Sarajewo – eine geteilte Stadt sucht die Normalität
Sarajewo (n-ost) – Erwähnt man hierzulande die Stadt Sarajewo, so drängen sich unwillkürlich Bilder von Krieg und Zerstörung auf. Zwischen 1992 und 1996 wurde die Hauptstadt Bosniens 1000 Tage lang von serbischen Truppen belagert. Dabei gab es über 10.000 Tote und Verletzte. Bis heute erinnern die Minenfelder hoch in den Bergen und - weithin sichtbar - die weißen Stelen der Massengräber rund um die Stadt an die blutigen Kämpfe. Doch gut ein Jahrzehnt nach der Befreiung der Stadt aus der tödlichen Umklammerung erhebt sich Sarajewo dank internationaler Hilfe langsam aus Trümmern.Spuren der turbulenten GeschichteDas Herzstück der Stadt bildet die unter den Osmanen erbaute Altstadt „Baščaršija“, die sich in einem engen Tal ans Ufer des Flüsschens Miljacka schmiegt. Vom Bahnhof aus fährt man mit der Straßenbahnlinie 3 bis zur Haltestelle „Čaršija“. Sie liegt direkt am Taubenplatz, der seinem Namen alle Ehre macht. Hunderte von Tauben wollen hier gefüttert werden. Ihren Durst löschen sie mit Hilfe des uralten „Sebilj-Brunnens“, der einen markanten Turmaufbau hat. Wer von dem Wasser des Brunnens trinkt, wird wieder nach Sarajewo zurückkehren, so besagt die Legende. Vom Taubenplatz aus bummelt man durch die engen Gassen des Basars. Die Hauptgasse Sarači wird seit 500 Jahren von kleinen Handwerkergeschäften gesäumt. Es gibt billige Souvenirs, aber auch hochwertigen Schmuck direkt vom Goldschmied, darunter handgefertigte Einzelstücke. Und in die Nase steigt der Duft von Zwiebeln und frisch gegrillten Ćevapčići oder Pljeskavica. Beides sind landesübliche Köstlichkeiten aus gegrilltem Hackfleisch. Für den Nachtisch sind Eiscafés nicht weit.Rund um die Altstadt springen die Türme der Moscheen ins Auge. Über 200 gibt es in ganz Sarajewo, ein Großteil wurde erst mit finanzieller Hilfe der islamischen Welt in den vergangenen zehn Jahren erbaut. Fünfmal am Tag rufen die Muezzine zum Gebet. Am markantesten ist die Beg-Moschee. Dieser große Bau im Herzen der Altstadt ist nach einem osmanischen Herrscher aus dem 15. Jahrhundert benannt. Um sie von innen anzusehen, muss man warten, bis die Gläubigen ihr Mittagsgebet beendet haben. Frauen müssen am Eingang ein Kopftuch überziehen und alle Besucher die Schuhe ausziehen.Für Allah und seinen Propheten Mohammed gibt es ein Abbildungsverbot. Deshalb haben sich islamische Künstler auf die prächtige Darstellung der arabischen Schrift konzentriert. Das Innere der Beg-Moschee ist mit solchen Arabesken ausgemalt, wunderschöne Teppiche bedecken den Boden, weshalb man die Schuhe auch nicht vermisst. Mitten in Europa befindet man sich urplötzlich in einer bezaubernden, fremden Welt.
Die Beg Moschee in Sarajevo. Foto: Saša GavrićNur 50 Meter weiter, in der Ferhadija-Straße, wandelt sich die Architektur: nichts ist mehr von der osmanischen Altstadt zu sehen. Es öffnet sich eine barock-verspielte, in der Ära der österreichisch-ungarischen Herrschaft erbaute Fußgängerzone voller Cafés und teurer Geschäfte. Mittendrin befinden sich die katholische Kathedrale und die orthodoxe Metropolitenkirche. Am Horizont sind von hier aus auch die Dächer der jüdischen Synagoge zu sehen, direkt auf der anderen Seite des Flusses Miljacka – insgesamt bietet Sarajevo vier Weltreligionen im Umkreis von wenigen hundert Metern.Die Stadt der großen KriegeViele Touristen werden an der Lateiner-Brücke über das Flüsschen Miljacka nach einem historischen Fußabdruck suchen. Er stammt vom Bosnier Gavrilo Princip, der hier am 28. Juni 1914 Weltgeschichte schrieb und mit der Ermordung des österreichisch-ungarischen Thronfolger Franz Ferdinand letztlich den Ersten Weltkrieg auslöste, der mit dem Zusammenbruch des Habsburger Reiches endete. Damals entstand Jugoslawien, das in den 1990er Jahren wieder auseinander fiel. Der Krieg kehrte nach Sarajewo zurück. Während der vierjährigen Belagerung der Stadt machten die 300.000 Einwohner Unbeschreibliches durch. Unter Beschuss von Heckenschützen auf den umliegenden Bergen kämpften sie täglich ums Überleben.Überlebt hat die Stadt dank eines 800 Meter langen und 1,50 Meter niedrigen Tunnels zum internationalen Flughafen. Ihn durchquerten damals täglich rund 4000 Personen und brachten auf ihrem Weg jeweils bis zu 50 Kilogramm Lebensmittel und Ausrüstung in die belagerte Stadt. Zusätzlich wurden ein Starkstromkabel, eine Treibstoffpipeline und eine Telefonleitung durch den Tunnel geführt. Vor allem nachts wurden mit Hilfe eines Schienensystems mit 25 kleinen Wagen bis zu 20 Tonnen Material in die Stadt transportiert. Der Tunnel, den eine Familie in Privatinitiative zum Museum ausgebaut hat, ist heute eine wichtige Sehenswürdigkeit. Die Kriegsjahre haben die Bevölkerungsstruktur der Stadt völlig verändert. Von der alten Multikulturalität ist wenig geblieben. 90 Prozent der Einwohner sind mittlerweile Bosniaken (muslimische Bosnier). Die meisten Kroaten und Serben haben die Stadt verlassen. Kurz nach der Vereinbarung des Dayton-Abkommens 1995 ordneten die serbischen Partei- und Militärführer damals die Umsiedlung der serbischen Bevölkerung aus den direkt an Sarajevos Zentrum grenzenden Gebieten an. Im Gegensatz zu früheren Plänen wurde die Stadt nämlich nicht zwischen der bosniakisch-kroatischen Föderation und der serbischen Republika Srpska geteilt. Aus Angst vor Racheakten floh ein Großteil der serbischen Bevölkerung, schätzungsweise bis zu 100.000 Einwohner. Es entstand das so genannte „Ost-Sarajewo“, eine kleine selbständige serbische Vorstadt-Gemeinde, die gleich hinter dem Sarajewoer Flughafen beginnt. Eine unsichtbare Mauer steht zwischen beiden Stadtteilen und verursacht die Entstehung und Festigung von zwei Parallelgesellschaften.Chance zum ZusammenlebenDas heutige, mehrheitlich von Bosniaken besiedelte Sarajewo, gibt sich größte Mühe, die Stadt als aufgeklärte südosteuropäische Metropole zu präsentieren, in der niemand auf seine westlichen Gewohnheiten verzichten muss. So hält sich kaum jemand an das im Islam vorherrschende Tabak- und Alkoholverbot. Doch der erste Eindruck kann auch trügen. Der Islam dirigiert einen großen Teil des gesellschaftlichen Lebens der Stadt. Andere Religionen werden toleriert, sind aber nicht unbedingt gleichberechtigt – so waren Karfreitag und Ostermontag auch in diesem Jahr ganz normale Arbeitstage. Aleksandar Grgić, ein 24-jähriger Studenten der Musikhochschule, ist einer der Einwohner der geteilten Stadt. Geboren im einheitlichen Sarajewo wuchs er im serbischen Ost-Sarajewo auf, wo er auch studiert. Seiner Meinung nach ist ein einheitliches Sarajewo möglich, liegt aber noch in einer fernen Zukunft. „Diese Teilung ist doch unnatürlich und wurde von oben aufgesetzt. Wir jungen Menschen wollen nicht mehr in der Geschichte leben. Der Krieg war schrecklich, doch wollen wir wirklich unser ganzes Leben darauf reduzieren und ewig Opfer zu spielen? Nein“, sagt Aleksadar bestimmt, „wir haben neue Wünsche und Ziele“. So glaubt Aleksandar, dass wenigstens zum 30. Jahrestag der Winterspiele 2014 Sarajewo möglicherweise wieder eine vereinte Stadt sein wird. Vielleicht klappe es dann auch mit einer neuen Kandidatur und die Winterspiele kämen erneut nach Sarajewo. Bis dahin setzen gerade die jungen Einwohner der Zeit der Depression ihre Lebenslust entgegen. Die Cafes an der Strossmayer-Promenade sind voller Leben. „Es gibt angeblich kein Geld, aber die Cafés sind voll, und zumindest im Zentrum kleiden sich die armen Menschen eleganter als in jeder deutschen Großstadt. Wir nennen dies auch gerne das ´bosnische´ Wirtschaftswunder: kein Geld, aber weggehen und sich kleiden wie die Weltmeister“, lacht Aleksandar. Ende
Fenster 1:
Einreise:
Für EU-Staatsbürger ist kein Visum erforderlich. Weitere Infos bei der deutschen Botschaft in Sarajewo: www.sarajewo.diplo.de
Anreise:
Lufthansa und Austrian Airlines fliegen zweimal täglich nach Sarajewo.
Die Air Bosna (www.airbosna.ba) fliegt fast alle deutschen Flughäfen und Zürich mehrmals wöchentlich an. Information:
Tourism Association of Sarajevo Canton, Ulica Branilaca Sarajeva 22 www.sarajevo-tourism.com/eng/ Literatur:
Marko Plesnik: »Bosnien-Herzegowina entdecken«, Trescher Verlag, 2005; 16,95 EuroUnterkunft:
Hotel „Holiday Inn“, Strasse Zmaja od Bosne 4, www.holiday-inn.com Berühmt, weil hier während des Krieges die ausländischen Journalisten lebten und auch Radovan Karadžić sein Büro hatte. Ab 160 Euro Hotel „Saraj“, Strasse Nevjestina 5, ab 40 Euro. www.hotelsaraj.com
Geheimtipp: mit wunderbarer Aussicht auf die Altstadt.
Jugendhotel „Bjelave“, Strasse Bardakcije 1, Tel. +387 33 663355, schon ab 10 Euro.*** ENDE ***
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