Kasachstan

Widerstandsfähig und zum Selbstreparieren

„Was er kostet, das weiß ich doch nicht! Verkaufen? Fahren will ich ihn!“ Juri Illarionowitsch kriecht unter einem himmelblauen Wolga hervor. Die schwarzöligen Hände wischt er sich an der Hose ab und lässt das Ende einer Zigarettenspitze in seinem Mund verschwinden. Bereitwillig öffnet der Kasache seinen fast 50-jährigen Oldtimer, benannt nach der Wolga, der Mutter aller russischen Flüsse.



Juri Illarionowitsch und sein Himmelblauer / Christopher Krafchak, n-ost

Der Wolga, das sowjetische Kultauto schlechthin, ist hier auf einer der staubigen Straßen in den Außenbezirken in der kasachischen Stadt Almaty fast schon eine Seltenheit. Eine dicke Schmutzschicht bedeckt den Himmelblauen. „Mein Freund, der nach Russland gegangen ist, hat ihn mir gegeben, und jetzt bring ich ihn in Schuss“, erzählt Juri. Gerade mal 23.000 Kilometer ist das Auto, Baujahr 1959, gefahren, behauptet der Tachometer.

Auch „Olenj“, der mercedessterngroße Hirsch auf der Fronthaube des Wolgas, leidet wie die gesamte Karosse unter dem Smog in Almatys Straßen. „Irgendwann wurden die Tiere nicht mehr aufgeschraubt, bei Unfällen war die Verletzungsgefahr zu groß“, erzählt Juri Illarionowitsch. Er weiß, wovon er spricht: Der 62-Jährige war Chefmechaniker eines Almatyer Taxihofs.Seit den frühen 1950ern wurde der Wolga im Automobilwerk Gorki (GAZ), im heutigen Nischni Nowgorod an der Wolga entwickelt. Nur zwei Prozent der Sowjetbürger konnten sich ihn leisten, Staatsgäste wurden in ihm kutschiert und selbst Georg W. Bush ließ sich von seinem Amtskollegen Putin während der Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges in Moskau im Mai 2005 die Vorzüge des russischen Traditionsgefährts erklären.

Gemacht für das harte russische Klima und die nicht minder anspruchsvollen Straßen, war das Sowjet-Auto mit großer Bodenfreiheit, stabiler Federung und einer für die 1950er ungewöhnlich guten Rostbeständigkeit gesegnet. Berühmt wurde der seit 1956 gebaute M 21: Er war das luxuriöseste Auto, das ein Sowjetbürger sich kaufen konnte. In den frühen 60ern gab es sogar Pläne, den US-Markt zu erobern und der Wolga wurde zeitweilig mit Automatik-Getriebe angeboten. Der seit 1971 gebaute eckigere M 24 ist noch heute Basis für alle aktuellen Modelle. Neben den Wolgas laufen im Werk in Nischni Nowgorod inzwischen erfolgreicher Lkws und Kleintransporter vom Band.

Für viele Ex-Sowjetbürger ist das Auto mit dem Hirschsymbol noch immer Transportmittel und Wirtschaftsgrundlage: Geschäftstüchtig gibt sich Wolgabesitzer Michail. Er ist mit seinem Auto auf einen Almatyer Flohmarkt gefahren und hat jede Menge Hausrat und Ersatzteile vor sich aufgebaut. Hier draußen auf dem Basar, vor der Bergkulisse des Tienschan-Gebirges versucht jeder so gut er kann, ein wenig Geld zu verdienen. 10.000 Dollar (7.500 Euro) will Michail für seinen 1972 gekauften Wagen haben. „Ich hab ihn 5.000 Kilometer von St. Petersburg hierher gefahren, das hat eine Woche gedauert, hier gab es doch so was in den 70ern nicht“, erzählt er. 10.000 Rubel hat Michail damals für seinen grauen Schlitten bezahlt, seinerzeit ein Vermögen, nach heutigem Rubelkurs nicht einmal 300 Euro.

Jetzt zeigt der Tacho 200.000 Kilometer, blumige gewebte Decken schützen die Bezüge im Inneren. Unvergleichlich bequem sitzt es sich im behäbigen Ost-Mercedes, tief sinkt man in die Sitze. Das Raumgefühl ist herrschaftlich und man fühlt sich ein bisschen an die Zeiten erinnert, als DDR-Bürger in Wolga-Taxis unterwegs waren und Staatsgäste und Funktionäre des Ostens darin kutschiert wurden. „Damals war ein Wolga eine Geldanlage, wenn die Zeiten schlechter wurden, behielt er seinen Wert“, erzählt Michail.

Der Wolga, das sowjetische Kultauto schlechthin, ist hier in Kasachstan, wo die Wirtschaft boomt, inzwischen fast schon eine Seltenheit. Knapp 70.000 Wolgas werden im russischen Nischni Nowgorod noch jährlich produziert, ohne Airbags, mit einem Bremsweg wie ein Laster. Viktor Iltschenko, Besitzer eines neuen Wolga, ficht das nicht an: „Stark und widerstandsfähig ist mein Wolga, und ich kann alles selbst reparieren“, lobt er die Vorzüge seines Wagens und rückt den breitkrempigen Hut gegen die sengende zentralasiatische Sonne zurecht.

Doch die Zeichen für den gemächlichen Robusten stehen nicht gut, Ende 2007 soll die Produktion auslaufen, obwohl es auch Pläne gab, die Innenausstattung zu verbessern und das Retro-Vehikel weiter zu produzieren. Wahrscheinlich wird der Wolga in Russland ausgerechnet durch ein amerikanisches Automodell ersetzt, dessen Zukunft auch nicht gerade sicher erscheint. Im Wolga-Werk im russischen Nischni Nowgorod sollen ab 2008 Chrysler-Auslaufmodelle gebaut werden. Oleg Deripaska, russischer Milliardär und Eigner des Wolga-Herstellers GAZ, hat laut der Moskauer Zeitung „Wedomosti“ bereits Lizenzen und die Ausrüstung für zwei Chrysler-Modellreihen in den USA erworben.


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