„Das ist ein psychologischer Krieg“
Der estnische Verteidigungsminister Jaak Aaviksoo leitete den Abbau des sowjetischen Soldaten-Denkmals in der Hauptstadt Tallinn. Die Verlegung des sowjetischen Soldaten-Denkmals von einem öffentlichen Platz auf einen Militärfriedhof Ende April war von heftigen Protesten der russischen Minderheit begleitet. Gestern wurden aus Anlass des Kriegsendes vor 62 Jahren auf mehreren Gedenkplätzen im Raum Tallinn im Beisein von Verteidigungsminister Aaviksoo und Ministerpräsident Andrus Ansip sowie des diplomatischen Corps Kränze zum Gedenken an die „Opfer des Zweiten Weltkrieges“ niedergelegt. Mit dem Minister sprach nach den Gedächtnisfeierlichkeiten Ulrich Heyden.
Frage: Herr Minister, sie haben aus Anlass des Kriegsendes an Kranzniederlegungen an drei verschiedenen Plätzen teilgenommen, auf dem Gelände eines ehemaligen Konzentrationslager Klooga, vor dem „bronzenen Soldaten“ auf dem Militärfriedhof und auf dem Gedenkplatz zu Ehren der Soldaten, die mit der Hitler-Wehrmacht gegen die Sowjetunion gekämpft haben. Welche Botschaft geht damit von Estland aus? Aaviksoo: Die Geschichte des estnischen Volkes im 20. Jahrhundert war sehr widersprüchlich. Ungeachtet des Sieges der Länder die an der Koalition über das faschistische Deutschland beteiligt waren – dazu gehörte auch die Sowjetunion – bedeutete das für Estland eine Okkupation durch sowjetische Truppen über eine Zeit von über 50 Jahren. Wir müssen die historischen Ereignisse unter Berücksichtigung aller Toten des Zweiten Weltkrieges betrachten.
Blumenmeer vor dem verrückten Denkmal des "bronzenen Soldaten", das in Tallinn für Unruhen gesorgt hat.
Frage: Wie fühlten sie sich, als heute in Ihrem Beisein vor dem „bronzenen Soldaten“ Kränze niedergelegt wurden? Aaviksoo: Ich fühlte mich nicht schlecht. Der „bronzene Soldat“ stand über 50 Jahre auf dem Tynnismagi-Platz. Ich lebte in Frieden mit dem „bronzenen Soldaten“. Aber in den letzten Jahren nahmen die Emotionen zu. Es gab organisierte Provokationen von den Leuten, die sich nicht mit der Unabhängigkeit Estlands und der Zerstörung der Sowjetunion abfinden können. Vor einem Jahr waren dort rote Fahnen zu sehen und die estnische Trikolore wurde zerstört. Nach diesen Ereignissen war klar, dass der bronzene Soldat an einem ruhigeren Platz stehen muss.
Frage: Was müsste passieren, damit Russland und Estland das Kriegsende gemeinsam gedenken? Aaviksoo: Von dem Tag an, an dem Russland die Okkupation Estlands anerkennt, wäre ich einverstanden an jedem beliebigen Tag Blumen niederzulegen um dieses historische Eingeständnisses zu ehren. Aber zurzeit ist es nicht realistisch solch eine Eingeständnis zu erwarten.
Frage: Hängt der Konflikt um das Denkmal auch damit zusammen, dass Estland sich von Russland bedroht fühlt? Aaviksoo: Das ist keine direkte militärische Bedrohung, das ist ein psychologischer Krieg. Das sind komplizierte innerrussische Probleme. Einen Tag sind sie gegen Georgien dann gegen Moldawien, Lettland und Polen.
Frage: Waren sie erstaunt über die Proteste der russischen Minderheit gegen die Verlegung des bronzenen Soldaten? Aaviksoo: Nein. Wir kannten die Reaktion Russlands auf die Entwicklungen, die es in Georgien gab.
Frage: Es geht aber um die Russen in Estland. Aaviksoo: Das ist ein und dasselbe. Obwohl, es wäre sehr oberflächlich zu denken, dass die gewalttätigen Prozesse, die es am 27. April gab, die Interessen der russischsprachigen Bevölkerung in Estland wiederspiegeln.
Frage: In Deutschland gibt es Meinungen, Estland habe seine Zusammenarbeit mit den Nazis während der deutschen Besatzung nicht ausreichend aufgearbeitet. Aaviksoo: In den letzten 60 Jahren gab es viele Gerichtsprozesse. In der sowjetischen Zeit wurden die Vorwürfe gegen alle die, welche faschistischer Verbrechen verdächtigt wurden, zunächst verzehnfacht, dann wurden sie vernichtet. Nach der Unabhängigkeit habe ich selbst an einer internationalen Kommission teilgenommen, welche die Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Zeit 1939 bis 1954 untersuchte. Aber die Beschuldigung, die Esten seien Faschisten, geht zu weit.
Jaak Aaviksoo war acht Jahre Rektor der Universität von Tartu. Ende der 90er Jahre forschte der Biophysiker in Deutschland im Rahmen eine Stipendiums der Humboldt-Stiftung. Der 52jährige ist Mitglied der konservativen Partei „Pro Patria“ und seit April dieses Jahres Verteidigungsminister Estlands.
Frage: Vor einigen Tagen hat die estnische Regierung den ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder ausgeladen. Er wollte über die geplante Ostseepipeline verhandeln. Ist das Pipeline-Projekt für Estland nicht akzeptabel? Aaviksoo: Die Entscheidung über die Ostseepipeline wurde über die Köpfe der baltischen Staaten und Polens gefällt. Die Äußerungen Schröders über die Vorfälle in Tallinn (gemeint ist Schröders Kritik an der Verlegung des Soldaten-Denkmals) haben das gegenseitige Verständnis nicht befördert.
Frage: Gerhard Schröder wird in Estland also noch empfangen? Aaviksoo: Natürlich. Wir wollen beim Pipeline-Projekt aber als gleichwertige Partner und nicht als störendes Element behandelt werden, welches erst dann hinzugezogen wird, wenn zwischen Russland und Deutschland schon alles vereinbart ist.