Tschechien

Stalins und Castros Geliebte

Prag (n-ost) - Im Automuseum des mährischen Ortes Koprivnice zieht die goldene Limousine Tatra 700 alle Blicke auf sich. Sie weckt Erinnerungen an die goldenen Zeiten der Marke, an den Glamour der Blondinen und die schwarzen Smokings der Gentlemen, die sie einstmals fuhren. Tatra ist der Pechvogel unter den großen Automarken. Hervorgegangen aus einer deutsch-tschechischen Zusammenarbeit, geliebt von den mächtigsten Männern der Welt,  und dennoch zum Untergang verurteilt - das ist die Kurzfassung der Geschichte des einstiges Autowunders Tatra.Porsche war nicht der ersteBegonnen hat diese Geschichte bereits 1850 im nordostmährischen Nesselsdorf, wie  Koprivnice zur Zeit des österreichisch-ungarischen Kaiserreiches hieß. Damals gründete der Wagenbauer Ignaz Schustala die "Nesselsdorfer Wagenfabrik", die Wagen und Kutschen an Staatsoberhäupter in ganz Europa und Übersee lieferte. Ab 1897 wurde aus der Wagenfabrik die drittälteste Autofabrik der Welt, nach Daimler-Benz und Peugeot. Die erste Limousine, "der Präsident" fuhr mit einem Carl-Benz-Motor 1898 in 14 Stunden bis nach Wien. Die technischen Erfolge der Nesselsdorfer Autobauer sind eng mit dem Namen Hans Ledwinka verbunden, der ab 1899 mit der Serienfertigung von Automobilen beginnt.Zu direkten Konkurrenten der Nesselsdorfer Wagenbau-Fabriks Gesellschaft werden die Skoda-Werke in Mlada Boleslav bei Prag. Unter den beiden Kosntrukteuren Václav Laurin und Václav Klement bringt Skoda, das mit dem Bau von Motorrädern bekannt wurde, ab 1905 das erste eigene Automobil auf den Markt.Ein Automobil leisten konnten sich damals nur wenige Tschechen. Trotzdem ging das Rennen um das beste Vehikel des Landes weiter. 1920, nach der Gründung der Ersten Tschechoslowakischen Republik, konstruierte Ledwinka in Nesselsdorf einen luftgekühlten Motor. Das Auto benannte man nach dem slowakischen Gebirge Tatra, in dem die Neuschöpfung getestet wurde.
Der Tatra T600, der Stalin zum 70. Geburtstag geschenkt wurde. Foto: Timo VogtTatra ähnelte dem KäferEng mit Ledwinka arbeitete damals Ferdinand Porsche zusammen, der 1875 unweit von Nesselsdorf, im mährischen Maffersdorf, geboren wurde. Porsche räumte später in einem Interview ein, dem Konstrukteur Ledwinka über die Schulter geschaut zu haben. Auch  Autoexperten wie Michal Beránek von der Firma Škoda Transportation s.r.o. und Antonín Šípek vom Verband der tschechischen Automobilindustrie  (VTA) betonen die große Nähe von Porsche und Ledwinka. "Beide Autokonstrukteure bevorzugten Autos mit luftgekühlten  Motoren im hinteren Teil des Wagens."1931 gründete Porsche in Stuttgart sein eigenes Konstruktionsbüro, in dem er neben Porsche noch ein anderes Fahrzeug, den Volkswagen, entwarf. "Die Konstruktion und der Motor von Ledwinkas Tatra V 570 von 1933 ähnelten auffällig dem VW-Käfer von Porsche", sagt Šípek.Der Tatra war mit seinem Design, seiner Aerodynamik und seiner leichter Konstruktion seiner Zeit so weit voraus, dass ihn amerikanische Filmproduzenten in einem ihrer ersten Science Fiction -Filme in den USA einsetzten. Während Ferdinand Porsche in Deutschland weiterhin ungestört an der Entwicklung des Volkswagens arbeiten konnte, überfiel Hitler 1939 die Tschechoslowakei. Im selben Jahr wurde der Tatra 97 im Autosalon in Berlin präsentiert. "Zuerst begeisterte das tschechische Fahrzeug den Führer. Dann erkannte er, dass der brillant konstruierte Personenwagen dem Volkswagen Konkurrenz machen könnte und verbot seine Produktion im Protektorat", sagt der Tatra-Besitzer Beránek. Die Tatra-Fabrik nutze Hitler für Kriegszwecke. Anstelle von Personenwagen ließ er in der besetzten Tschechei den offenen Armeewagen Tatra 57 K produzieren. "K" stand für seinen deutschen Namen "Kübelwagen"."Man erzählt sich, dass die Produktionsdokumentation des Tatra kurz vor Kriegsende nach Deutschland kam", vermutet Beránek. Šípek bekräftigt Beráneks Vermutung: "Immerhin bezahlte VW den Tatra-Werken nach dem Krieg eine große Geldsumme für die Nutzung ihres Know-hows."Havel von Tatra aus bespitzeltNach der sozialistischen Revolution in der Tschechoslowakei 1947 wurden die Autowerke Škoda und Tatra verstaatlicht. Tatra begeisterte auch danach mit seinen Autos die Mächtigen der Welt. Das viersitzige Luxuskabriolett Tatraplan T600K schenkte man 1949 Stalin zu seinem 70. Geburtstag. Das Tatra-Modell T 87 wurde vom amerikanischen "Klassenfeind", dem  Literaturnobelpreisträger John Steinbeck, gefahren.Trotz des Welterfolgs der Marke Tatra bevorzugte die tschechoslowakische Nomenklatura den damals konstruktionsschwächeren Škoda als Automarke Nummers eins. "Tatra Koprivnice sollte sich vor allem auf die LKW-Produktion konzentrieren. Vielleicht auch deshalb, weil der Tatra-PKW mit dem russischen Wolga konkurrierte", vermutet Beránek. Der Tatra-Konstrukteur Julius Mackerle wollte sich mit dem Verbot der PKW-Produktion nicht abfinden. Sein Team bastelte heimlich am Modell T 603 und hoffte auf ein Wunder. Nach Stalins Tod konnte 1956 mit der Produktion des schwarzen T 603 begonnen werden. Fidel Castro fuhr auf Kuba eine weiße Version mit Klimaanlage. Ein schwarzes Auto hätte sich in der kubanischen Sonne zu sehr aufgeheizt, und die weiße Limousine verlieh dem kubanischen Staatschef einen Hauch von Einzigartigkeit. Auch in der Tschechoslowakei wurde der Tatra zur noblen Regierungsmarke - seit dieser Zeit klebt das Image einer Kommunistenlimousine an der Marke."Nach der Wende wollte Tatra Koprivnice dem frisch gewählten Präsidenten Havel angeblich das einzige goldene Unikat, einen Tatra 700, schenken", erinnert sich Beránek. "Havel entschied sich allerdings lieber für einen Mercedes", schüttelt der Autoexperte den Kopf. Er kann nicht verstehen, warum sich Havel im Gegensatz zu allen westlichen Staatsmännern nicht für die hauseigene Automarke entschied. "Angeblich wurde er aus einem Tatra heraus von der Staatssicherheit bespitzelt", begründet der 43-jährige Konstrukteur Havels Entscheidung.Auch ansonsten brachen für das schwarze Konstruktionswunder schlechte Zeiten an: "Im Unterschied zu Škoda fanden die Tatra-Werke in Koprivnice keinen innovationstüchtigen Investor. Auch das nicht funktionierende Servicenetz trug zum Niedergang der Marke bei", kommentiert Tatra-Besitzer Beránek. "Ich persönlich sammle schon jetzt die Ersatzteile für die Zukunft. Dennoch freuen wir uns alle, dass die Marke wenigstens als LKW Tatra überleben wird" hofft der Ingenieur.1998 endete die Produktion von Tatra-PKW. Dagegen feiern die in Koprivnice hergestellten LKW weltweit Erfolge. Mehrfach gewannen Tatra-LKW in den vergangenen Jahren in ihrer Klasse die Rallye Paris-Dakar. Die Tatra-Geschichte - noch ist sie also nicht zu Ende.*** Ende ***
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