Wir sind alle Armenier", waren auf der Demo die Gegensprechchöre "Wir sind alle Türken" zu hören. Der Spruch spielt auch auf den in der Türkei geltenden Straftatbestand "Beleidigung des Türkentums" an, der Dink wegen seiner kritischen Berichte vorgeworfen worden war. Bei Gründung der Republik sollten sich alle Bürger des Vielvölkerstaates als Bürger der Türkei fühlen, ungeachtet der ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit.
Ultranationalistische Kreise vertreten jedoch eine rassistische Auslegung von Kernsätzen wie, "Wie glücklich, wer von sich sagen kann, er ist Türke." Ein Zitat des Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürk, das jedes Schulkind in der Türkei wöchentlich mindestens zweimal während eines Schulappells innerhalb eines nationalistischen Gedichtes aufsagt.
Hrant Dink hatte sich als Chefredakteur der armenisch-türkischen Zeitung Agos darüber beschwert, dass die religiösen Minderheiten in der Türkei von manchen als Ausländer und potentielle innere Feinde betrachtet werden. Sein publizistisches Bestreben lag darin, als in der Türkei lebender Armenier die eigene Geschichte zu thematisieren. Gleichzeitig wehrte er sich aber gegen den Druck der armenischen Diaspora außerhalb der Türkei, die die Anerkennung des Genozids an den Armeniern zur Vorbedingung für jeden politischen Dialog mit der Türkei macht.
Ein Satz aus einem Artikel, in dem Dink an die Armenier appelliert, sich vom Türkenhass als eine ihr Blut vergiftende Substanz zu befreien, wurde dem Autor trotz eines gegenläufigen linguistischen Gutachtens als "Beleidigung des Türkentums" ausgelegt und führte zu einer Bewährungsstrafe. Der Prozess wurde von einer Gruppe ultranationalistischer Anwälte angezettelt.Die Querverbindungen dieser Leute zur Staatsbürokratie und zum Sicherheitsapparat sind gleichbedeutend mit einer unheilvollen Verbindung von Fanatismus und politischer und exekutiver Macht in der Türkei. In Trabzon reichen die Hintermänner der Mörder bis in die Reihen der Polizei und der Militärpolizei "Jandarma".
Der mutmaßliche Dink-Mörder Ögün Samast gehört zum Umfeld der ultranationalistischen Jugendorganisation "Alperen Ocagi". Nach Angaben einiger der Angeklagten um Samast kamen die Aufforderungen zum Mordanschlag aus diesen Kreisen, die gleichzeitig vielen Mitgliedern der Sicherheitskräfte nahe stehen. Hrant Dink hatte kurz vor seiner Ermordung angegeben, von einem pensionierten General namens Veli Kücük bedroht zu werden. Kücük trat auch neben dem Anwalt Kemal Kerincsiz als Nebenkläger im Prozess wegen "Beleidigung des Türkentums" auf.Unlängst wurde im Istanbuler Vorort Ümraniye in einem Haus ein Waffenlager mit siebenundzwanzig Handgranaten entdeckt. Die Besitzer stammen ebenfalls aus Kücüks Umfeld. Die türkischen Medien wurden angewiesen, dass sie über die Ermittlungen aus Gründen der nationalen Sicherheit nicht berichten dürfen, wie die Tageszeitung "Radikal" zu schreiben den Mut hatte.
Seit die türkische Armee im April offen mit Androhung eines Putsches in die Wahl des Staatspräsidenten eingriff, versucht der Regierungschef Tayyip Erdogan die Machtkämpfe hinter den Kulissen zu thematisieren. Doch wie jede türkische Regierung ist auch Erdogan selbst darin verstrickt. Als es konkrete Beschuldigungen gegen den seit einem halben Jahr amtierenden Oberbefehlshaber der Streitkräfte, Yasar Büyükkanit, gab, Teil der Kontraguerilla zu sein, traf er sich mit Regierungschef Erdogan. Der die Ermittlungen führende Staatsanwalt wurde daraufhin vom Dienst suspendiert und die Ermittlungen gegen Büyükanit wurden eingestellt.
Wie stark die Streitkräfte in der Politik mitmischen zeigte ein Gedicht, dass der amtierende Jandarma Kommandant von Giresun, Dursun Ali Karaduman, Mitte Juni auf der Beerdigung eines im Kampf gegen die PKK gefallenen Soldaten vortrug. Darin bezieht er sich auf den ermordeten Hrant Dink. "Ich (der gefallene Soldat) bin auch wie Dink gestorben..., ich bin in meinem Vaterland bei dem Versuch es vor den Vaterlandslosen zu schützen, gestorben, aber niemand hat mir eine Schlagzeile gewidmet." Die türkische Öffentlichkeit erwartet das Verfahren gegen die Mörder Hrant Dinks mit Spannung. Ob jedoch die ebenfalls ideologisch zerklüftete Justiz die Hintergründe tatsächlich aufklären will, ist fraglich.