Kosovo

Die Waffe im Schrank

Ein heißer Sommernachmittag in Hajvalia bei Pristina, im „Camp Victoria“, dem Stützpunkt des schwedischen Kontingents der internationalen Truppen im Kosovo (KFOR). Eine Flex frisst sich kreischend durch Metall, Funken fliegen, ein Stück Rohr fällt zu Boden. Die Anwesenden applaudieren. Der Herr in Hemd und Krawatte legt die Flex nieder, nimmt Lederschürze und Schutzbrille ab und gesellt sich wieder zu dem Grüppchen der Honoratioren. Einer der schwedischen Soldaten wirft das nun unbrauchbare Gewehr zu den anderen auf den Haufen und nimmt das nächste aus der Kiste, um es zu zerstören.


Schwedischer KFOR-Soldat beim Zerflexen eines Sturmgewehrs / Hazir Reka, Reuters


Das schwedische KFOR-Kontingent hat für heute zu einer öffentlichen Waffenvernichtung eingeladen. Federführend bei dem Projekt KOSSAC (Kosovo Small Arms Control) ist das United Nations Development Programme, kurz UNDP. Finanziert wird es von den Regierungen Großbritanniens, Schwedens, der Niederlande und Belgiens sowie von der EU. Die 7000 Gewehre und Pistolen, die heute vernichtet werden sollen, sind die bisher größte Partie der seit Kriegsende beschlagnahmten 13.000 Kleinfeuerwaffen. Sie stammen aus Privathaushalten im ganzen Kosovo und wurden von der kosovarischen Polizei, UNMIK-Polizei und KFOR zusammengetragen. Jetzt liegen sie in Holzkisten bereit zum Zersägen.

Der kosovo-albanische Premierminister Agim Çeku ist erschienen, dazu der Chef des UNDP und eine Handvoll Journalisten. Çeku dankt in seiner Ansprache der Polizei und der UNDP für ihre Arbeit. Dann darf jeder der Honoratioren und Journalisten persönlich eine Waffe unschädlich machen. Anschließend reicht der Koch von „Camp Victoria“ Häppchen mit geräuchertem Elchfleisch, Bier und Mineralwasser aus Schweden. T-Shirts und Anstecker mit dem Logo „Waffen unter Kontrolle“ werden verteilt.

Die schwedischen Soldatinnen und Soldaten sind um einen halben Kopf größer als die meisten der albanischen Gäste. Ihr gelassenes Lächeln zeugt von gesundem Selbstbewusstsein und tadelloser Zahnpflege. Acht Monate müssen sie am Stück im Kosovo dienen: Patrouillenfahrten, Konfliktprävention, Wache am serbischen Kloster in Gračanica. Zwischenfälle hat es dort seit der Stationierung des schwedischen Kontingents nicht mehr gegeben.

Die Waffen in den Kisten erzählen eine andere Geschichte vom Soldatsein und vom Kosovo. Sie vertreten hier im Camp Victoria quasi ihre ehemaligen Besitzer. Es sind robuste Kleinfeuerwaffen ohne technische Raffinesse, hergestellt in Albanien, Serbien, Mazedonien oder auch China und Pakistan. Manche wurden offensichtlich nachträglich umgebaut, um sie für ihre Besitzer besser handhabbar zu machen. Einige wurden von der jugoslawischen Armee erbeutet oder von jugoslawischen Soldaten unter der Hand erworben. Die hölzernen und stählernen Kolben sind blank gewetzt, die Griffe dunkel vom Gebrauch. An manchen Gewehrläufen stecken Messer und Bajonette.

Die meisten dieser Waffen stammen noch aus dem Kosovo-Krieg, erzählt Veton Elshani, Sprecher der kosovarischen Polizei. Auch er hat 1998 bis 1999 auf Seiten der UÇK mitgekämpft. Das Kalaschnikow-Kaliber 7.62 sei im Krieg zur Universalmunition geworden, fast alle Waffen, gleich welcher Provenienz, seien auf dieses Kaliber eingerichtet gewesen, das habe den Nachschub wesentlich erleichtert.

Seit Kriegsende ist Waffenbesitz in privater Hand illegal, Waffenscheine die Ausnahme. Die KFOR, die mit der Wahrung der öffentlichen Sicherheit im Kosovo beauftragt ist, geht jedem abgegebenen Schuss nach und kann Hausdurchsuchungen schon beim bloßen Verdacht auf Waffenbesitz durchführen. Aber auch die kosovarische Polizei beschlagnahmte mit gerichtlichem Durchsuchungsbefehl im Zuge ihrer polizeilichen Arbeit Tausende illegaler Waffen.In den Jahren 2002 und 2003 hatte die KFOR eine Amnestie verkündet, aber kaum jemand gab seine Waffe freiwillig ab. Weitere Amnestien hält Elshani derzeit für nicht sinnvoll: „Die Stimmung ist gespannt, das Warten auf die Unabhängigkeit wächst sich zu einem explosiven Zustand aus. Da wollen wir nicht riskieren, dass die Leute bewaffnet auf die Straße gehen – und sei es nur, um ihre Waffe abzugeben.“

Nicht alle Waffen sind illegal. Die Polizei hat bisher insgesamt 159 Lizenzen für das Tragen von Handfeuerwaffen ausgegeben – an Politiker, Sicherheitsangestellte und jeden, der eine persönliche Bedrohung plausibel machen kann. Hinzu kommen 58.000 Lizenzen für so genannte Freizeitwaffen wie Jagdgewehre und dergleichen. Insgesamt vermutet die Polizei noch etwa 400.000 Kleinwaffen in privaten Haushalten im Kosovo, eine gewaltige Summe bei gerade einmal zwei Millionen Einwohnern. „Je mehr Waffenlizenzen wir selbst ausgeben, desto besser“, sagt Veton Elshani. „Von diesen Waffen wissen wir wenigstens, wo sie sind, und können sie jederzeit wieder einsammeln.“ Nach der Herkunft der Waffen wird im Lizenzantrag nicht gefragt. „Das ist schlecht, aber wenn die Leute die Herkunft ihrer Waffen deklarieren müssten, würde niemand sie anmelden“, so Elshani.

Im ganzen Kosovo gibt es keine offizielle Waffenhandlung; die Polizei bezieht ihre Dienstwaffen mit Sondergenehmigung des deutschen UN-Sonderbeauftragten Joachim Rücker legal aus Österreich. Der ungelöste Status des Kosovo bedeute auch die Unmöglichkeit legaler Importe. Der Waffenschmuggel werde so nur stimuliert, gibt Veton Elshani zu. Je eher der Status geklärt werde, desto leichter könne die Polizei gegen die illegalen Waffen angehen.

„Um auf ihre Waffen ganz zu verzichten, fühlen sich die Menschen noch nicht sicher genug“, sagt Veton Elshani. Waffentragen hat im Westbalkan Tradition. Keine ländliche Hochzeit, kein Neujahrsfest im Kosovo ohne Salutschüsse. Aber das Freudenfeuer kann rasch in sein Gegenteil umschlagen. Im Frühjahr 2006 war eine Gruppe britischer Touristen aus Belgrad mit einem Mietwagen im Kosovo unterwegs. Sie sahen eine Hochzeitsgesellschaft am Weg, drosselten aus Neugier die Fahrt und zückten ihre Videokameras. Dieser Umstand und das Belgrader Kennzeichen des Wagens reichten aus, dass die Hochzeiter sich provoziert fühlten – die Karosserie des Jeeps wurde von Maschinengewehrkugeln durchlöchert. Ganz zu schweigen von den Unfällen mit Feuerwaffen, bei denen immer wieder Unbeteiligte, auch Kinder, ums Leben kommen.

Das erklärte Ziel des UNDP (United Nations Development Programme) ist es, das Kosovo zu einem sichereren Ort zu machen. Jede der konfiszierten Waffen bedeute die Verhinderung eines potentiellen Verbrechens, sagt der norwegische UNDP-Chef Frode Mauring und erinnert exemplarisch an einen zwölfjährigen Jungen aus Peja, der bei einem Salutschießen ums Leben kam.

„Im Kosovo wird es immer Waffen geben, und das soll auch so sein“, sagt Premierminister Çeku, ein ehemaliger UÇK-Kommandant. „Aber die Waffen müssen kontrolliert werden.“ In seiner Ansprache zeichnet Çeku das Bild von einem Kosovo, in dem Polizei und Armee das Waffenmonopol haben und alle privaten Waffen registriert sind. Deshalb werden ja heute die beschlagnahmten Waffen vernichtet – damit sie nicht auf illegalen Kanälen wieder in private Hände gelangen und dort zur Destabilisierung des Kosovo beitragen können. Das UNDP rühmt sich seiner engen Zusammenarbeit mit der kosovarischen Regierung bei der Kontrolle über die Kleinwaffen.

Aber dann verzichtet Premier Çeku doch darauf, selbst die Flex in die Hand zu nehmen, wobei er mit einer Geste auf seinen guten Anzug verweist. Vielleicht bringt es der ehemalige General der UÇK auch nicht über sich, eine eigentlich noch brauchbare Waffe zu zerstören.


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