Türkische Schüler begehen grausame Morde an drei Christen
Je mehr Einzelheiten über die grausamen Morde an drei Christen in der ostttürkischen Stadt Malatya bekannt werden, umso unvorstellbar und sinnloser erscheint die Tat. Ein Besucher der im dritten Stock eines Bürogebäudes befindlichen Niederlassung des christlichen Zirve-Verlages fand am Dienstag um 13 Uhr alle Türen verschlossen vor. Nach einem ergebnislosen Versuch, den Verlag über den Hauptanschluss zu erreichen, rief er den später getöteten Ugur Yüksel auf dem Mobiltelefon an. Yüksel bat ihn, in ein Hotel zu gehen, um ihn später dort zu sprechen. Das rettete dem Anrufer vielleicht das Leben. Der Mann schöpfte Verdacht und alarmierte die Polizei.
Doch jede Hilfe kam zu spät. Die Beamten fanden zwei der Mitarbeiter des Verlages, Necati Aydin (35) und den Deutschen Tilman Ekkehard Geske tot vor. Der dritte, Ugur Yüksel, lebte noch, starb aber auf dem Weg ins Krankenhaus. Alle drei Opfer waren mit Händen und Füssen an Stühle festgebunden worden, die Mörder hatten mit Messern ihre Kehlen durchschnitten.
Als mutmaßliche Täter wurden fünf Schüler im Alter von 18 und 20 Jahren festgenommen. Die Einzelheiten zum Hergang der Morde schilderten zwei Abgesandte der türkischen protestantischen Kirche aus Ankara, Pastor IIhsan Özbek und sein Stellvertreter Soner Turfan. Die drei Getöteten waren Mitglieder der protestantischen "Liberty Church", einer vor allem in den USA aktiven Gemeinschaft. Özbek und Turfan protestierten am Tag nach der Ermordung ihrer Gemeindemitglieder öffentlich in einer live vom türkischen Fernsehen übertragenen Pressekonferenz. "In der Türkei existiert eine Hexenjagd auf christliche Missionare wie im Mittelalter", erklärte Ihsan Özbek. "Es sei nicht mehr nachzuvollziehen, wie eine Kultur, die bedeutende mystische Denker hervorgebracht hat und sich als laizistisch bezeichnet, Metzger hervorbringt, die Menschen auf grausamste Weise umbringen und sich im Recht fühlend auch noch stolz darauf sind." Özbek bezog sich damit auf die in den Mobiltelefonen gespeicherten Nachrichten der fünf mutmaßlichen Täter an ihre Freunde und Familien. Die sich auf die Universitätsaufnahmeprüfung vorbereitenden Schüler zwischen 18 und 20 erklären darin sich auf den Weg zu begeben, um etwas Gutes für das Vaterland zu vollbringen.
Auf der Pressekonferenz kam es zu Spannungen. Als erste Frage äußerte ein Lokaljornalist aus Malatya, mit welcher Berechtigung und Genehmigung sich der ermordete Deutsche Tilman Ekkehard Geske in Malatya befunden hätte. Die Protestanten lehnten die Beantwortung dieser Frage ab und diskutierten daraufhin lebhaft mit den Vertretern der türkischen Presse über die Intoleranz gegenüber christlichen Minderheiten. Tatsächlich existiert vor allem in der lokalen und rechts-religiösen Presse die Tendenz, die Tätigkeiten von christlichen Missionaren maßlos zu übertreiben und als in einem muslimischen Land verbotene Werkzeuge ausländischer Mächte zu verunglimpfen.
2005 war es zu Protesten vor der Distributionsfirma des Verlagshauses Zirve (der Gipfel) in Malatya gekommen, weil die lokale Presse behauptet hatte 10.000 Bibeln seien auf dem Weg nach Ostanatolien. Die im Land herrschende restriktive Rechtspraxis, die den Kirchen keinen Rechtsstatus verleiht und sie daran hindert, Besitztümer zu haben, nährt die Intoleranz. Die türkische Regierung unterstreicht vor allem gegenüber Kritikern aus Europa stets, dass auch den islamischen Institutionen solche institutionellen Rechte verwehrt seien. In der Praxis ist es allerdings offensichtlich, dass unzählige islamische Stiftungen den gleichen Zweck wie religiöse Institutionen erfüllen und ganze Konzerne bilden, während die nicht muslimischen Stiftungen und Vereine in der Vergangenheit sogar mit Beschlagnahmungen bestraft wurden.
Der in Malatya als konspiratives Zentrum christlicher Missionare angesehene, christlich religiöse Literatur und Bibeln vertreibende Zirve-Verlag belieferte die Christen der Umgebung. Nach Angaben der protestantischen Kirche gibt es in Malatya eine Gruppe von 25 Protestanten, die sich regelmäßig vor allem in Wohnungen trifft. In der gesamten Türkei soll es etwa neunzig solcher "Kirchen" geben, die insgesamt 3000 bis 3500 Gemeindemitglieder verzeichnen, in der Mehrzahl Türken, darunter viele Konvertiten. Das Konvertieren wird in der Türkei von vielen Konservativen abgelehnt, ist aber gesetzlich nicht verboten.
Pastor Ihsan Öbek mutmaßte in einem Gespräch mit Journalisten im Haus des getöteten Nacati Aydin, dem Pastor der Malatya Gruppe, dass diese bei einer Oster-Feier in einem Hotel von einem Teil der Mörder gesehen worden sein könnte. Die Schüler und mutmaßlichen Täter wohnten in einem religiös-konservativen Studentenheim in der Nähe dieses Hotels.Die türkische Polizei hat mittlerweile jedoch noch fünf weitere Verdächtige festgenommen. Türkische Regierungsvertreter erklärten am Mittwoch einhellig, dass die grausamen Morde in allen Einzelheiten aufgeklärt und mögliche Hintermänner gesucht würden.
Malatya ist für seine ethnische Vielfalt und die ideologischen Extreme bekannt. Der Papst-Attentäter Mehmet Ali Agca stammte ebenso aus Malatya wie der am 19. Januar in Istanbul ermordete armenisch-türkische Journalist Hrant Dink. Die Hinrichtungsform erinnert an die Handschrift der Hisbollah, die in der Region sehr stark, im Jahr 2000 jedoch in der Türkei zerschlagen wurde. Viele Kommentatoren werteten die Tat als mögliche Reaktion auf die Proteste nach dem Mord an Hrant Dink. Vor allem der Slogan, "wir sind alle Armenier" hatte ultrarechte Kreise provoziert.