Türkei

Tagebuch enthüllt Putschpläne in der Türkei

„Wir hatten schon einen Plan entworfen. Wir wollten erst die Presse auf unsere Seite bringen und dann die Rektoren der Universitäten, um die Studenten dazu zu bringen auf die Strasse zu gehen…sie sollten gegen die Regierung mobilisieren.” Diese Sätze stammen nicht aus den Memoiren eines Revolutionärs, sondern sind dem Tagebuch eines mittlerweile pensionierten türkischen Admirals entnommen.

Das türkische Nachrichtenmagazin „Nokta“ ordnet das brisante Material dem ehemaligen Kommandanten der Marine, Admiral Özden Örnek zu. Dieser sei im Jahre 2004 an den Vorbereitungen zu zwei Militärumstürzen beteiligt gewesen. „Nokta“-Chefredakteur Alper Görmüs gibt die Quelle des dem Magazin zugespielten Manuskriptes nicht preis, ließ in einem Interview mit der Tageszeitung Radikal jedoch durchblicken, dass an einer Demokratisierung interessierte Kreise aus dem Militär selbst das Tagebuch der Presse zugespielt haben. Der sich darum zusammenbrauende Skandal ereignet sich in politisch brisanten Zeiten.

Admiral Özden Örnek, mittlerweile Präsident des Vereines zur Wahrung des Gedankengutes von Atatürk (ADD), dem Staatsgründer der Türkei, hat zusammen mit anderen pensionierten Generälen für den 14. April zu einer Protest-Demonstration gegen die Kandidatur des amtierenden Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan für das Amt des Staatspräsidenten aufgerufen. Das Auftauchen des Tagebuches zu diesem Zeitpunkt kurz vor den Wahlen löst in der türkischen Öffentlichkeit eine heftige Kontroverse über die Rolle des Militärs im Staat aus.


Militärgarde vor dem Mausoleum des Staatsgründers Atatürk / Sabine Küper-Büsch, n-ost

Der amtierende Staatspräsident Ahmet Sezer scheidet am 16. Mai aus dem Amt. Das Parlament wird 30 Tage zuvor mit den Beratungen beginnen und in den ersten zehn Tagen dieser Frist die Kandidaten küren. Frühestens am 27. April wird es also zur Wahl eines neuen Präsidenten kommen. Mit 356 von 550 Stimmen im Parlament wird die Regierungspartei für Gerechtigkeit und Fortschritt (AKP) zunächst die Kandidaten bestimmen. Neben Erdoğan wird Außenminister Abdullah Gül (AKP) als möglicher Kandidat favorisiert. Der Präsident wird für die Dauer von sieben  Jahren von der Großen Türkischen Nationalversammlung (TBMM) in geheimer Wahl gewählt. Sollte in den ersten beiden Wahlgängen keine Zweidrittel-Mehrheit gefunden werden, so reicht im dritten Wahlgang eine einfache Mehrheit aus.

Das Amt des türkischen Staatspräsidenten ist mit einer großen Machtfülle ausgestattet, die exekutive, legislative und judikative Elemente beinhaltet. Eine mögliche Wahl Erdoğans ist in erster Linie für die Opposition und die kemalistischen Eliten im Militär- und Staatsapparat ein Reizthema. Die Tatsache, dass seine Gattin als Kopftuchträgerin nicht dem herkömmlichen Bild der modernen Republik und seines höchsten Repräsentanten entspricht, ist ein Nachteil für den Ministerpräsidenten. Gleichzeitig galt der noch amtierende Staatspräsident Ahmet Sezer als neutrale Instanz zwischen dem Militär und der konservativen Regierungspartei für „Gerechtigkeit und Entwicklung” (AKP), deren Spitzenpolitiker Recep Tayyip Erdogan und Abdullah Gül, aus einer islamistischen Parteientradition stammen.

Das brisante Tagebuch des Admirals a. D. offenbart die Widersprüche im politischen System der Türkei. Nach den Aufzeichnungen sollen 2004 - parallel zu den Bemühungen der türkischen Regierung mit umfassenden Reformpaketen den Beginn von Gesprächen mit der EU zu ermöglichen -, zwei Putschversuche unter den poetischen Bezeichnungen „Operation Mondschein” und „Operation blondes Mädchen” geplant worden sein.

Die türkische Öffentlichkeit fragt sich jetzt, ob das Kopftuch von Emine Erdoğan eine Aushebelung der parlamentarischen Demokratie rechtfertigt. Nein, entschied glücklicherweise der Generalstab damals selbst. Die Putschpläne scheiterten an der Uneinigkeit der Generäle, deren demokratische Fraktion sich mit der Erkenntnis durchsetzte, dass die Zivilgesellschaft in der Türkei keinen Putsch wünscht. Özden Örnek bedauert in seinem Tagebuch diese Entscheidung. Das erklärt seinen Eifer heute zusammen mit anderen Generäle innerhalb einflussreicher ziviler Organisationen Politik zu machen.

Das Militär in der Türkei sieht das Amt des Staatspräsidenten in Anlehnung an den ersten Staatspräsidenten der 1923 ausgerufenen Republik, Mustafa Kemal Atatürk, als vom Militär kontrollierte zweite Macht im Staate. Auch Atatürk war ursprünglich General gewesen. Darauf aufbauend hat das Militär den in der Verfassung formulierten Auftrag die moderne laizistische türkische Republik vor reaktionären Kräften zu schützen. In der Vergangenheit machten die Generäle dreimal davon Gebrauch und putschten 1960, 1970 und 1980. Doch die politische Konstellation hat sich verändert. Während die konservative AKP Erdogans mittlerweile Vorreiter hinsichtlich ihrer Bemühungen um eine Annäherung an die EU und die Erfüllung der Kopenhagener Kriterien ist, fungiert die Hardliner-Fraktion innerhalb des Militärs weniger als Schutz der modernen Türkei sondern bemüht sich vor allem um den Erhalt der eigenen Macht.

In seinem Tagebuch ist Admiral Özden Örnek nach Angaben der Nachrichtenagentur Nokta durchaus selbstkritisch. „Wir als Armee nehmen uns zu wichtig. Die Zivilisten lieben das Vaterland nicht genug. Sie sind selbstsüchtig, unpatriotisch und faul, so denken wir…. Aber wie weit kommt man mit solchen Gedankengebäuden?” 

Unmittelbar nach Erscheinen des Nokta-Artikels erstattete Admiral Örnek Anzeige. Es geht dabei nicht um die Echtheit des Tagebuchs, sondern die Chefredaktion wird der „Entfremdung des Volkes vom Militär” bezichtigt. Das ist neben dem Paragraphen „Beleidigung des Türkentums”, nach dem auch der Literatur-Nobelpreisträger Orhan Pamuk angeklagt wurde, weil er sich zur Kurden- und Armenier-Frage geäußert hatte, einer der umstrittenen Zensur-Paragraphen in der Türkei. Umgekehrt zeigte der der Regierung nahestehende konservativ-islamische Menschenrechtsverein „Mazlum-der” Admiral Örnek aufgrund von umstürzlerischen Aktivitäten gegen den Staat an. Die Staatsanwaltschaft hat in beiden Fällen mit Ermittlungen begonnen.


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