Urlaub in Kriegskulisse
Dubrovnik/Mostar (n-ost) - Die Adria zeigt sich von ihrer besten Seite: Strahlend-blauer Himmel, türkisfarbenes, klares Meer. Schon von weitem wirken die Festungsmauern um Dubrovnik, die „Perle der Adria“, imposant. Die Schindeln auf den Dächern sind verschieden farbig, viele sind noch sehr rot und sehr neu, nur wenige Jahre alt. Gleich am Ost-Eingang zur Altstadt von Dubrovnik liefert eine Tafel an der Kalksteinmauer die Erklärung. „Hier sehen Sie die Zerstörungen während der Belagerung von Dubrovnik“, sagt unser Reiseführer Roberto di Lorenzo und deutet auf die verzeichneten Punkte: Kaputte Dächer, zerstörte Brunnen, ausgebrannte Paläste. Deswegen die Dachziegel, die wie Jahresringe am Baum von den Zeiten erzählen, die Dubrovnik in der jüngsten Geschichte erlebt hat.Der Jurist Roberto, der nebenbei Zimmer vermietet und als Guide jobbt, hat zu jedem Punkt der Tafel den Soundtrack des Krieges im Ohr. „Ich habe den Beschuss Dubrovniks erlebt“, sagt er lakonisch. Die Bewohner hätten damals auf den Schutz des internationalen Siegels „Weltkulturerbe“ vertraut und seien in die Altstadt geflüchtet. Vergebens. Serben und Montenegriner schossen ab dem 1. Oktober 1991 von den umliegenden Hügeln auch ins Zentrum der Stadt. Sieben Monate lang. 14.000 Granaten regneten auf die Stadt und die umliegenden Dörfer. „Das Schlimmste waren die Toten, auch einige meiner Nachbarn starben“, erinnert sich der Guide. Mehr als 100 Einwohner wurden durch die Angriffe getötet. „Es ist gut, an die Vergangenheit zu erinnern“, findet Roberto. „Nur so kann es eine Zukunft geben“. Er setzt auf den baldigen Beitritt Kroatiens zur Europäischen Union.Dubrovnik als MetapherEine DVD, die in Souvenir-Shops auch am Flughafen für stolze zwölf Euro verkauft wird, erzählt die Geschichte der Zerstörung der 50.000-Einwohner-Stadt als Aufbäumen der Kulturfreunde, als Erfolgs-Story: „Der Wiederaufbau Dubrovniks“, mit vielen Vorher-Nachher-Bildern. Die Geschichte eines kleinen Wunders, denn nur kleine Schrappnell-Kratzer an der einen oder anderen Häuserwand zeugen noch vom Krieg.Dubrovnik ist wieder die „Perle der Adria“. Als Objekt für die Vergangenheitsbewältigung ist die Kriegsgeschichte der Stadt unverfänglich: Die Serben und Montenegriner sind die Täter, die Barbaren, die unersetzliche Kulturgüter in Schutt und Asche gelegt haben. Die Kroaten sind die Opfer. Die Stadt wird eins mit ihren Bewohnern. „Dubrovnik ist alles, was Serbien nicht ist“, heißt es in dem Buch „Dubrovnik in War“. Kroatische Kriegsverbrechen – begangen in Slawonien und Bosnien-Herzegowina – sind weit genug weg von der dalmatinischen Stadt Dubrovnik.„Held Ante Gotovina“
Die Bar Gotovina
Stephan OszvathIm gebirgigen Hinterland der Insel Kor˘cula, die vom Krieg verschont geblieben ist, empfängt den Reisenden schon auf der Straße eine politische Botschaft: „Heroj – Held Ante Gotovina“, ist mit roter Farbe auf den Asphalt am Eingang zum Bergdorf Smokvica gepinselt. Nur wenige Hundert Meter weiter, über der „Bar Centar“ hängt ein Foto: Der ehemalige kroatische General Ante Gotovina, dem Kriegsverbrechen an serbischen Zivilisten in Slawonien vorgeworfen werden, salutiert. „Heroj – Nema Predaje“- „Held – keine Auslieferung“ heißt es trotzig. Zehntausende gingen in Kroatien auf die Straße, als der ehemalige General auf den Kanarischen Inseln aufgespürt und 2005 nach Den Haag an das Kriegsverbrechertribunal ausgeliefert wurde. „Wenn er all das getan hat, was ihm vorgeworfen wurde“, meint dagegen Reiseleiterin Ana Antić aus Rijeka, „dann gehört er dort auch hin“. Kriegsspuren in MostarDie Neretva schillert türkisgrün. Es ist schwül. Überall am Wegesrand sind Graffitis an den Hausruinen zu sehen: „Prodaje se – zu verkaufen“. Doch wer kauft schon Ruinen – zumal in Bosnien-Herzegowina? Die Moscheen allerdings glänzen weiß in der Sonne. Sie sind nagelneu und schön – im Gegensatz zu vielen Wohnhäusern, auf denen wie in Blindenschrift die Flugbahn der Projektile nachgezeichnet ist. Ana Antić erklärt im Bus etwas zur Geschichte der Region. Auch den Krieg spart sie nicht aus. Sie erzählt, dass die Bosnier ein eigenes Land haben wollten, und dass die Serben sie nicht ließen. Deswegen gab es Krieg. Sie erzählt auch von dem Geheimvertrag des kroatischen Nationalisten und Ministerpräsidenten Franjo Tudjman mit Serben-Führer Slobodan Milošević. Am grünen Tisch teilten sie 1993 die Beute unter sich auf. Das Fell des Bären hieß: Bosnien-Herzegowina. Aus den kroatischen und bosnischen Waffenbrüdern wurden Todfeinde. Denn plötzlich schossen die kroatischen Verbündeten auf die Bosnier. In Mostar vom West-Ufer der Neretva auf das muslimisch besiedelte Ost-Ufer. Mindestens 2000 Menschen starben in den monatelangen Gefechten, tausende flohen. Am 9. November 1993 stürzte auch die 1566 von Baumeister Hajruddin erbaute „Stari Most“, die alte Brücke, in die Neretva. Einer der Artillerie-Schützen soll ein „mostari“ gewesen sein – einer aus der Stadt.Aus Parks wurden FriedhöfeDer Bus fährt vorbei an Weinstöcken, lila-blühenden Lavendel-Feldern, an Industrie-Ruinen, zerschossenen Hausfassaden und vielen Grabsteinen. „In allen Parks der Stadt wurden die Toten des Krieges begraben, „erklärt die Reiseführerin. Der Transport zum Friedhof wäre lebensgefährlich gewesen. Auf vielen Gräbern steht das gleiche Todesdatum: 1993. Die blutige Kriegsgeschichte Mostars erzählt eine beeindruckende BBC-Reportage. Sie gibt es als 10-Euro-DVD vor der restaurierten Moschee zu kaufen oder als Raubkopie für die Hälfte in der Altstadt, Titel: „War in Mostar“. „Hier gilt das Gesetz des Dschungels – Töten oder getötet werden“, sagt ein bosniakischer Kämpfer im Film. Ein Mann wird beim Gang vor die Haustür von „Snipern“, kroatischen Scharfschützen, beschossen. Die Kamera begleitet den Transport des Schwerverletzten auf einer Schubkarre bis ins improvisierte Krankenhaus, hält auf die fassungslose Ehefrau, die ihrem sterbenden Mann das Gesicht streichelt. Der Tod des Mannes und der Schmerz der Ehefrau – öffentlich, tausendfach verkauft. Und doch: Kein bisschen obszön.Anders die Kugelschreiber aus Patronen, zerschossene Helme, und Pfeffermühlen aus Granathülsen, die die Händler im Kujundžiluk, der Goldschmiede-Gasse, feilbieten. „Ich finde nichts dabei, diese Sachen zu verkaufen“, sagt einer. Aber er gibt zu, nicht viel davon los zu werden. „Das sind arme Leute“, erklärt Ana Antić, „von irgendetwas müssen sie leben“. Am T-Shirt-Stand nebenan wird die Botschaft für die Hemdbrust feilgeboten: „Keine Panik - ich bin Muslim.“Langsamer Wiederaufbau – die Spannungen bleibenDie Saudis und die Türken haben viel Geld in den Wiederaufbau der Moscheen gepumpt. Sie erstrahlen in neuem Glanz. Der Muezzin ruft wieder „Allah uh akhbar“ – Allah ist groß“. Nach dem Krieg haben die Kroaten auf dem Berg ein Kreuz errichtet. „Eine Provokation“, findet Ana Antić. Sie spürt die unterschwellige Spannung zwischen den Volksgruppen. „Die Leute werden sehr einsilbig, wenn sie an meinem Akzent hören, dass ich Kroatin bin“, erläutert sie. Ihre bosnische Kollegin Elvira Bejramović bestätigt: „Die Leute leben nebeneinander her. Sie gehen sich – wenn möglich – aus dem Weg.“ Das gilt selbst für Schulkinder auf dem Pausenhof. Und auch bei Wahlen wird entlang der ethnischen Grenzen gewählt. „Wir trauen den Kroaten einfach nicht mehr“, sagt sie. Tief sitzt der Stachel des Verrats.Sie führt uns weiter durch die Altstadt. Schilder warnen vor dem Betreten der wackeligen Häusergerippe aus der Zeit der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn. Elvira zeigt auf eine Ruine am Rande der Altstadt. „Hier stand einmal ein Einkaufszentrum“.Das Symbol der Stadt – die Brücke steht wieder Im Juni 2004 wurde die zerstörte Brücke wieder aufgebaut. 12,3 Millionen Euro ließ sich das die internationale Gemeinschaft kosten. Auch der ehemalige Kriegsgegner Kroatien zahlte. Auch ein Verdienst des SPD-Politikers Hans Koschnick. „Er ist der beste Bürgermeister, den wir je hatten“, sagt Elvira Bejramović. Im raubkopierten Film spaziert der ehemalige EU-Verwalter der Stadt (1994-1996) auf einer improvisierten Brücke über die Neretva. Der ehemalige deutsche Außenminister Klaus Kinkel geht hinüber. Und auch Franjo Tudjman – unter Sprechchören: „Sie an, was Du angerichtet hast“.Über der neuen Brücke und den Bergen, auf denen vor nicht einmal 15 Jahren die kroatischen Geschütze standen, hängen jetzt dichte Wolken. Die ersten Tropfen fallen. Endlich. Die drückende Schwüle in Mostar wird von einem endlosen Platzregen vertrieben. Der junge Bosniake in der Eisdiele schenkt uns einen Schirm. Einfach so. Unter dem Regenschirm sind wir sicher vor dem Regen. Es blitzt und donnert. Kein Mündungsfeuer. Noch ein Foto. „Don´t forget – vergiss nicht“, die Aufschrift am Straßenrand, schiebt sich ins beste Bildmotiv: Die neue, alte Brücke über die Neretva. ENDE
---------------------------------------------------------------------------Wenn Sie einen Artikel übernehmen oder neu in den n-ost-Verteiler aufgenommen werden möchten, genügt eine kurze E-Mail an n-ost@n-ost.org. Der Artikel wird sofort für Sie reserviert und für andere Medien aus Ihrem Verbreitungsgebiet gesperrt. Für Abdrucke zahlen Sie bitte das marktübliche Honorar, das Urheberrecht ist zu wahren. Das Honorar überweisen Sie bitte mit Stichwortangabe des Artikelthemas an die individuelle Kontonummer des Autors: Stephan Ozsváth