Estland

Unter der Abhörzentrale

Bis zum 23. Stock des Hotel „Viru“ fährt kein Fahrstuhl. Der hält im 22. Stock, das letzte Stück muss man zu Fuß gehen. Hotelmanager Peep Ehasalu klappert mit seinem Schlüsselbund, während er seine Gäste die Stufen hinauf zu einer schweren Eisentür führt. Jahrelang war diese Tür auch für die Mitarbeiter des Hotels verschlossen, kaum einer wusste, was sich dahinter verbarg. Denn während des Kommunismus hörte hier der KGB Gäste und Personal ab – eine Funkzentrale, die an den Film „Das Leben der Anderen“ erinnert.

Ein voller Aschenbecher und eine zerbrochene Tasse zeugen davon, in welch überstürzter Eile die KGB-Funktionäre ihre Zentrale 1991 verließen. Schäbiges Mobiliar, demolierte Abhöranlagen, herausgerissene Leitungen. Ein Schreibtisch mit vergilbten russischen Formularen und einem zertrümmerten Telefon. Über allem liegt eine 20 Jahre alte Staubschicht. Als das Zimmer entdeckt wurde, wusste man zunächst nicht, was man mit diesem Chaos anfangen sollte. Man beschloss, alles so zu lassen, wie es war. „So wurde das Provisorium zum Dauerzustand“, erklärt Manager Peep Ehasalu.

In der nach wie vor leer stehenden 23. Etage ist nun ein kleines Museum eröffnet worden. „Ein Raum erzählt von der Geschichte des Hotels und seiner Rolle zu Sowjetzeiten, das KGB-Zimmer ist unverändert geblieben", erläutert Peep Ehasalu das Konzept.

Besucher erhalten in der obersten Etage aber nicht nur Einsicht in die dunkle Vergangenheit des Landes, sondern auch einen atemberaubenden Blick über die nur wenige Schritte entfernte mittelalterliche Innenstadt von Tallinn mit ihrer Stadtmauer und ihren Türmen, auf den Fährhafen und auf den Finnischen Meerbusen. Nur rund 60 Kilometer sind es von hier bis Helsinki. Diese Nähe war früher auch für den KGB interessant, der hier gleichzeitig mit der Eröffnung des Hotels 1972 seine Funkzentrale einrichtete.

„In diesem Hotel wohnten die Besucher aus Finnland und aus den anderen westlichen Staaten. Außerdem fand damals die KSZE-Konferenz in Helsinki statt. Die Station hier hatte ihre Antennen nach Finnland und nach Moskau gerichtet und war 24 Stunden am Tag besetzt“, erklärt Peep Ehasalu. Zum Kulturhauptstadtjahr werden am Geländer Tafeln angebracht, die erklären, welche Aufgabe heutige Bauten früher hatten: Der Besucher erfährt beispielsweise, dass das Außenministerium einmal die Zentrale der Kommunistischen Partei war. Das Gebäude des Planungskomitees ist inzwischen das Finanzministerium.

1994 wurde das Hotel „Viru“ umfassend renoviert, inzwischen gehört es einem finnischen Konzern. Im Erdgeschoss besteht ein Übergang zu einem modernen Einkaufszentrum, und im Hotel mit seinem Restaurant, den Bars und dem Wellnessbereich erinnert nichts mehr an die Sowjetzeit. Auch aus den Zimmern sind heute längst alles Grauen und die frühere Tristesse gewichen. Und dennoch: An manchen Stellen nehmen unmotivierte Holzvertäfelungen unverdient viel Platz ein. Waren dort einmal die Wanzen versteckt? Peep Ehasalu muss lachen. „Bei der Renovierung wurden in rund 60 der 462 Zimmer Abhöranlagen entdeckt. Außerdem wurden Restaurant, Nachtclub und Sauna abgehört. Dafür gab es diverse Schächte und Ritzen – die KGB-Leute waren eben überall.“ Und er fügt hinzu: „Wenn die Menschen hier übernachten, erleben sie die Stadt als Ganzes: Dazu gehört das Stadtbild, aber eben auch die Vergangenheit“.


Sokos Hotel Viru
Viru väljak 4
EE-10111 Tallinn
Tel. +372 6 809 300
Fax. +372 6 809 236

Übernachtung ab ca. 50 Euro pro Nacht

http://www.sokoshotels.fi/en/leisure/tallinn-estonia/tallinn-estonia/nightlife-package-in-tallinn-in-2011/


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