Türkei

Neue Verhaftungen im Mordfall Hrant Dink

Das Attentat hatte die türkische Öffentlichkeit schockiert.  Nach der Ermordung des prominenten armenischen Journalisten Hrant Dink am 19. Januar protestierten in Istanbul hunderttausend Menschen mit einem eindrucksvollen Schweigemarsch. Die Behörden kamen dem Druck der Straße nach und ermittelten schnell den Täter: Ögün Samast, ein 17-jähriger, arbeitsloser Jugendlicher aus dem ultranationalistischen Spektrum der Provinzhauptstadt Trabzon an der Schwarzmeerküste.


Der ermordete türkisch-armenische Journalist Hrant Dink / Sabine Küper-Büsch, n-ost

Mittlerweile wird immer deutlicher, dass es sich bei dem Täter Samast mehr um ein williges Werkzeug als um einen individuell ideologisch motivierten Killer handelt. Im Hintergrund existiert in Trabzon ein Netzwerk aus Ultranationalisten mit guten Beziehungen zu radikalen Parteien und zur Polizei. In der vergangenen Woche kam es zu weiteren Festnahmen aus dem Umfeld der marginalen, bei Wahlen unter einem Prozent bleibenden "Partei große Einheit" (BBP). Der Lokal-Vorsitzende der BBP aus Trabzon, Yasar Cihan, dessen Sohn Bahadir Cihan und der Vorsitzende der Jugendorganisation der BBP, Mustafa Öztürk, wurden wegen offensichtlicher Falschaussagen in Zusammenhang mit dem Mord festgenommen. Yasar Cihan ließ man am Wochenende wieder frei. Der als Anstifter des 17-Jährigen inhaftierte Yasin Hayal revidierte mittlerweile in Untersuchungshaft seine vorherigen Aussagen und gab zu, dass mehr Personen mit dem Mord in Zusammenhang stehen als er zunächst zugegeben hatte.

Hayal ist wegen eines Sprengstoffanschlages auf ein McDonalds Restaurant im Oktober 2004 vorbestraft. Unmittelbar nach dem Mord an Hrant Dink hatte er gestanden, Ögün Samast beauftragt und ihm die Waffe verschafft zu haben. Hayal versuchte die Tat zunächst als Idee einer kleinen Gruppe mit ihm als Rädelsführer hinzustellen und dementierte jegliche Verbindungen zu Organisationen. Das hatte nicht zuletzt praktische Gründe. Nach dem türkischen Strafrecht erhöht sich das Strafmaß erheblich, wenn es sich um die Tat einer Gruppe handelt, denn dann fällt es unter das Anti-Terror-Gesetz.

Die Gruppe um Ögün Samast wird nun seit Wochen vernommen. Als ihre Treffpunkte gelten ein Internet-Café im Trabzoner Bezirk Pelitli und der örtliche Fußballverein Pelitli-Spor. Es stellte sich heraus, dass Yasin Hayal McDonalds mit dem Sprengstoffanschlag bestrafen wollte, weil dort im Fastenmonat Ramazan während der Fastenzeit am Tage Essen verkauft wird. Verwunderlicher als diese Tatsache ist, dass Hayal zwar 2005 wegen des Sprengstoffanschlags zu sechs Jahren Haft verurteilt, aber nach elf Monaten bereits wieder auf freien Fuß gesetzt wurde.

Die ultranationalistische Szene Trabzons wurde bereits vor dem Dink-Attentat durch einen anderen Mord bekannt: Ein Jugendlicher aus dem Spektrum erschoss im Zuge der Krise um die dänischen Mohammed-Karikaturen in Trabzon den katholischen Priester Andrea Santoro.

Unverkennbar ist, dass es enge Verbindungen zwischen den Ultranationalisten und Polizeistellen in Trabzon gibt. Nach der Verhaftung des Dink-Attentäters Samast wurde türkischen Medien ein Video zugespielt, auf dem der Mörder von Polizisten gefeiert und vor einer türkischen Fahne platziert wird. Inzwischen ist bekannt, dass halb Trabzon und die Zentrale des türkischen Polizeiapparates von dem Komplott gegen Hrant Dink informiert waren. Die nach Trabzon entsandten Inspekteure der Regierung, die sich gezielt nicht des Polizeiapparates bedienten, entdeckten, dass siebzehn Warnungen bezüglich des Mordkomplotts bei der Polizei von Trabzon eingingen. Diese wurden an die Geheimdienstabteilung der obersten Polizeibehörde in Ankara weitergeleitet, die ihrerseits nur eine einzige der Warnungen der betroffenen Behörde Istanbul mitteilte. Diese unternahm gar nichts.

Hrant Dinks Sohn Arat drückte nach der Ermordung seines Vaters aus, was viele dachten,  ein "paar Hirnlose" konnten einen Menschen für Zeitungsartikel töten, die sie niemals gelesen hatten. Nach der Tat fühlten sich kritische, türkische Intellektuelle nicht mehr sicher in ihrem Land. Der Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk etwa reiste überstürzt in die USA aus.


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