Bosnien-Herzegowina

Srebrenica kämpft für Sonderstatus

Muslime wollen nicht länger von Serben regiert werden /Protestcamp in Sarajewo.

Sarajewo (n-ost) - Neben dem Olympiastadion von Sarajewo steht seit zwei Wochen eine kleine Zeltstadt. Bewohnt ist sie von ungefähr 100 Bewohnern. Es sind Muslime aus dem ostbosnischen Srebrenica. Dort töteten serbisch-bosnische Truppen unter dem Kommando des noch immer flüchtigen, mutmaßlichen Kriegsverbrechers Ratko Mladic im Juli 1995 fast 8000 bosniakische (muslimische) Männer und Jungen. Ende Februar stufte der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag dieses Massaker - das schlimmste in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg - als Völkermord ein.

Gemäß dem Dayton-Friedensabkommen von 1995 gehört Srebrenica zur Serbischen Republik, einer der beiden Entitäten (Teilrepubliken) des Staates Bosnien-Herzegowina. Das wollen viele Bosniaken, die das Massaker überlebten und während der letzten Jahre nach Srebrenica zurückgekehrt sind, nach dem Urteilsspruch des IGH nicht mehr länger hinnehmen. Sie kritisieren, dass allein bei der Polizei der Serbischen Republik noch immer fast 500 Personen im Dienst sind, die verdächtigt werden, an den Gräueltaten in Srebrenica beteiligt gewesen zu sein. Zahlreiche muslimische Rückkehrer beklagen sich nicht nur über Arbeitslosigkeit und Armut, sondern vor allem über Diskriminierungen, zum Beispiel im Schul- oder Gesundheitswesen. Deshalb fordern sie die Ausgliederung ihrer Gemeinde aus der Serbischen Republik. Srebrenica brauche wegen seiner jüngsten Geschichte einen Sonderstatus, nämlich die direkte Unterstellung unter die gesamtstaatlichen bosnisch-herzegowinischen Institutionen.


Trauernde an den Gedenktafeln in Srebrenica
Norbert Rütsche

Camil Durakovic vom "Initiativkomitee für den Sonderstatus von Srebrenica" drohte damit, dass mehrere Hundert weiterer Bosniaken in einer Protestaktion Srebrenica wieder verlassen und mit ihrem gesamten Hab und Gut nach Sarajewo ziehen werden, falls ihre Gemeinde nicht bald einen Sonderstatus bekomme. Selbst die Toten werde man dann ausgraben und mitnehmen, heißt es in der Zeltstadt beim Olympiastadion. Die Serbische Republik wies die Forderung nach einem Sonderstatus unmissverständlich zurück, sicherte Srebrenica aber unterdessen Unterstützung in Höhe von acht Millionen Euro zu. Christian Schwarz-Schilling (77), der mit weitreichenden Vollmachten ausgestattete internationale Hohe Repräsentant in Bosnien-Herzegowina, versucht derweil die Wogen zu glätten und ernannte einen Koordinator für Srebrenica, um die dortige Situation gezielt verbessern zu helfen.

Der prominenteste Fürsprecher für das Anliegen der Bosniaken aus Srebrenica ist Haris Silajdzic (62), der muslimische Vertreter im dreiköpfigen bosnisch-herzegowinischen Staatspräsidium und Vorsitzender der "Partei für Bosnien-Herzegowina" (SBiH). Silajdzic, der während des Bosnien-Krieges als Außenminister international bekannt wurde, kehrte bei den Wahlen vom Oktober 2006 mit einem pointiert bosniakisch-nationalistischen Programm auf die politische Bühne zurück. Er strebt eine komplett neue Struktur des Landes mit seinen rund 4,5 Millionen Einwohnern an. An die Stelle der derzeitigen beiden Entitäten - der Serbischen Republik und der bosniakisch-kroatischen Föderation - soll ein starker Zentralstaat treten. Immer wieder hat Silajdzic deshalb während der letzten Monate die Auflösung der Serbischen Republik gefordert. Sein wichtigstes Argument: Die Serbische Republik sei das Ergebnis des Krieges und beruhe auf Völkermord und Vertreibung.

Silajdzic nutzt nun den Streit um den Sonderstatus für Srebrenica, um sein Hauptanliegen erneut zu thematisieren. Seine politischen Gegner, aber auch Stimmen aus den Reihen der internationalen Gemeinschaft, werfen ihm vor, die Bosniaken aus Srebrenica zu manipulieren und für seine Zwecke zu instrumentalisieren. Schon vor einem Jahr ließ Silajdzics SBiH zum Entsetzen der ausländischen Diplomaten ein mühsam ausgehandeltes Verfassungsreform-Paket platzen, das den gesamtstaatlichen Behörden zwar mehr Kompetenzen gegeben, aber die Aufteilung des Landes in zwei Entitäten aufrechterhalten hätte. Damit gelang Silajdzic ein Wahlkampfcoup erster Güte - viele bosnische Muslime gaben ihm genau aus diesem Grund ihre Stimme.

Silajdzic verdankte den Wahlerfolg aber auch seinem schärfsten politischen Widersacher, Milorad Dodik (48). Der Ministerpräsident der Serbischen Republik ließ keine Gelegenheit aus, offen mit einem Referendum zur Abspaltung seiner Entität vom Gesamtstaat Bosnien-Herzegowina zu drohen, nicht zuletzt auch in Anspielung auf eine mögliche Unabhängigkeit des Kosovo. Die bei den bosnischen Serben populäre Forderung verhalf Dodiks "Bund der Unabhängigen Sozialdemokraten (SNSD)" zu einem überwältigenden Wahlsieg und einer faktischen Alleinherrschaft in der Serbischen Republik. Doch mittlerweile gab selbst deren Präsident Milan Jelic (SNSD) zu, Dodiks Sezessionsrhetorik hätte einzig und allein Wahlkampfzwecken gedient. Auch die Verknüpfung mit den Entwicklungen zum Kosovo ist derzeit kaum ein Thema. Dass die territoriale Integrität des Landes von den serbisch-bosnischen Politikern im Grundsatz nicht mehr in Frage gestellt wird, zeigt die Tatsache, dass sowohl der Vorsitzende des Staatspräsidiums, Nebojsa Radmanovic, als auch der Ministerpräsident des Landes, Nikola Spiric, bosnische Serben und Mitglieder der SNSD sind. Dodik macht aber keinen Hehl daraus, dass er dem Staat Bosnien-Herzegowina nicht wirklich zugetan ist, sondern ihn lediglich braucht, um sein "Königreich" Serbische Republik zu erhalten. Im serbischen Fernsehen RTS meinte er kürzlich, er hätte keine Ahnung, wie die bosnisch-herzegowinische Hymne klinge. Diese sei in der Serbischen Republik nie zu hören.

Nach Ansicht vieler internationaler Beobachter sind die unnachgiebigen Parteichefs Silajdzic und Dodik auch für das kürzliche Scheitern der Polizeireform verantwortlich. Diese ist für die Europäische Union eine unabdingbare Voraussetzung für die Unterzeichnung des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens mit Bosnien-Herzegowina. Heute unterstehen die Polizeieinheiten den Innenministerien der beiden Entitäten - deren Grenzen dürfen sie nicht überschreiten. Ein Innenministerium für ganz Bosnien-Herzegowina existiert gar nicht. Die EU verlangt für alle Polizeikräfte eine einheitliche Gesetzes- und Finanzierungsgrundlage auf gesamtstaatlicher Ebene sowie die Garantie, dass die Polizeibezirke nach fachlichen und nicht nach rein ethnischen Kriterien festgelegt werden. Dodik beharrt aber auf der Weiterexistenz der Polizei der Serbischen Republik, Silajdzic will diese vollständig zerschlagen. Ein Kompromiss ist nicht in Sicht. EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn machte inzwischen deutlich, die EU habe kein Verständnis mehr für diese fruchtlosen Streitereien. Von den Ländern des Westbalkans hat die EU mittlerweile nur mit Bosnien-Herzegowina und Serbien noch kein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen geschlossen. Erst im März paraphierte Montenegro den entsprechenden Vertrag - weniger als ein Jahr nach der staatlichen Unabhängigkeit.

Slowake als Nachfolger von Schwarz-Schilling?

Die ausländischen Diplomaten in Bosnien-Herzegowina betonen fast gebetsmühlenartig, dass es zwischen den Entwicklungen bezüglich des künftigen Kosovo-Status' und der Situation in Bosnien-Herzegowina keinerlei Verbindungen gebe. Sie wollen damit schon von vornherein klarstellen, dass sich die Serbische Republik auch nach einer möglichen Unabhängigkeit des Kosovo keine Hoffnungen auf eine Abspaltung vom Gesamtstaat Bosnien-Herzegowina machen sollte. Nach Recherchen der bosnisch-herzegowinischen Tageszeitung Nezavisne Novine werden die beiden Regionen nun aber thematisch doch miteinander verknüpft. Wie die Zeitung meldete, soll der slowakische Diplomat Miroslav Lajcak derzeit der einzige Kandidat für die Nachfolge von Christian Schwarz-Schilling als Hoher Repräsentant für Bosnien-Herzegowina sein. Doch die USA würden Lajcaks Kandidatur nur dann zulassen, wenn die Slowakei, derzeit Mitglied im UN-Sicherheitsrat, dem Ahtisaari-Plan für eine überwachte Unabhängigkeit des Kosovo zustimme. Das slowakische Außenministerium hat eine solche Bedingung unterdessen allerdings dementiert. Miroslav Lajcak gilt als ausgewiesener Kenner des Westbalkans. Er war Botschafter der Slowakei in Serbien und begleitete als EU-Beauftragter das Unabhängigkeits-Referendum in Montenegro im vergangenen Mai. Schwarz-Schillings Amtszeit läuft Ende Juni aus.


- Gedenktafel für die beim Massaker von Srebrenica im Juli 1995 ermordeten 8000 Bosniaken. Gedenkstätte Potocari bei Srebrenica
- Beisetzung der sterblichen Überreste von identifizierten Opfern des im Juli 1995 verübten Massakers von Srebrenica im letzten Sommer. Gedenkstätte Potocari bei Srebrenica, 11. Juli 2006.    Bilder: Norbert Rütsche


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Norbert Rütsche


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