Rumänien

"Sie sollten das orange T-Shirt tragen"

Klausenburg (n-ost) - Landolf von Kürten musste sich entscheiden zwischen Tokio, Boston und dem rumänischen Klausenburg (Cluj). Für alle drei Städte bietet seine Universität in Siegen Sokrates-Stipendien an, für ein Semester. Tokio und Boston sind klangvolle Namen, die spätere Arbeitgeber beeindrucken können - kein Wunder, dass sich die Bewerber um diese Studienplätze scharen. Landolf von Kürten entschied sich hingegen für Klausenburg, als einziger aus seiner Universität. Als Außenseiter auf Abwegen fühlt er sich dennoch nicht, eher als Unikat. "Es geht darum, ein oranges T-Shirt zu tragen, damit man in der Menge erkannt wird", sagt Landolf von Kürten. Für ihn ist Rumänien das orange T-Shirt.Der 25-jährige junge Mann studiert im siebenbürgischen Klausenburg Betriebswirtschaft, nicht auf Rumänisch, sondern auf Deutsch. An der dortigen Babes-Bolyai-Universität gibt es allein 16 deutschsprachige Studiengänge, angefangen von Wirtschaft bis zu Europastudien, Journalistik oder Biologie. Und Klausenburg ist kein Einzelfall. Das neue EU-Land Rumänien bietet landesweit knapp 60 deutschsprachige Studiengänge an und könnte damit für viele westeuropäische Studenten ein attraktiver Studienstandort sein. Doch die deutschsprachigen Studenten kommen nur zögerlich, sagt Reimar Müller, der Leiter des DAAD-Zentrums in Rumänien, weil "Osteuropa immer noch ein schlechten Ruf hat, den es gar nicht verdient". Seit Jahren ermuntert der DAAD mit einer "Go east"-Stipendien-Aktion deutsche Studenten, sich nicht nur in Westeuropa umzuschauen, sondern auch den Osten zu entdecken - eine Region, "die boomt und gerade für Wirtschaftsstudenten attraktiv ist", sagt Reimar Müller.
Langolf von Kuerten in einem Seminar. Foto: Annett MüllerAuch der Österreicher Lukas Strobl hat gleich nach seinem Abitur den Schritt nach Klausenburg gewagt, um Internationale Wirtschaftsbeziehungen auf Deutsch zu studieren. "Ich war der bunte Hund", erinnert sich Strobl, "alle wollten mich kennen lernen." Was für ein Einstieg in eine Hochschulwelt, die in Westeuropa gewöhnlich so anonym ist wie eine Millionen-Stadt. Zudem muss Lukas Strobl die Lehrveranstaltungen nicht mit hunderten Studenten teilen, wie seine Freunde an der Wirtschaftsuniversität in Wien.Der rumänische Studienstandort Klausenburg hält aber andere Abenteuer bereit. Weil Lukas Strobl kein Stipendium hat, muss er an der Universität Studiengebühren zahlen. Und weil er Ausländer ist, liegen sie besonders hoch. Dass sie jährlich rund 2.000 Euro betragen würden, hat man ihm erst zu Studienbeginn in Rumänien mitgeteilt. "Ich wusste, dass es Gebühren gibt, doch es war ein Schock, als ich die Summe hörte".  Für einen "Rückzieher" war es zu spät, Strobl hatte in Klausenburg bereits eine Wohnung bezogen und renoviert.Der Prorektor der Babes-Bolyai-Universität Klausenburg, Wilfried Schreiber, hält die Gebühren für westeuropäische Studierende für völlig überzogen: "In Rumänien denkt man, dass Westler Geld besitzen und, dass man ihnen helfen sollte, es auszugeben." Doch der Prorektor kann wenig tun, denn die Frage der Studiengebühren wird im Bildungsministerium in Bukarest entschieden. Das ist derzeit von Brüssel aus angehalten, einheimische und ausländische Studenten gleichzustellen, so wie es in der EU üblich ist. Westeuropäische Studenten hätten demnach dieselben Konditionen wie rumänische Studenten: Die erhalten in der Regel einen gebührenfreien Platz, vorausgesetzt sie legen eine erfolgreiche Aufnahmeprüfung für ihr Studienfach ab. Ein kleiner Rest zahlt derzeit eine Jahresgebühr von 450 Euro. Für rumänische Verhältnisse liegt die Summe dramatisch hoch, für Studenten aus Deutschland und Österreich würde sie billiger als im eigenen Heimatland ausfallen. Doch noch ist die Gleichstellung westeuropäischer Studenten in Rumänien nicht Gesetz."Die Realität zerrt an den Nerven", sagt der Österreicher Strobl, der für seine hohen Gebühren, "immerhin Service" erwartet. Stattdessen erlebt er an der Basis häufig Bürokraten, die nur entscheiden wollen, wenn es zentrale Regelungen gibt: "Ich habe tausend bürokratische Wege, die ich neben dem Studium erledigen muss." Gewöhnungsbedürftig für Strobl ist auch die Art der rumänischen Lehre, die bislang mehr auf Auswendiglernen setzt statt auf selbstständiges Denken. Dennoch meint Lukas Strobl, dass sich der Schritt nach Rumänien trotz hoher Kosten langfristig rentieren wird. Er will die Studienzeit für Kontakte zu österreichischen und deutschen Firmen nutzen, die in Rumänien zahlreiche Arbeitsplätze schaffen und für einen Wirtschaftsboom sorgen, der wohl noch Jahre anhalten wird."Rumänien bietet mir eine Jobgarantie, von der ich in Österreich nur träumen kann", sagt der 22-Jährige. Auch der deutsche Student Landolf von Kürten ist nach seinem Semesterstipendium geblieben, auch er muss jetzt die hohen Studiengebühren zahlen, die doppelt so hoch liegen wie die neu eingeführten Gebühren an seiner Heimatuniversität Siegen. Viele westeuropäische Studenten würden diese Kosten scheuen. Landolf von Kürten meint hingegen: "Wenn den Weg schon Tausend andere entdeckt hätten, wäre er nichts mehr Besonderes." Dass eines Tages im Lebenslauf ein Abschluss in Klausenburg stehen wird, ein Ort, den in Westeuropa nur wenige kennen, beunruhigt die beiden Studenten nicht. Sie wissen, dass weniger der Studienabschluss, sondern vielmehr die Kontakte für einen Job entscheidend sind. Die lassen sich in Rumänien mit Sicherheit schneller finden, als in Boston oder Tokio. Landolf von Kürten will wie Lukas Strobl das Studium in Klausenburg abschließen und dann für eine deutsche Firma arbeiten, am besten in Rumänien: "Man kann ja in diesem Land nur aufbauen". Die beiden westeuropäischen Studenten zahlen derzeit für ihr Studium nicht nur Doppelt so viel wie zu Hause sondern auch fünf Mal so viel wie ihre rumänischen Kommilitonen. Nach Studium in Klausenburg wollen die beiden aber anders auftreten. Dann verlangen sie im Gegensatz zu ihren rumänischen Kollegen ein Westgehalt.
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