Im Scheckentempo in die EU
Ljubica Bogdanovic hat Angst. Sollte Kroatien der Europäischen Union beitreten, könnte alles noch viel teurer werden. Schon jetzt müsse sie von 150 Euro Monatsrente den Großteil für die Mietnebenkosten ihrer Wohnung abzweigen. Überleben könne sie nur durch Betteln - und das nach 30 Jahren Fabrikarbeit. Den Sozialismus bezeichnet die Rentnerin aus Zagreb als Goldenes Zeitalter, die politische Wende und der Bürgerkrieg seinen für ihr Land allerdings "eine schreckliche Katastrophe" gewesen. Und jetzt noch die Europäische Union? Das bringe sicher nichts Gutes, vor allem nicht für die Armen. Mit ihrer Einstellung spricht Ljubica Bogdanovic den meisten der 4,4 Millionen Einwohner Kroatiens aus der Seele. Gerade mal vier von zehn Bürgern befürworten den EU-Beitritt ihres Landes, wie verschiedene Meinungsumfragen ergeben haben.
Doch auch die EU ist weiterhin skeptisch, was einen raschen Beitritt Kroatiens betrifft. Dies zeigt der aktuelle Fortschrittsbericht des österreichischen Europaabgeordneten und Sozialdemokraten Hannes Swoboda, der am Mittwoch vom Europäischen Parlament in Straßburg verabschiedet wurde: Kroatien erfülle zwar die politischen Beitrittskriterien und könne als funktionierende Marktwirtschaft bezeichnet werden - allerdings müsse man in Zagreb das Reformprogramm konsequent durchsetzen und die beträchtlichen Schwachstellen beheben. Nur so könne man mit den Marktkräften innerhalb der Union mittelfristig konkurrieren, so Swoboda in seinem Bericht. Reformen seien im Justizbereich, aber auch bei Polizei und Verwaltung dringend nötig. Gerichtsverhandlungen ziehen sich oft jahrelang dahin, Richter seien oftmals nicht unparteilich und Bestechungen bei Justiz und Polizei aufgrund niedriger Gehälter immer noch keine Ausnahme.
Ein Dorn im Auge ist den EU-Politikern auch die schleppende Privatisierung: An fast 70 Unternehmen hält der kroatische Staat noch die Mehrheit. Der übermächtige staatliche Einfluss macht sich vor allem im Stahlbau- und Schiffsindustriesektor bemerkbar: Ausländische Investoren bleiben hier meist außen vor. Der hoch subventionierte Schiffsbau, so Wirtschaftsexperten, dürfte vermutlich noch einige Jahre fest in staatlicher Hand bleiben - was der EU ebenfalls ein Dorn im Auge ist.
Positiv bewerten die Europa-Parlamentarier die Entwicklungen im Hinblick auf Minderheiten, Vertriebene und Rückkehrer. Eine objektive Aufarbeitung der jüngsten Vergangenheit der Region und eine echte Aussöhnung der Volksgruppen stehe unterdessen noch aus, heißt es in dem aktuellen Bericht. Auch habe sich die uneingeschränkte Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof für Ex-Jugoslawien verbessert. Allerdings bestehe auf lokaler Ebene eine "feindselige Haltung", die eine wirksame Verfolgung von Kriegsverbrechern und einen ausreichenden Schutz der Zeugen vor Einschüchterung verhindere.
Auch im Umweltbereich herrscht Nachholbedarf: Kroatien müsse europäische Umweltstrategien durchsetzen und das Kyoto-Protokoll ratifizieren. Ausgerechnet das kroatische Verhältnis zu Slowenien, dem Vorreiter in Sachen EU-Beitritt, gilt als angespannt - vor allem im Hinblick auf die Grenzstreitigkeiten in der Adria. Nun hat die EU allerdings ein Machtwort gesprochen: Das Problem müsse "ein und für alle Mal" beseitigt werden - im Notfall mit Hilfe Dritter. Wenn Slowenien im ersten Halbjahr 2008 die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, wolle man diesen "Schatten" nicht mehr sehen, interpretiert das kroatische Onlineportal "index.hr" die Einmischung der EU.
Die meisten Kroaten - acht von zehn Befragten - fürchten mit dem EU-Beitritt den Ausverkauf der Häuser und Grundstücke an Unionsbürger, vor allem an der attraktiven Adriaküste. Zu den weiteren Sorgen, die Kroaten mit Brüssel verbinden, gehören neben steigenden Preisen und Ängsten stärker in den Fokus von Terroristen zu geraten, auch die Befürchtung, in Zukunft auf den selbst gebrannten Pflaumenschnaps und handgepresstes Olivenöl aus Dalmatien verzichten muss - aufgrund der strengen EU-Normen für solche Erzeugnisse. Dies hat eine aktuelle Umfrage des kroatischen Meinungsforschungsinstituts Puls ergeben hat. Vor allem Landwirte stehen der EU sehr negativ gegenüber. Das räumt auch Außenministerin Kolinda Grabar-Kitarovic vor kurzem gegenüber Journalisten ein: Es seien große Herausforderungen, die auf die Landwirtschaft im Hinblick auf den EU-Beitritt zukommen, so die Politikerin.
Dass Kroatien bereits 2009 der EU beitreten könnte, pünktlich zu Europawahlen, daran herrscht kein Zweifel. Zumindest nicht bei führenden Politikern in Zagreb, allen voran Premier Ivo Sanader. Der neue Fortschrittsbericht gilt als erstes Dokument, dass diese Jahreszahl konkret erwähnt. Daher wurde das Dokument von kroatischen Medien als "schicksalsweisend" bezeichnet. In Straßburg hält man sich mit voreiligen Versprechungen allerdings zurück: Wann eine Entscheidung falle, sei noch unklar. Erst einmal müssten alle Verhandlungskapitel abgeschlossen werden, so der Pressesprecher des Europäischen Parlaments, Andreas Kleiner.
Politische Beobachter sind jedoch der Ansicht, dass die EU nicht noch einmal den gleichen Fehler wie bei Bulgarien und Rumänien begehen möchte: Ein fester Termin könnte den Reformwillen Kroatiens drosseln, das sich auf seinen bisherigen Lorbeeren ausruhen könnte. Hinzu kommt, dass der Vertrag von Nizza die Beschränkung der EU auf 27 Staaten vorsieht, zudem müsse Europa vor der nächsten Erweiterung - in diesem Fall Kroatiens - zunächst seine Verfassungsfrage klären, forderte vor Kurzem auch Bundeskanzlerin Angela Merkel.