Armenien

Attentate überschatten Wahlkampf in Armenien

Am 12. Mai finden in Armenien Parlamentswahlen statt. Mehr als 20 Gruppierungen kämpfen um die 131 zu vergebenden Plätze im Parlament von Eriwan. Nach Einschätzung von Experten hat die regierende Koalition um die "Republikanische Partei Armeniens" und die "Armenische Revolutionäre Föderation" (Daschnakzutjun) wieder die besten Chancen - beide Parteien bilden schon seit mehreren Jahren die Mehrheit im Parlament. Die vom Unternehmer und Multimillionär Gagik Zarukjan geführte Partei "Blühendes Armenien" könnte aber für eine Überraschung sorgen. Zarukjan näherte sich in letzter Zeit dem parteilosen amtierenden Präsidenten Robert Kotscharjan an, der laut Verfassung den Ministerpräsidenten ernennen darf und eine vergleichbar starke Stellung hat, wie der französische Präsident.

Armenien wurde mit dem Zerfall der Sowjetunion 1991 selbstständig. Die drei Millionen Einwohner der kleinen Republik südlich des Kaukasus sind in einer geographisch schwierigen Lage. Weil sich das Land um die internationale Anerkennung des Völkermordes durch Osmanen Anfang des 20. Jahrhunderts bemüht, sind die Grenzen zum Nachbarn Türkei unpassierbar. Zudem gibt es große Spannungen mit Aserbaidschan, mit dem sich Armenien Mitte der 90er Jahre wegen der armenisch besiedelten Exklave Bergkarabach im Krieg befand. Der Konflikt ist trotz eines Waffenstillstands 1994 bis heute nicht gelöst.

Zwar wächst die Wirtschaft Armeniens nach einer großen Krise seit einigen Jahren mit zweistelligen Wachstumsraten, erreicht jedoch gerade das Niveau der späten Sowjetunion. Zuletzt stieg Deutschland zum größten Investor in Armenien auf, die Wirtschaft des Landes ist aber fast völlig von Rohstofflieferungen aus Russland abhängig, mit dem es deshalb eine enge Partnerschaft pflegt.

Der Wahlkampf in Armenien schien in den vergangenen Wochen immer mehr zu eskalieren. Die Opposition beschuldigt die Regierung den Versuch zu unternehmen, durch Wahlfälschungen weiter an der Macht zu bleiben. Es heißt, dass Regierungsanhänger Passangaben der Wähler sammeln, um deren Stimmen für sich zu reservieren. Auch soll potenziellen Regierungswählern Geld für ihre Stimme versprochen und vor der Wahl oppositioneller Parteien mit Drohungen gewarnt worden sein.

Am 2. April wurde die Autokolonne des Bürgermeisters der Stadt Gumri, Wardan Gukasjan, der Mitglied der regierenden "Republikanischen Partei Armeniens" ist, unter Beschuss genommen. Er und drei seiner Mitarbeiter wurden verletzt, drei weitere Begleiter kamen ums Leben. Am 8. April wurde das Firmenbüro der parteilosen Kandidatin Susanna Arutunjan ein Opfer der Flammen. Betroffen von Anschlägen ist auch die Partei "Blühendes Armenien" des Oligarchen Zarukjan. Am 12. April kam es in zwei Büros der Partei zu Explosionen und am 28. April wurde Samwel Schahwerdjan, ein enger Vertrauter Zarukjans, ermordet.

Der noch amtierende Präsident Kotscharjan verurteilte die jüngsten Ereignisse und forderte dazu auf, die Verbrecher zu finden und zu bestrafen. Trotz der kriminellen Aktionen bezeichnete der Vorsitzende des armenischen Parlaments Tigran Torosjan auf einer Pressekonferenz vom 2. Mai in Eriwan die Lage im Land als ruhig. Er sehe keine Gefahr einer "Orangen Revolution" und rief die ausländischen Wahlbeobachter der OSZE zu objektiven Berichten über die Wahlkampagnen und die kommenden Wahlen auf. Auch Premierminister Sersch Sarkissian spielt die aktuellen Ereignisse in Armenien herunter. Für eine "Orange Revolution" in Armenien sehe er in seinem Land nur eine theoretische Möglichkeit, sagte Sarkissian im Interview der russischen Zeitung "Nesawisimaja gazeta".

Am 2. Mai führten die aus einigen oppositionellen Parteien vereinigten Blöcke "Alternative" und "Impeachment" in Eriwan eine Protestkundgebung gegen das "oligarchische Regime des Präsidenten Kotscharjan" durch. Ihr Ziel, so erklärten die Demonstranten, sei es nicht, Kotscharjan wegen seiner Amtsvergehen anzuklagen, sondern einen Rechtsstaat zu schaffen. Wenn am 12. Mai Wahlfälschung stattfände, würden sie sich am darauf folgenden Tag auf dem Hauptplatz Eriwans sammeln und dagegen protestieren. Allerdings haben diese Blöcke nur schwachen Rückhalt in der Bevölkerung.

Man geht aktuell von einer Spaltung und Schwächung der Opposition in Armenien aus. So erklärte die Partei "Gesamtnationale Bewegung Armeniens" am 29. April ihren Ausstieg aus dem Wahlkampf: Diese Partei setzt noch immer all ihre Hoffnung auf die Rückkehr ihres ehemaligen Vorsitzenden Lewon Ter-Petrosjan in die große Politik. Ter-Petrosjan regierte Armenien von 1990 bis 1998 und wurde von dem damaligen Premierminister Kotscharjan und anderen Parlamentariern zum Rücktritt gezwungen. Der Grund hierfür war Ter-Petrosjans Idee eines Friedensplanes für die Region Bergkarabach. Nach Ansicht seiner Gegner beinhaltete dieser zu viele Zugeständnisse an Aserbaidschan, mit dem sich Armenien seit dem Zerfall der Sowjetunion im Konflikt um die Kaukasusregion befindet.

Die meisten Politiker betrachten die kommenden Parlamentswahlen als ein Vorgeplänkel zu den Präsidentschaftswahlen Anfang 2008. Da der parteilose Kotscharjan dann seine zweite und laut Verfassung letzte Amtszeit beendet hat, werden die Karten für die armenische Präsidentschaft bereits jetzt neu gemischt. Regierung und Opposition gehen beide davon aus, dass der Spitzenkandidat der Partei, die jetzt die meisten Stimmen bekommt, bei den Präsidentschaftswahlen die besten Chancen hat. Premier Sarkissian gilt dabei als aussichtsreichster Kandidat.

Als Sympathieträger des Westens gilt dagegen der 38-jährige Artur Bagdasarjan, Shootingstar der Partei "Land der Gesetzlichkeit". Seine Kritik an der strategischen Partnerschaft Armeniens mit Russland und die Erklärung, dass sein Land sich der NATO und EU annähern müsse, waren Grund genug, ihn Ende Mai 2006 vom Amt des armenischen Parlamentsvorsitzenden zu entheben. Jetzt will Bagdasarjan selbst als Kandidat seiner Partei an den kommenden Präsidentschaftswahlen teilnehmen. Er rechnet dabei wegen seines prowestlichen Kurses mit der Unterstützung von Politikern aus der EU und den USA. Regierungstreue Kräfte beschuldigen Bagdasarjan des Verrats am eigenen Land und warnen vor einem Szenario der "Orangen Revolution" - ermöglicht durch die Unterstützung Großbritanniens oder gar durch den aus Russland geflohenen Oligarchen Boris Beresowski in London.


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