Klage gegen Niederlande und UNO wegen Srebrenica-Völkermord
Überlebende des Massakers sehen Verletzung der Pflicht zur Verhinderung des Völkermords / Zivilklage in Den Haag
Sarajevo/Den Haag (n-ost) - Als die Armee der bosnischen Serben am 11. Juli 1995 die "Safe Area" Srebrenica einnahm, versetzte sie zusammen mit verbündeten Polizeikräften, Spezialeinheiten und weiterer Unterstützer aus Serbien sowie einer Gruppe griechischer Freiwilliger die bosniakische Zivilbevölkerung in Angst und Terror. Sie trennten Familien, vergewaltigten und töteten hunderte Mädchen und Frauen und ermordeten in nur drei Tagen 8.000 bosniakische Männer und Jungen.
Zwölf Jahre nach dem Ereignis reichten die Überlebenden gegen die UNO und die Niederlande eine Zivilklage ein, weil sie ihren Verpflichtungen zur Verhinderung des Völkermords in Srebrenica nicht nachgekommen seien. Das niederländische Bataillon Dutchbat III war im Juli 1995, zum Zeitpunkt des Verbrechens, für die Sicherheit der Bevölkerung in der von der UNO eingerichteten Schutzzone verantwortlich. Anfang Juni machten sich 200 Überlebende des Srebrenica-Massakers auf den Weg nach Den Haag, wo das Anwaltsteam der Vereinigung "Mütter von Srebrenica" die Zivilklage einreichte.
Grafitti niederländischer Blauhelmsoldaten im UN-Compound Dutchbat
Tarik Samarah
"Ob die UN sich auf die Immunität berufen wird, ist im Augenblick noch nicht mit Sicherheit zu sagen", so Dr. Axel Hagedorn, einer der beiden Leiter des internationalen Anwaltteams. "Bei den UN handelt es sich um die wichtigste Menschenrechtsinstitution", erklärt Semir Guzin, bosnisch-herzegowinisches Mitglied des Anwaltteams."
Serbien wurde im Februar diesen Jahres vom Internationalen Gerichtshof, der höchsten juristischen Instanz der UNO, wegen Nicht-Verhinderung des Völkermords in Srebrenica verurteilt, von einer Mittäterschaft am Völkermord jedoch freigesprochen. Nach Verkündung dieses umstrittenen Urteils gelangten Dokumente des Obersten Verteidigungsrates Serbiens an die Öffentlichkeit, die den Verdacht der aktiven Mittäterschaft Serbiens am Völkermord bestätigen.Unter den Spezialeinheiten aus Serbien befanden sich auch die "Skorpione", deren Videoaufzeichnungen über die grausame Hinrichtung sechs bosniakischer Jungen und Männer um die ganze Welt gingen, nachdem die serbische Menschenrechtsorganisation "Fonds für humanitäres Recht" aus Belgrad sie 2005 an die Öffentlichkeit gebracht hatte. Unterstützt von der Jugoslawischen Volksarmee (JNA) erlangte die Armee der Republika Srpksa bereits in den ersten Monaten des Krieges im Frühling 1992 die Kontrolle über weite Teile Bosnien und Herzegowinas. Insbesondere in Ostbosnien, wo die bosniakische Bevölkerung in den meisten Städten die relative oder absolute Mehrheit bildete, beging sie zahlreiche Kriegsverbrechen an der nicht-serbischen Zivilbevölkerung, mit dem Ziel, das Gebiet der Republika Srpska "ethnisch zu säubern" und Serbien anzuschließen. Die Republika Srpska war bereits im Januar 1992, einige Monate vor Kriegsbeginn in Bosnien, von den bosnischen Serben unter Führung Radovan Karadžićs ausgerufen worden.In die belagerte Enklave Srebrenica drängten während des Krieges Tausende von Flüchtlingen aus den umliegenden ostbosnischen Städten, so dass deren Einwohnerzahl auf 50.000-60.000 anstieg. Angesichts der drohenden Übernahme der Stadt durch die Armee der Republika Srpska und aufgrund der katastrophalen Lage der Menschen in Srebrenica, beschloss die UNO im April 1993 die Einrichtung einer so genannten "Safe Area". Die niederländische Regierung stellte für diese Mission 1994-1995 das Bataillon Dutchbat zur Verfügung. Kurz vor Errichtung dieser UN-Schutzzone versicherte der damalige Kommandant der UN-Schutztruppe UNPROFOR, der französische General Philippe Morrilon, bei seinem Besuch in Srebrenica der Bevölkerung: "Sie befinden sich unter dem Schutz der UN...ich werde Sie nie im Stich lassen."Als Srebrenica am 11. Juli 1995 fiel, leisteten die UNPROFOR-Truppen jedoch keinerlei Widerstand. "Die niederländischen Soldaten beobachteten nur. Sie reagierten in keinster Weise auf das, was geschah", so Zumra Šehomerović, eine der Klägerinnen. Ein Offizier des Dutchbat bezeugte vor dem Internationalen Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien: "Jeder handelte der Lage der Dinge entsprechend, was in den meisten Fällen dazu führte, dass wenig oder überhaupt nichts unternommen wurde. Das Bataillon war in Passivität verfallen."Im 1999 veröffentlichten Bericht des UN-Generalsekretärs über den Fall Srebrenicas werden Fehler bei der Implementierung des UN-Mandats eingeräumt. Auf der UN-Pressekonferenz am 8. Juni diesen Jahres tauchte die Frage nach der Immunität der Vereinten Nationen auf. Die Tatsache, dass aufgrund der UN-Charta Immunität bestehe, werde das Engagement zur Unterstützung der Menschen in Srebrenica in keiner Weise schmälern, so UN-Sprecherin Marie Okabe. "Ob die UN sich auf die Immunität berufen wird, ist im Augenblick noch nicht mit Sicherheit zu sagen", so Hagedorn. "Bei den UN handelt es sich um die wichtigste Menschenrechtsinstitution", erklärt Anwalt Guzin. "Nachdem im Bericht des damaligen UN-Generalsekretärs eine Teilverantwortung für Srebrenica eingeräumt wurde, würde eine Berufung auf Immunität im direkten Gegensatz zu den Grundprinzipien der UN stehen. Langfristig würde dies dazu führen, dass die Autorität und das Ansehen der UN selbst ins Wanken geraten." Das Anwaltsteam ist davon überzeugt, dass den UN nach europäischem Recht keine Immunität zusteht.Am jährlichen Srebrenica-Gedenktag, dem 11. Juli, werden auch dieses Jahr auf dem Friedhof und der Gedenkstätte Potočari bei Srebrenica wieder mehrere hundert Opfer des Völkermords begraben, die im Laufe des vergangenen Jahres aus Massengräbern ausgegraben und von identifiziert wurden. Bisher konnten 2442 Opfer identifiziert und begraben werden. Mehrere tausend werden noch vermisst.Ende---------------------------------------------------------------------------Wenn Sie einen Artikel übernehmen oder neu in den n-ost-Verteiler aufgenommen werden möchten, genügt eine kurze E-Mail an n-ost@n-ost.org. Der Artikel wird sofort für Sie reserviert und für andere Medien aus Ihrem Verbreitungsgebiet gesperrt. Im übrigen verweisen wir auf unsere Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) unter www.n-ost.org. Das Honorar überweisen Sie bitte mit Stichwortangabe des Artikelthemas an die individuellen Kontonummern der Autoren:Margit Jugo