Georgien

Südossetien – im Land der zwei Präsidenten

Ende März hat Georgien vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Klage gegen Russland eingereicht. Grund sind die Massenabschiebungen von Georgiern aus Russland. Seit langem schwelen diplomatische Krisen zwischen Moskau und Tiflis. Hauptgrund sind die Regionen Südossetien und Abchasien, die sich nach dem Zerfall der UdSSR Anfang der 1990er von Georgien loslösten und heute pro-russische Regierungen haben. Um Südossetien in den georgischen Staat zurückzuholen, hat sich die Regierung in Tiflis eine neue Strategie ausgedacht und eine alternative Regierung eingesetzt.Nachts leuchtet ein meterhohes Kreuz rot vom Hügel herab ins Dorf. „Ein Freund hat es aufgestellt, sagt Zurab. „Weil wir religiös sind und es gleichzeitig die Grenze des georgischen Gebietes markiert“. Gehen die Georgier des Liachwi-Tals weiter könnten sich die Osseten an den Posten auf der anderen Seite des Hügels provoziert fühlen und schießen. Holz haben die Georgier im Dorf Kurta schon lange nicht mehr für den Winter schlagen können. Denn der nur wenige Hundert Meter von der Siedlung entfernte Wald ist ossetisch kontrolliert. Vor nicht allzu langer Zeit flogen von dort Granaten heran und schlugen in Zurabs Garten neben seinem Haus ein. Ein Obstbaum mit ausgefransten Ästen zeugt noch von der Wucht der Granate.
 
Die Region Südossetien ist von Checkpoints diverser Konfliktparteien und einer  Friedenstruppe aus russischen, ossetischen und georgischen Soldaten geprägt. Von 1990 bis 1992 kämpften im nördlichen Georgien Separatisten um die Unabhängigkeit des 4.000 Quadratkilometer großen Südossetiens. Die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion marode georgische Armee unter dem Präsidenten Eduard Schewardnadse sollte die Aufstände im Land niederschlagen. Doch die Abspaltungsbewegungen von Abchasien und Südossetien wurden von Moskau sowie nordkaukasischen Freiwilligen unterstützt. Die georgische Armee zog sich damals geschlagen zurück.Lage spitzt sich zu 
Ein 1992 vereinbarter Waffenstillstand, überwacht von der Friedenstruppe, hält die Explosivität einigermaßen unter dem Deckel. Doch war die Lage nie wirklich ruhig und spitzt sich seit 2006 immer weiter zu. Immer wieder kommt es an den Grenzen der abtrünnigen Republik zu bewaffneten Scharmützeln. Zuletzt forderten die Auseinandersetzungen Ende März zwei Menschenleben.
 
Die Schlinge um den Hals der Hauptstadt Zchinvali hat der georgische Präsident Micheil Saakaschwili angelegt. Nach seinem Machtantritt 2003 versprach er, Südossetien wieder mit Georgien zu vereinigen. Im November 2006 ließ man in einer international nicht anerkannten Wahl Dimitri Sanakojew ins Amt des „Alternativen Präsidenten Südossetiens“ wählen.
Einen direkten Einfluss kann der pro-georgische Präsident Sanakojew mit seiner 150 Mann starken bewaffneten Leibgarde nur über drei Dörfer nördlich von Zchinvali ausüben. Die Mehrzahl georgischer Dörfer liegt ohnehin an der südlichen Grenzlinie zu Georgien und wird von dort aus kontrolliert. In der georgischen Enklave Kurta, im Herzen der südossetischen Republik, patrouillieren Polizisten in kugelsicheren Westen und mit Kalaschnikows um den sanierten, minzfarbenen Regierungssitz von Sanakojew herum, der hier im Dezember 2006 mit seiner „alternativen Regierung“ einzog. 



Dimitri Sanakojew gibt georgischen Journalisten ein Interview. / Timo Vogt, n-ost

Sanakojew ist auch für spontane Besuche zu haben und empfängt seine Gäste mit kumpelhafter Attitüde. Im Unabhängigkeitskrieg Anfang der 90er kämpfte der Georgier auf Seiten der Separatisten gegen Georgien. Später stieg er sogar bis zum Premierminister in Zchinvali auf. Sein Aufstieg dort endete aber 2001 mit der Machtübernahme seines Konkurrenten Eduard Kokoiti. Jetzt predigt der 37-Jährige Sanakojew als Präsident von Saakaschwilis Gnaden Wiederaufbau und Entwicklung für Südossetien. Mit seinem nur wenige Kilometer entfernt herrschenden ossetischen Rivalen Kokoity würde er prinzipiell in Gespräche gehen, sagt er, „aber schon das Angebot dazu ist unmöglich“.

Für die Wiedervereinigung Südossetiens mit Georgien habe er sich nach der Rosenrevolution 2003 entschieden. „Saakaschwili war der Erste, der Angebote machte“, sagt Sanakojew, der selbst kaum Georgisch spricht und versteht. „Kokoity ängstigt die Leute. Andersdenkende haben es schwer in Zchinvali“, konstatiert Sanakojew. Im georgisch kontrollierten Teil aber „gibt es Meinungs- und Bewegungsfreiheit“, sagt der Herr über die Dörfer Kurta, Tamarascheni und Kechwi. Ein wenig Selbstkritik hat der „Alternative Präsident“ dann aber doch noch parat. Denn für seine eigene „Legitimation muss noch hart gearbeitet werden“.Georgiens Präsident Saakaschwili, ein regelmäßiger Gast in Kurta, hat rund 2,6 Millionen Euro als Wiederaufbauhilfe für die georgischen Dörfer versprochen. Die Wasserversorgung und der Straßenbau sollen damit vorangetrieben werden. Zurzeit versuchen Arbeiter 300 Fundamentlöcher für die neue Straßenbeleuchtung in die ossetische Erde zu treiben. Der altersschwache Erdbohrer scheitert jedoch am steinigen Grund.

Mit Hilfe massiver Investitionen in die Infrastruktur, durch Verbesserung der Lebensverhältnisse und die Schaffung von Arbeitsplätzen versucht die georgische Regierung sich der ossetischen Bevölkerung als attraktivere Variante zu empfehlen. Der Wunsch nach Rechtstaatlichkeit und besseren Lebensbedingungen soll sie zur Abkehr vom Regime Kokoity bewegen und so die Wiedervereinigung mit Georgien beschleunigen.

Die Bevölkerung Kurtas wartet mit Langmut auf Veränderungen. Ob sie glauben, dass die neue Regierung unter Sanakojew ihnen eine gute Zukunft bringen wird, ist schwer zu erfahren. Man ist nicht sehr gesprächig und will sich mit Äußerungen nicht unnötig in eine schwierige Lage bringen. Die Lage ist trist. Arbeit gibt es keine und wenn, wird außer bei den Sicherheitskräften im Tal, nur selten gut gezahlt.

In Kurta hat bislang nur die Hauptstraße eine löchrige Asphaltdecke, die Geschäfte sind winzige Bretterverschläge mit sonnengebleichten Auslagen. Das Schild der regierenden Partei „Nationale Bewegung“ aber erstrahlt in blitzblankem Plastik mit aufgesteckter georgischer und europäischer Fahne. Ein paar Kilometer südlich erwacht der Markt der südossetischen Hauptstadt Zchinvali zum Leben. Auf dem Schulhof der ausgebrannten Ruine der früheren georgischen Schule gruppieren sich die Stände der Kleidungs- und Gemüseverkäufer. Nina Kokojewa ist ein bisschen in die Jahre gekommen. „Früher, ja da bin ich gereist. In Deutschland habe ich eine Rundreise gemacht mit meiner ossetischen Volkstanzgruppe“, sagt sie mit glänzenden Augen. Die warm eingewickelte Rentnerin steht noch immer vor ihrem Marktstand an dem sie Plagiate westlicher Sportkleidungsmarken verkauft. Über ihre Rente kann sie sich nicht beklagen, denn sie bekommt doppelt so viel wie die georgischen Rentner, die nur wenige Kilometer entfernt hinter den Checkpoints leben.Die Renten in Südossetien zahlt Russland. Jeder ältere Südossete, der sich auf der nördlichen Seite des Kaukasusgebirges bei den nordossetischen Behörden registriert, erhält die russische Rentenzahlung. Viele Südosseten besitzen bereits Reisepässe der Russischen Förderation. So wächst langsam zusammen, was für Südosseten ohnehin zusammengehört. Sie fordern die Trennung von Georgien und eine Vereinigung zwischen Nord- und Südossetien. Doch käme diese Vereinigung gleichzeitig einer Einverleibung Südossetiens durch Russland gleich, denn Nordossetien ist Teil Russlands.

Billard mit Kalaschnikow-Patronen

In der südossetischen Hauptstadt Zchinvali steht zwischen den meist eingeschossigen Stadthäusern ein düsterer Würfel. Nur aus einigen Fenstern des obersten Stockwerks dringt Licht. Drinnen wabert Zigarettendunst in dichten Wolken durch einen großen Raum. Auf kleinen Tischen stehen Limonadeflaschen und ein Dutzend Männer um die 50 beugen sich über zwei Billardtische. Ihre Queues stoßen aber nur drei weiße Kugeln, denn sie spielen ein besonderes Spiel. Eine Billardkugel wird gestoßen und muss eine weitere über die Bande auf ein eigenartiges Ziel richten: Patronen aus Kalaschnikows. Jede umgefallene Patronenhülse stellt einen Georgier dar. Die sich dieses Spiel ausgedacht haben, haben selbst Georgier getötet, damals, als man die Unabhängigkeit forderte und sie mit der Waffe verteidigte. 

 

Billard mit Kalaschnikow-Patronen. / Timo Vogt, n-ost

Die meisten Osseten mittleren Alters sind Kriegsveteranen. Ihre Waffen tragen sie nicht öffentlich zur Schau, aber in ihren Kellern haben sie noch eine AK-47 bereitliegen. Manch Vater lagert gleich noch für jeden Sohn ein Schießeisen zusätzlich hinter dem Bücherregal ein. Timur, ein kaukasischer Kriegsveteran der ersten Stunde meint zwar, dass Krieg eine schlechte Sache sei. „Aber wenn die Georgier wiederkommen, dann ziehe selbst ich alter Kerl noch mal los“.

Die Studenten des „Institutes für Demokratie“ sind zu jung, um gekämpft zu haben. Es ist ein rauer und unversöhnlicher Ton, den die jungen Leute anschlagen. Vor ihrer Zentrale achten Männer mit Gewehren an der Schulter hängend darauf, dass keine ungeliebten Gäste eintreten. Kritik am Demokratiedefizit in Zchinvali muss man hier nicht suchen. Kokoity sei ein „junger Präsident, der für die Jugend alles mache“, meint die redegewandte Doma. Wer die Arbeit der Jugendorganisation finanziert? „Der Präsident“, wird unumwunden eingeräumt. Man hat sich klar positioniert, einen Frieden mit Georgien gibt es erst, wenn „Georgien die Unabhängigkeit, anschließend die Vereinigung Süd- mit Nordossetiens akzeptiert“ und damit den Anschluss an die Russische Föderation. Dafür schreiben sie Flugblätter und demonstrieren in den Straßen der Stadt.

Im Café im Stadtpark denkt die junge ossetische Studentin Ina lieber über ihre Zukunft nach, als sich mit Politik zu beschäftigen. Doch auch sie ist sich sicher - nie würde sie freiwillig einen Fuß in die Disko setzen, die momentan mit georgischem Geld nördlich von Zchinvali in einem georgischen Dorf gebaut wird. Eine Disko, die der georgischen Jugend zeigen soll, dass ihre trostlose Region doch lebenswert ist. Immer wieder schießen nachts Unbekannte von ossetischer Seite auf die Baustelle. Zchinvali hat keine Disko zu bieten. Ina schaut kurz zur Decke und überlegt. „Wir Studenten treffen uns zu Hause oder hier in diesem Café im Stadtpark“, sagt sie dann. Sie träumt davon ihre rudimentären Englischkenntnisse zu verbessern und mit ihrem schon beantragten russischen Pass ins Ausland zu reisen.

Eine georgische Revolution ist in Südossetien nicht in Sicht

„Die letzten Jahre hat sich die Situation hier sehr verbessert“, konstatiert Ina und meint damit die Zeit nach dem Amtsantritt des Präsidenten Eduard Kokoity, der seit 2001 in Zchinvali regiert. Die Strom-, Wasser- und Gasversorgung funktioniert zuverlässig. Die Menschen klagen nicht, denn sie sehen die Verbesserungen ihrer Lebensbedingungen. In der Öffentlichkeit würde ohnehin niemand klagen. Dem Verdacht der Kollaboration mit den „georgischen Faschisten“ möchte man sich nicht aussetzen. In Südossetien ist die Freiheit ein knappes Gut und Demokratie wird nur dann hochgehalten, wenn gerade ein Präsident ins Amt gehoben wurde. Dennoch: Eine abtrünnige Region, die von der georgischen Regierung zu einer inneren Revolution und zur Rückkehr geführt werden kann, dürfte anders aussehen.


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