"Der Politik wird die Korruption wieder leichter fallen"
Die rumänische Ex-Justizministerin Monica Macovei über die Reformkrise im neuen EU-Land
Bukarest (n-ost) - Monica Macovei und Traian Basescu galten vor dem EU-Beitritt Rumäniens als prominentes Tandem, das sich engagiert für Gesetze einsetzte, die die Korruption im Land reduzieren und eine unabhängige Justiz schaffen sollten. Kaum hatte Rumänien den Sprung in die EU geschafft, wurde das erfolgreiche Tandem gesprengt. Bei einer Regierungsumbildung wurde zunächst die parteilose Justizministerin Macovei entlassen. Mitte April entschied das Parlament zudem, Staatschef Basescu des Amtes zu entheben und warf ihm unzulässige Einmischung in die Regierungsarbeit und Verbindungen zu Mafia-Gruppen vor. Das letzte Wort in dieser Entscheidung haben an diesem Samstag, die Rumänen. Sie stimmen mittels eines Referendums über die Zukunft ihres Präsidenten ab. Wegen der vielen innenpolitischen Querelen sieht Ex-Justizministerin Macovei den Reformweg ihres Landes gefährdet. Mit ihr sprach in Bukarest unsere Korrespondentin Annett Müller.
FRAGE: Vor dem EU-Beitritt zeigte sich Rumänien wie ein Musterschüler, der mit seinem Kampf gegen Korruption und für eine unabhängige Justiz, die EU von einer fristgerechten Aufnahme des Landes überzeugen konnte. Seit dem Beitritt ist viel passiert: Gesetze, die die EU-Kommission beeindruckt haben, wurden abgeändert, bei einer Regierungsumbildung wurden Sie als Justizministerin entlassen. Verlässt Rumänien seinen Reformweg?
Macovei: Eine Gruppe von korrupten Politikern, ob in der Regierung, im Parlament oder in Lokalbehörden versucht derzeit, dass die Ermittlungen gegen sie eingestellt werden, um politisch überleben können. Aus diesem Grund hat man zunächst den Justizministerposten neu besetzt, doch der Personalwechsel geht weiter. Mein Nachfolger, Justizminister Tudor Chiuariu, hat in der vergangenen Woche erklärt, den Vize-Oberstaatsanwalt der Antikorruptionsbehörde (DNA) absetzen zu wollen, der für Ermittlungen gegen Spitzenpolitiker zuständig ist. Als Grund wurde Ineffizienz genannt. Das ist der Gipfel der Ironie, da dieser Oberstaatsanwalt die meisten Ermittlungen angeschoben hat. Aus genau diesem Grund wird er von Spitzenpolitikern gefürchtet. Mich hat die EU-Kommission vor dem Beitritt oft gefragt, ob der Kampf gegen die Korruption in Rumänien unumkehrbar ist und ich habe nach bestem Gewissen mit "Ja" geantwortet. Ich habe für die Zeit nach dem Beitritt mit einer gewissen Stagnation gerechnet, aber nicht mit gravierenden Änderungen wie diesen.
Ex-Justizministerin Monica Macovei
Annett Müller
FRAGE: Es wird in diesen Tagen in Rumänien sehr viel über den Einfluss der Oligarchie auf das politische Tagesgeschehen diskutiert. Wo haben Sie diesen Einfluss gespürt?
Macovei: Wir haben vor dem EU-Beitritt ein Insolvenzgesetz verabschiedet, das ein transparentes Insolvenzverfahren für alle Unternehmen vorsah, ob staatlich oder privat. Damit sollte eine Quelle der Korruption trocken gelegt werden. Nach unserem EU-Beitritt wurden per Eilverordnung 28 Staatsunternehmen vom Gesetz ausgenommen. Ich habe es damals gesagt und auch heute, ich habe nie einen Rechtsstaat erlebt, der 28 Firmen von einem Gesetz ausnimmt, das Gleichheit für alle schaffen soll. Gegen die Verwaltung dieser Firmen kann, selbst wenn sie die Insolvenz verschuldet haben, nicht mehr strafrechtlich vorgegangen werden. Zudem verfügen diese Staatsunternehmen über große Grundstücke, die auf dem boomenden Immobilienmarkt inzwischen ein Vermögen wert sind, und die die Oligarchie unter sich aufteilen will. Für mich ist das Beispiel von vielen, wo ökonomische Machtinteressen erfolgreich die Politik beeinflussen.
FRAGE: In Ihrer Amtszeit sind mehrere Strafermittlungen gegen Unternehmer und Politiker angeschoben worden. Hat Sie das Ausmaß der Korruptionsvorfälle, die sich quer durch die Parteienlandschaft ziehen, erschreckt?
Macovei: Derzeit wird gegen rund 20 Spitzenpolitiker ermittelt, im vergangenen Jahr waren es ähnlich viele Fälle. Ich finde, das ist eine enorm hohe Zahl für zwei Jahre. Man kann die Zahl in zweierlei Hinsicht deuten: In Rumänien existiert in der politischen Klasse ein Ausmaß an Korruption, das höchst besorgniserregend ist oder die Vorfälle tauchen jetzt lawinenartig auf, weil gegen sie vorher nicht ermittelt wurde. Ich erinnere mich an den ersten Fall der Antikorruptionsbehörde im Jahr 2003: Es war ein Zugschaffner, der eine Bestechungssumme von umgerechnet rund zehn bis 15 Euro von einem Passagier verlangt hatte. Ich befürchte, dass man künftig wieder nur die kleinen Korruptionsfälle aufdecken wird, während die großen Fälle in der politischen Klasse verschont bleiben.
FRAGE: Das Parlament hat Mitte April Staatschef Traian Basescu des Amtes enthoben, und ihm in 19 Verfassungsverstöße vorgeworfen. So soll Basescu u.a. in seiner Rolle als Vermittler versagt und Interessen der Mafia gedeckt haben.
Macovei: Das Verfassungsgericht hat in einem Gutachten, das für das Parlamentsvotum nicht bindend war, keinen der Punkte bestätigt. Für mich steckt in dem Gutachten die Wahrheit. Die Parlamentarier haben mit ihrem Votum versucht, sich des Staatschefs zu entledigen, weil Traian Basescu sich engagiert gegen Korruption einsetzt und damit Interessensgruppen stört.
FRAGE: Aber auch hinter Traian Basescu sollen Interessengruppen stehen.
Macovei: Ich sage nicht, dass er ein Engel ist. Doch er wollte und er will das, was ich wollte: Den Weg ebnen, damit gegen Politiker gleich welcher Partei ermittelt werden darf. Nur so kann die politische Klasse in Rumänien reformiert werden. Ich habe an Basescu einen entscheidenden Unterschied zu anderen Politikern erlebt. Er hat mich, auch als Politiker seiner Demokratischen Partei (PD) ins Visier der Antikorruptions-Staatsanwaltschaft gerieten und die Partei nicht gerade glücklich darüber war, nie gebeten, dass die Ermittlungen eingestellt werden. Anders hingegen beim nationalliberalen Ministerpräsidenten Calin Tariceanu, der verlangte, dass ich ihn vorab informiere, wenn gegen Regierungsmitglieder ermittelt werde. Ich bin dieser Forderung nicht nachgekommen.
FRAGE: Das letzte Wort in der Frage der Amtsenthebung von Staatschef Traian Basescu hat am Samstag das rumänische Volk, das in einem Referendum darüber entscheiden darf, ob er suspendiert werden soll oder nicht. Nehmen wir an, die Rumänen stimmen mehrheitlich gegen Basescu.
Macovei: Dann gibt es neue Präsidentschaftswahlen. Gewinnt ein Kandidat einer Parlamentspartei, die jetzt gegen Basescu gestimmt haben, wird eine lange Periode der Ruhe folgen, so wie sie schon jetzt von der Regierung gewünscht wird. Sie werden sehen, es wird keine bemerkenswerten Ermittlungen mehr geben, so wie vor dem Jahr 2004. Wir werden eine unvollendete Demokratie haben und der politischen Klasse wird die Korruption wieder leichter fallen.
FRAGE: Der engagierte Einsatz gegen Korruption kann doch nicht nur von Ihnen und Traian Basescu abhängen.
Macovei: Es gibt engagierte Staatsanwälte, die die Korruptionsermittlungen vorantreiben wollen. Doch ich habe bemerkt, dass es Menschen in Positionen geben muss, die andere zu Reformen motivieren, ihnen den Rücken stärken, sonst herrscht Trägheit. Man kann aber auch darauf warten, dass eine neue Generation in der politischen Klasse folgt. Das wird die Übergangszeit aber wesentlich verlängern.
FRAGE: Fühlen Sie sich als Opfer des Reformprozesses?
Macovei: Ich hatte für den Reformweg einen Preis zu zahlen. Es war klar, dass die politische Klasse nicht die Hände in den Schoß legen und darauf warten würde, untersucht zu werden. Sie haben reagiert. Das Land befindet sich in einem Widerspruch: Der Kampf gegen Korruption muss mit Politikern geführt werden, die korrupt sind.
FRAGE: Man hätte Sie aus diesem Grund doch schon viel früher absetzen können?
Macovei: Wir sollten erst in die Europäische Union kommen.
Ende
Zur Person:
Monica Macovei (47) war die einzige parteilose Ministerin im rumänischen Regierungskabinett. Der Justizminister-Posten galt als Schlüsselressort, da für die EU-Kommission in Brüssel der Kampf gegen Korruption und der Aufbau einer unabhängigen Justiz Grundvoraussetzungen für die Aufnahme Rumäniens in die Union waren. In ihrer zweijährigen Amtszeit ging Macovei engagiert gegen korrupte Spitzenpolitiker vor und erhielt dabei Rückendeckung von Traian Basescu. Die konkreten Ermittlungen schafften Sympathie in Brüssel, zumal das Land bei der Kommission bis dato als hoffnungslos korrupt und nahezu unreformierbar galt. Auch in Rumänien war Macovei als "Macherin" beliebt. Nach dem EU-Beitritt zerbrach die Regierungskoalition aus Demokratischer Partei (PD) des Staatspräsidenten Traian Basescu, der National-Liberalen Partei (PNL) von Premierminister Calin Tariceanu, dem Demokratischen Verband der Ungarn Rumäniens (UDMR) sowie der Konservativen Partei (PC). Bei einer Regierungsumbildung Ende März trennte sich Premier Tariceanu nicht nur von allen PD-Ministern sondern auch von der parteilosen Justizministerin Monica Macovei. Vor ihrer Amtszeit war die studierte Juristin unter anderem in Bosnien-Herzegowina als Beraterin im Justizbereich für den Europarat tätig.
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Annett Müller