Polen

Die Rückkehr des Störs

Deutsche und polnische Wissenschaftler bürgern den ausgestorbenen Edelfisch in der Oder wieder ein

Hohensaaten/Oder (n-ost) - Verzweifelt schnappt ein junger Stör in der Hand von Jörn Geßner nach Luft. Gleich wird der Biologe vom Berliner Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) Jungfisch Nummer 2380 in die träge dahin fließende Oder setzen. 200 weitere der elf Monate alten und rund 40 Zentimeter großen Jungstöre werden an diesem schwülen Nachmittag Mitte Juni noch folgen. Damit findet ein deutsch-polnisches Vorhaben ein vorläufiges Happy-End, das Forscher zu beiden Seiten der Oder bereits seit Mitte der 90er Jahre beschäftigte: Die Rückkehr des in Deutschland ausgestorbenen Störs.
Jörn Geßner von der Gesellschaft zur Rettung des Störs mit Jungstör
Benjamin Haerdle"Wir bringen den Stör dorthin zurück, wo er schon immer heimisch war", sagt Henning von Nordheim, für das Projekt zuständiger Betreuer im Bundesamt für Naturschutz. Rund 3,5 Millionen Euro ist der Behörde die Wiedereinbürgerung des Störs wert. Dieser war noch bis Ende des 19. Jahrhunderts an Oder, Elbe oder Weser weit verbreitet. Umweltverschmutzung, Gewässerverbauung und eine drastische Überfischung dezimierten seine Bestände dann aber rasch. 1969 wurden Störe in Deutschlands letztmals in der Eider in Schleswig-Holstein gesehen. Seitdem gilt der archaisch anmutende Knochenfisch, dessen prähistorische Spuren 200 Millionen Jahre bis in die Zeit der Dinosaurier reichen, in Deutschland als ausgestorben.Auf der Suche nach einer neuen Heimat für den bis zu maximal vier Meter großen Wanderfisch wurden Wissenschaftler des IGB an der Oder fündig. "Sie ist unverbaut, weitgehend naturnah und hat eine gute Wasserqualität", sagt Gessner, der auch der Gesellschaft zur Rettung des Störs angehört. Besonders wichtig sind für das Überleben des Störs die Laichplätze, die die geschlechtsreifen Fische in einem Alter von zehn bis zwanzig Jahren vom Meer kommend flussaufwärts suchen. Vor allem in den Oderzuflüssen auf polnischer Seite, der Warthe und der Drawa, gibt es noch jene kiesig-steinigen Bereiche mit starker Strömung, die die Störweibchen zur Eiablage benötigen. Nur dort können die Weibchen ihre dunkelgrauen und klebrigen Eier ablegen - bis zu 2,5 Millionen pro Fisch.Polnische Wissenschaftler des Staatlichen Instituts für Binnenfischerei in Olsztyn hatten bereits im Mai 150 kleine Störe zu Forschungszwecken in der Drawa freigelassen. Rund 4000 Jungstöre wollen deutsche und polnische Forscher bis Ende 2008 insgesamt in Oder, Warthe und Drawa aussetzen. Nach einigen Jahren sollen diese dann in die Ostsee wandern.Was sich nun zu einer kleinen grenzüberschreitenden deutsch-polnischen Erfolgsgeschichte entwickeln könnte, war im Verlauf des seit zwölf Jahren laufenden Projektes zwischenzeitlich auf harte Proben gestellt. Eine erste Überraschung erlebten die Forscher beispielsweise bei genetischen Voruntersuchungen. Die Experten hatten ursprünglich angenommen, dass in den Ostseezuflüssen eigentlich der Europäische Stör (Acipenser sturio) vorkommen müsste, von dem es noch eine kleine Restpopulation in Frankreich gibt. Diese These erwies sich jedoch als falsch. Stattdessen ergaben Vergleiche mit DNA-Material aus Museen, dass das Erbgut des Ostseestörs weitaus mehr dem in Nordamerika lebenden Atlantischen Stör (Acipenser oxyrinchus) ähnelte. Erklärung: Während der kleinen Eiszeit vor einigen hundert Jahren musste diese nordamerikanische Störart wohl den ehedem heimischen Ostseestör verdrängt haben. Deshalb mussten die Forscher nun die nur wenigen Zentimeter großen Larven des Atlantischen Störs in großen Kisten aus Kanada importieren. In Fischzuchtbetrieben in Deutschland und Polen glückte schließlich die mühselige Aufzucht.Überzeugungsarbeit musste vor dem Aussetzen der Jungfische zudem noch auf polnischer Seite geleistet. Eigentlich hatten die Naturschützer bereits für das vorige Jahr das Aussetzen der Tiere geplant. Doch damals legte Polen plötzlich ein Veto ein. Offizieller Grund: Der Ostsee- bzw. der Atlantische Stör befand sich nicht im polnischen Register für Artenvielfalt. Deshalb könne er nicht in heimische Gewässer ausgebracht werden. Inoffiziell, so war allerdings schon damals durchgesickert, fürchtete Polen vielmehr, dass der Stör als geschützte Tierart den polnischen Ausbauplänen für die Oder in die Quere kommen würde.Mehr als ein Jahr später ist dieses Problem jedoch vom Tisch, der Ostseestör ist offiziell registriert. "Auch Polen will den Stör in der Oder wieder zurückhaben", sagt Rafal Bernas, polnischer Fischereibiologe vom Institut für Binnenfischerei Olsztyn. Sorgen machen ihm vielmehr private Fischhalter, die immer wieder nicht einheimische Störarten wie den Russischen und Sibirischen Stör in der Oder aussetzen. Noch ist unter den Experten allerdings unklar, welche Folgen das haben könnte. "Wir wissen zu wenig darüber, ob sich diese Störe hier fortpflanzen können und ob es wirklich zur Vermischung mit dem Ostseestör kommen kann", sagt Gessner.Wie viele von den jetzt ausgesetzten 200 Stören in einigen Jahren den Weg zurück von der Ostsee in die Oder schaffen, ist ungewiss. Graureiher, Kormorane oder andere Fischarten haben die sperrigen Störe als Fraßfeinde aber nicht zu befürchten. Einzig der Mensch kann dem streng geschützten Fisch gefährlich werden. Allerdings haben Anglerverbände und Berufsfischer beidseits der Oder laut Geßner ihre Kooperation für das Störprojekt zugesagt. "Sollten sie einen Stör fangen, wollen sie uns Bescheid geben und ihn wieder ins Wasser setzen". Geduld bewahren müssen auch noch Liebhaber des Kaviars. Bis es wieder eine stabile Population des Ostseestörs und damit wirtschaftlich zu nutzenden Kaviar geben wird, werden wohl noch einige Jahrzehnte vergehen.
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Benjamin Haerdle


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