Abschied vom Baumhaus
Stevan Graovac ist Serbe und wurde in einem kleinen Dorf in der Nähe der kroatischen Küstenstadt Zadar geboren. Als Kroatien 1991 seine Unabhängigkeit erklärte, hat die Mehrheit der Serben im Land dies nicht akzeptieren wollen. Mit Hilfe des Jugoslawischen Heeres wurde damals ein unabhängiger serbischer Staat innerhalb Kroatiens ausgerufen. Die Serben kontrollierten vier Jahre lang fast ein Viertel Kroatiens. Während dieser Zeit wurden - trotz Anwesenheit der UN-Friedenstruppen - mehr als 600 Kroaten umgebracht und viele mehr aus ihren Häusern und Dörfern vertrieben. 1995 eroberten die kroatischen Streitkräfte während der "Operation Sturm" (Oluja) dieses Gebiet zurück. Aus Rache wurden mehr als 650 Serben - fast alles ältere Menschen - auf grausame Weise von kroatischen Soldaten hingerichtet, ihre Häuser wurden komplett niedergebrannt.
Graovac gelang es damals, nach Serbien zu flüchten. Er war nach Angaben des Helsinki-Komitees für Menschenrechte einer von 120.000 Serben, die allein aus der Region um Zadar geflohen sind. Ungefähr die Hälfte von ihnen ist inzwischen zurückgekehrt. Auch der heute 60-jährige Stevan Graovac gehört zu den Rückkehrern. Jahrelang lebte er in verschiedenen Flüchtlingslagern in Serbien. Nach dieser Leidenszeit habe er festgestellt, dass Kroatien trotz allem seine Heimat sei und dass er in seinem alten Dorf seinen Lebensabend verbringen möchte. Graovac überwand sich und kehrte vor drei Jahren in seinen Geburtsort zurück. Dort fand er sein Haus von einem Kroaten bewohnt. Dieser war selbst ein Flüchtling aus Bosnien. Dies ist ein häufiges Dilemma: Flüchtlinge kehren in ihre Heimat zurück und finden andere Flüchtlinge in ihren Häusern wohnen. Und diese kann man nicht einfach rausschmeißen. Es folgt oft ein langwieriger Prozess, bis die Verhältnisse geklärt sind.
Graovac stellte einen Antrag bei der verantwortlichen Behörde und da er nicht wusste, wo er bleiben sollte, baute er sich ein Baumhaus in einem wunderschönen Obstgarten. Andere leben so lange in Zelten. Mit dem Kroaten in seinem Haus gab es in dieser Zeit keinen Streit. Stevan Graovac ist ein bescheidener und geduldiger Mensch. Er wusste, dass er früher oder später in sein eigenes Haus zurückkehren würde.Unterstützt wurde der Serbe von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und von örtlichen Behörden. Ende März war es dann so weit. Stevan Graovac konnte nach drei Jahren zum letzten Mal von seinem Baumhaus herabsteigen und zum ersten Mal nach zwölf Jahren wieder sein eigenes Haus betreten. Der bosnische Kroate hatte eine andere Wohnung gefunden. Bei der offiziellen Übergabe, die im Fernsehen übertragen wurde, meinte Stevan Graovac fast schelmisch, "Nach drei Jahren in einem Baumhaus muss ich mich erst einmal wieder daran gewöhnen, in einem Bett zu schlafen. Und die Nächte im Baumhaus werden mir schon irgendwie fehlen". "Die kroatische Regierung hat schon sehr viel getan, um die Rückkehr serbischer Flüchtlinge zu ermöglichen", bestätigt Mildorad Pupovac, Vize-Präsident der Serbischen Unabhängigen Demokratischen Partei, zurzeit Koalitionspartner der Regierung Ivo Sanaders in Zagreb.
Rund 600.000 Serben lebten vor dem Krieg in Kroatien. Die Zahl der Flüchtlinge wird auf rund 300.000 geschätzt. Gerade in den ländlichen Gebieten fällt es den Rückkehrern schwer, wieder Fuß zu fassen. Die Arbeitslosigkeit ist hoch und immer wieder werden Überfälle kroatischer Extremisten auf zurückgekehrte Serben gemeldet.