Unfallchirurg soll Lettlands neues Staatsoberhaupt werden
Die Saeima wählt am Donnerstag den Nachfolger von Vaira Viķe-FreibergaRiga (n-ost) - An diesem Donnerstag wählt das lettische Parlament, Saeima, ein neues Staatsoberhaupt. Die derzeitige Präsidentin Vaira Viķe-Freiberga scheidet Anfang Juli nach zwei Wahlperioden aus dem Amt. Ihr Nachfolger muss sich am Erfolg der in Lettland und im Ausland hoch angesehenen Quereinsteigerin messen lassen. Entsprechend schwierig gestaltete sich die Kandidatensuche. Die Parteien der regierenden Mitte-Rechts-Koalition hielten zunächst an ihren eigenen Kandidaten fest und konnten sich lange Zeit nicht auf einen Kompromissvorschlag einigen. Erst in der vergangenen Woche nominierte die Regierungskoalition von Premier Aigars Kalvitis den parteilosen Mediziner Valdis Zatlers.Der 52-jährige ist seit 1994 Leiter der staatlichen Unfallklinik in Riga und war als Unfallchirurg zuvor an Universitätskliniken in den USA tätig. Ende der 1980er Jahre engagierte sich Zatlers in der Volksfront für die Wiedererlangung der Unabhängigkeit Lettlands. Obwohl der Mediziner heute keiner Partei angehört, wird ihm eine Nähe zur Volkspartei von Premier Kalvitis nachgesagt. In der aktuellen Politik gilt Zatlers als unbeschriebnes Blatt, er selbst betont seine politische Neutralität. „Ärzte gelten als verantwortungsbewusst, und das ist eine Eigenschaft, die wir von einem Präsidenten erwarten“, erklärte Kalvitis gegenüber der Presse. Allerdings ist das Ansehen von Zatlers bereits vor der Wahl in der lettischen Öffentlichkeit angekratzt. Der Arzt musste einräumen, in der Vergangenheit Geldzuwendungen von Patienten angenommen und diese nicht versteuert zu haben. Er habe jedoch niemals um solche „Geschenke“ gebeten, beteuerte Zatlers, der zugleich darauf hinwies, dass diese Form des Dankes gängige Praxis im lettischen Gesundheitswesen sei. Viele Kritiker sehen daher in der Wahl des Mediziners zum neuen Präsidenten eine Diskreditierung der verstärkten Bemühungen zur Korruptionsbekämpfung in Lettland. Zudem bestünde die Gefahr der Erpressbarkeit des neuen Staatsoberhaupts. Trotz der Kritik rechnet die Koalition am Donnerstag mit der Bestätigung ihres Kandidaten bereits im ersten Wahlgang. Das Regierungslager verfügt in der Saeima über 59 der 100 Sitze, für die Wahl ist lediglich eine Mehrheit von 51 Stimmen erforderlich. Die Abstimmung ist allerdings geheim. Einziger Herausforderer von Zatlers ist der ehemalige Verfassungsgerichtspräsident Aivars Endzinš, der von der Oppositionspartei Zentrum der Eintracht nominiert wurde. Die frühere Außenministerin und EU-Kommissarin Sandra Kalniete von der konservativen Partei Neue Ära verzichtete letzte Woche zugunsten des parteilosen Juristen auf eine Kandidatur. Endzins kann daher mindestens mit den 35 Stimmen der beiden Oppositionsparteien rechnen, ein Wahlsieg des früheren Richters ist jedoch unwahrscheinlich. Zatlers nannte gegenüber der Presse als wichtigstes Ziel seiner Präsidentschaft die Einigung der lettischen Gesellschaft. Er wolle für eine dynamische und demokratische Gesellschaft eintreten und sowohl nach innen als auch nach außen auf Toleranz und Gespräche setzen.Die Bevölkerung Lettlands steht dem bislang weit gehend unbekannten Zatlers eher skeptisch gegenüber. Der Unfallchirurg wird in erster Linie als Kandidat gesehen, der die Interessen des Regierungslagers vertritt. In einer Umfrage des Fernsehsenders LTV-1 erhielt Zatlers in der vergangenen Woche den geringsten Zuschauerzuspruch der damals noch drei Bewerber um das höchste Staatsamt. Bei einer Direktwahl des Staatsoberhauptes würden sich nach letzten Umfragen über 54 Prozent der lettischen Wähler für Endzinš entscheiden, Zatlers könnte lediglich mit knapp 29 Prozent der Stimmen rechnen. *** ENDE *** Wenn Sie einen Artikel übernehmen oder neu in den n-ost-Verteiler aufgenommen werden möchten, genügt eine kurze Nachricht an n-ost@n-ost.org Der Artikel wird sofort für Sie reserviert und für andere Medien aus Ihrem Verbreitungsgebiet gesperrt. Im Übrigen verweisen wir auf unsere Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) unter www.n-ost.org. Das marktübliche, dem Rechercheaufwand angepasste Honorar überweisen Sie bitte mit Stichwortangabe des Artikelthemas an die individuelle Kontonummer des Autors:Sven Otto