Bosnien-Herzegowina

Muslime in Srebrenica protestieren

Zagreb (n-ost) - Die muslimisch-bosnische Bevölkerung von Srebrenica hat mit einer Serie von Protestaktionen begonnen, um auf die anhaltenden Missstände in ihrer Stadt aufmerksam zu machen und um ihre Rechte zu kämpfen. Die wichtigste Aktion soll ein Massenexodus der bosnischen Bevölkerung aus der Stadt sein, um vor dem Büro des Hohen Repräsentanten der internationalen Gemeinschaft für Bosnien-Herzegowina, Christian Schwarz-Schilling in Sarajewo zu protestieren. Inzwischen wurden erste Protestzelte am Olympiastadion von Sarajewo aufgebaut.Die Vertreter der bosnischen Gemeinschaft von Srebrenica erklärten zu der Aktion, dass es nicht weiter hinnehmbar sei, unter serbischer Verwaltung in der Republika Srpska - eines der drei Teilgebiete des heutigen Bosnien-Herzegowinas - zu leben. Die Muslime fühlen sich dauerhaft diskriminiert. So würden beispielsweise die Häuser serbischen Rückkehrer sofort an die Wasser-, Strom- und Gasleitungen angeschlossen, während Bosnier Jahre darauf warten müssten.Um die Demonstranten zu beschwichtigen, hat der Ministerpräsident der Republika Srpska, Milorad Dodik, in Banja Luka den Muslimen in Srebrenica acht Millionen Euro angeboten, um die Infrastruktur der Stadt zu verbessern. Dieses Angebot wurde jedoch mit der Begründung abgelehnt, man habe die Diskriminierung satt.
Gedenkstätte an den Massengräbern von Srebrenica. Foto: Norbert RütscheGleichzeitig drohten die Vertreter der bosnischen Gemeinschaft damit, die jedes Jahr am 11. Juli stattfindenden Feierlichkeiten zum Gedenken an das Massaker von Srebrenica zu boykottieren. Sie würden auch der nächsten Phase der Beisetzung der im vergangenen Jahr identifizierten Opfer fern bleiben.Es gibt aber auch Bosniaken in Srebrenica, die den Protest kritisch sehen, unter ihnen der Bürgermeister. Anstatt einen Sonderstatus zu fordern, streben sie mehr Rechte und eine aktivere Beteiligung an der derzeit serbisch dominierten Regierung in Banja Luka, der Hauptstadt der Republika Srpska, an.Ein Urteil vom 10. April, in dem vier Serben vom Serbischen Sondergericht für Kriegsverbrechen verurteilt wurden, sorgte für weiteren Ärger. Es handelt sich um vier der fünf Männer, die auf einem von der serbischen paramilitärischen Gruppe "Skorpione" selbst gedrehten Video zu sehen sind. Das Video tauchte 2005 auf und wurde im Prozess gegen den ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic vorgeführt. Es sorgte sowohl in Serbien als auch im Ausland für großes Entsetzen. Es zeigt, wie sechs muslimische Männer und Jugendliche im Juli 1995 in Srebrenica von Mitgliedern der "Skorpione" kaltblütig hingerichtet werden. Der Jüngste war nur 16 Jahre alt.  Bis zu diesem Zeitpunkt hatte man in Serbien systematisch geleugnet, dass serbische Soldaten an Kriegsverbrechen beteiligt gewesen waren und dass ein Verbrechen in Srebrenica stattgefunden hat.Dies war der erste Prozess, der in Serbien selber stattgefunden hat, der mit dem Massaker von fast 8.000 muslimische Männer und Jugendlichen in Srebrenica in Verbindung steht.  Der ehemalige Kommandant der "Skorpione", Slobodan Medic, und sein Hauptkomplize, Branislav Medic, bekamen die Maximalstrafe von 20 Jahren Haft. Pero Petrasevic, der als Einziger das Verbrechen eingestand, wurde zu 13 Jahren Haft verurteilt. Von den beiden wegen Beihilfe Angeklagten bekam Aleksander Medic fünf Jahre. Aleksander Vukov wurde freigesprochen. Manche bewerten das Urteil als einen wichtigen Meilenstein für Serbien. In Srebrenica hält man es jedoch für einen Skandal. Die Strafen seien unangemessen niedrig. Und außerdem bleibe der Mord an den restlichen fast 8.000 Opfer von Srebrenica weiter ungeklärt.Am 9. April veröffentlichte zudem die "New York Times" einen Artikel in dem bestätigt wird, dass das Material, welches dem Tribunal für Kriegsverbrechen in Den Haag zur Verfügung stand und dort im Februar 2007 als Grundlage für die Freisprechung Serbiens von der Anklage des Völkermords diente, vom serbischen Geheimdienst und der Regierung manipuliert und zensiert worden war. Das Material stamme von den Verteidigern des ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosovic. Es gibt auch ein Zitat der zuständigen Chefanklägerin des Internationalen Gerichtshofes Carla Del Ponte, mit dem sie bestätigt, sich im Jahre 2003 auf die Bedingungen der serbischen Regierung eingelassen zu haben, die Dokumente vor der Auslieferung an das Tribunal entsprechend zensieren zu dürfen. Wichtige belastende Informationen wurden demnach der Öffentlichkeit und den Richtern vorenthalten - mit vollem Wissen des Gerichtshofes. Rechtsanwälte in Den Hag sowie in Belgrad haben bestätigt, dass das Urteil anders ausgefallen wäre, wenn das ganze Beweismaterial vollständig zur Verfügung gestanden hätte. Sogar ein Antrag Bosniens, auf die Vollständigkeit der Dokumente zu bestehen, sei abgelehnt worden. Die "New York Times" zitiert den Vizepräsidenten des Gerichtshofes, Awn Sahwkat al-Khasawneh, der bestätigt, dass "es durchaus anzunehmen wäre, dass die (fehlenden) Dokumente Aufschluss über die zentralen Fragen gegeben hätten".Nachdem der ehemalige Mitarbeiter von Carla Del Ponte und Generalstaatsanwalt im Prozess gegen Milosevic, Sir Geoffrey Nice, der kroatischen Presse weitere Dokumentationen geliefert hat, die diese Behauptungen bestätigen, hat Carla del Ponte am 16. April in einer Presseerklärung jegliche Vorwürfe zurückgewiesen. Es gibt allerdings zu viele ungeklärte Fragen und die Unsicherheit und Unzufriedenheit ist zu groß, als das das Thema damit abgeschlossen wäre. Das Urteil im Februar hatte zwar bestätigt, dass ein Völkermord in Bosnien stattgefunden hat, eine direkte Rolle Serbiens sei dabei jedoch nicht nachweisbar. Aus anderen Urteilen des Internationalen Gerichtshofes gehen allerdings die Beteiligung und die Verantwortung der serbischen Streitkräfte in Bosnien eindeutig hervor. Es gäbe auch Dokumente, die nachweisen, dass Milosevic selbst das Befehl gegeben hatte, in Bosnien einzumarschieren, um die Truppen von Ratko Mladic zu unterstützen, und das Massenmord von Srebrenica auszuführen.Natasha Kandic, Leiterin des Zentrums für Humanitäre Gesetzgebung und Menschenrechte äußerte sich empört über das Verhalten des Internationalen Gerichtshofes. Es erlaube dem serbischen Volk, sich den Realitäten des Krieges weiterhin zu verschließen. Die Bevölkerung müsse sich endlich mit der Wahrheit auseinandersetzen.Die muslimische Bevölkerung von Srebrenica fühlt sich gerade von der internationalen Gemeinschaft ein weiteres Mal verraten und vergessen. Der Unmut und der Ärger wachsen. Nun will sie mit den Protesten ein eindeutiges Zeichen setzen und um für ihre Rechte und für die Wahrheit kämpfen. 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