Aserbaidschan

Auf Europa-Kurs

Vom Kaspischen Meer weht eine kräftige Brise über die Altstadt Bakus. Der Wind bläst durch enge Gassen mit Häusern aus hellem Sandstein, Moscheen mit gedrungenen Minaretten und dem Schirwanschah-Palast aus persischer Zeit. Vor den Mauern erinnern neugotische Stadtvillen an den Ölrausch um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Glasfassaden moderner Hochhäuser künden vom zweiten Ölboom, der in den neunziger Jahren einsetzte. Die Läden rund um den zentralen Springbrunnenplatz präsentieren Kleidung und Uhren westlicher Luxusmarken. Besonders junge Männer, die durch das Zentrum schlendern, sind auffällig modisch gekleidet mit engen Jeans und T-Shirts, viele tragen ihre Haare sorgfältig gestylt. Selten sind Frauen mit Kopftuch zu sehen. Die meisten Aserbaidschaner gehen nur zu hohen Feiertagen in die Moschee.

Doch das Land unter Präsident Ilham Alijew, dessen Vater schon zu Sowjetzeiten zur Führungsriege gehörte, wird sich in Zukunft vor allem am Umgang mit Regierungsgegnern, der Korruption und auch den sozialen Problemen messen lassen müssen. Daran wird sich zeigen, wie sich Aserbaidschan politisch und wirtschaftlich orientiert – näher bei den autoritär regierten Anrainerstaaten des Kaspischen Meeres wie Iran und Turkmenistan oder doch stärker in Richtung Europa wie die Nachbarn Türkei und Georgien.

So modern die Zwei-Millionen-Einwohner-Metropole Baku auf den ersten Blick wirkt, so gern betonen Aserbaidschaner ihre europäische Ausrichtung. Allen voran im Fußball: Obwohl das Land geografisch zu Asien gehört, ist der nationale Fußballverband bewusst der UEFA beigetreten.

Mit Stolz verweisen die Aserbaidschaner auch darauf, dass in dem überwiegend von schiitischen Muslimen bewohnten Land bereits 1918 eine Republik mit einem Parlament gegründet und schon zu dieser Zeit das Frauenwahlrecht eingeführt wurde. Doch nach der kaum zwei Jahre währenden Unabhängigkeit wurde Aserbaidschan von den Bolschewiki erobert und zwangsweise sowjetisiert. Die ersten Jahre nach der erneuten Unabhängigkeit 1991 waren von instabilen politischen Verhältnissen und einem Krieg mit dem Nachbar Armenien geprägt, der das überwiegend von Armeniern, aber zu Aserbaidschan gehörende Gebiet Berg-Karabach einnahm.

Dieser ungelöste Konflikt bestimmt noch heute das Leben in Aserbaidschan. Jedes Gespräch führt früher oder später zur Frage der Wiedereinnahme Berg-Karabachs. Aserbaidschan steckt jährlich mehr als eine Milliarde Dollar seiner Öl-Einnahmen in Militärausgaben. Es ist Geld, das an anderer Stelle gebraucht würde: Hinter all den modernen Gebäuden und weißen Mauern in Baku sowie außerhalb der Hauptstadt sind zahlreiche Wohngebiete mit modernisierungsbedürftigen Häusern verborgen. Auch hat die jahrelange intensive Ausbeutung des Ölreichtums ihre Spuren in der Landschaft hinterlassen: Ausgediente Ölfördertürme bleiben oft stehen, Öllachen bedecken den Boden.

Weiteres beherrschendes Thema in Aserbaidschan ist die Korruption. Ein erheblicher Teil der Einnahmen aus dem Erdölverkauf, der 90 Prozent des Exports ausmacht, geht so verloren. Nichts war möglich in den vergangenen Jahren ohne Bakschisch, ob bei den Behörden, beim Arzt oder der Polizei. Nun erklärte Präsident Alijew selbst der Korruption Anfang des Jahres den Kampf. „Der Staat hat eingestanden, dass die Korruption eine Bedrohung der nationalen Interessen darstellt“, erläutert der Parlamentsabgeordnete Sahid Ogudj von der Regierungspartei YAP. So sei inzwischen das Zahlen von Schmiergeld strafbar und Zahlungen an Behörden würden auf elektronische Wege umgestellt. Die Antikorruptionsabteilung bei der Generalstaatsanwaltschaft sei erweitert worden. Nach wie vor kontrollieren allerdings die Clans um Präsident Ilham Alijew und dessen Frau den Wirtschafts- und Bankensektor.

Bislang setzte die Regierung auf Wachstum durch den Ölreichtum. Mit den Einnahmen finanziert sie nicht nur repräsentative Gebäude in Baku, sondern auch Stipendien und Stiftungen für junge Leute. Doch der Höhepunkt der Ölförderung ist Experten zufolge erreicht. Die weitere Ausbeutung sowie der Transit von Öl und Gas erfordern zunächst große Investitionen, ebenso wie der Aufbau anderer Wirtschaftsbranchen.

Aktivisten wie der Blogger Adnan Hajizadah befürchten, dass die Regierung die Menschen im Land einer noch stärkeren Kontrolle unterwerfen könnte. Bereits seit der umstrittenen Parlamentswahl im Herbst ist die Opposition nicht mehr im Abgeordnetenhaus vertreten. Regierungsgegner ziehen sich zunehmend auf zivilgesellschaftliche Aktivitäten zurück. Doch schon satirische Videos und kritische Blogeinträge genügten, um Aktivisten wie Hajizadah oder seinen Kollegen Emin Milli ins Gefängnis zu bringen. Nach der Parlamentswahl im Herbst wurden sie auf internationalen Druck hin frühzeitig frei gelassen. Doch vom arabischen Frühling inspirierte Proteste im März und April löste die Polizei rigoros auf. Zwei Initiatoren wurden kürzlich zu mehr als zwei Jahren Haft verurteilt.

Regierungspolitiker wie der für humanitäre Fragen zuständige Vizeaußenminister Mahmud Mahmad-Guliev begründen das strikte Vorgehen der Polizei damit, dass die Demonstrationen nicht wie erlaubt außerhalb des Stadtzentrums, sondern inmitten der Stadt stattfanden. Im Übrigen stünden die Gesetze zur Versammlungsfreiheit im Einklang mit europäischen Standards. Auch verweist Mahmad-Guliev auf die Freilassung des regierungskritischen Journalisten Eynulla Fatullayev, der vor wenigen Tagen nach vier Jahren im Gefängnis freikam. Fatullayev will seine Arbeit fortsetzen, auch wenn dies mit der Gefahr einer neuerlichen Festnahme verbunden sei, sagte er kurz nach der Heimkehr zu seiner Familie.

Einige in Aserbaidschan stellen die Freilassung des Journalisten in Zusammenhang mit dem Gewinn des europäischen Liederwettbewerbs Eurovision Song Contest, der nächstes Jahr in Baku ausgetragen wird. Schließlich wolle sich Aserbaidschan als modernes und demokratisches Land geben. Die Präsidentengattin persönlich wird den Song - Contest organisieren.


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