Protestfilm gegen Lukaschenko
Kiew (n-ost) - Genau ein Jahr nach den Protesten gegen Wahlmanipulationen und das Regime Lukaschenko in Weißrussland hat der bekannte weißrussische Dokumentarregisseur Juri Chaschewatzkij den damaligen Demonstranten ein filmisches Denkmal gesetzt: Der Film „Der Platz“ wurde zum Teil mit versteckter Kamera bei den Protestaktionen zwischen dem 20. und 25. März 2006 in Minsk aufgenommen. Chaschewatzkij ist in seiner Heimat einem Berufsverbot ausgesetzt. Bekannt wurde er mit dem Film „Ein gewöhnlicher Präsident“, der 1997 den Friedenspreis der Berlinale gewann. n-ost-Korrespondentin Tatjana Montik sprach mit ihm im ukrainischen Kiew.
Zeltlager der Protestierenden auf dem Oktoberplatz in Minsk, März 2006. Foto: Tatjana MontikFrage: Wann hatten Sie die Idee zu diesem Film?Chaschewatzkij: Die Idee hatte ich schon lange, seit Lukaschenkos Amtsübernahme 1994. Doch als ich im Jahr 2004 sah, wie die Parlamentswahlen in unserem Land gefälscht wurden, verstand ich: Unsere Machthaber sind jetzt völlig respektlos geworden, sie können beliebige Zahlen als Wahlergebnisse angeben.
Frage: Welche Bedeutung hat der Titel des Films?Chaschewatzkij: ‚Der Platz’ – das ist das Symbol für den Kampf, das Symbol für den Widerstand. Jedes Volk, jedes Land hat in seiner Geschichte mindestens einmal seinen „Platz“ gehabt, auf dem es für seine Freiheit gekämpft hat.
Regisseur Juri Chaschewatzkij. Foto: Tatjana MontikFrage: Wie lässt sich solch ein regimekritischer Film in ihrer Heimat Weißrussland zeigen?Chaschewatzkij: Dieser Film wird bereits bei uns gezeigt, selbstverständlich illegal. Kopien des Films werden eigenständig vervielfältigt und an Bekannte weitergegeben. Zentralisiert gab es zwei Initiativgruppen, die etwa 50 000 Kopien gemacht haben. Außerdem ist der Film bereits in die skandinavischen und baltischen Länder verkauft, in Deutschland wird derzeit noch verhandelt. Filmvorführungen haben bereits in Paris, New York, Tallin, Vilnius, Brüssel, Antwerpen und Warschau stattgefunden. Einige Vorführungen fanden statt, ohne das ich von ihnen erfahren habe.
Frage: Es ist bestimmt gefährlich, in Ihrem Land einen Film wie diesen zu drehen. Fürchten Sie um Ihre persönliche Sicherheit?Chaschewatzkij: Es stimmt, einen solchen Film zu produzieren ist in unserem Land gefährlich. Ist der Film aber schon fertig, ist es für das Regime nicht mehr von Vorteil, mir etwas anzutun, denn dann wird sofort klar: Chaschewatzkij wird wegen seines neuen Filmes drangsaliert. Natürlich können sie mir in der Zukunft Probleme bereiten, mir das Leben schwer machen, mich in einer dunklen Sackgasse zusammenschlagen. Aber ich bin von unserem Staat nicht mehr abhängig. Meinen Arbeitsplatz kann ich nicht verlieren, weil ich im Gegensatz zu den meisten meiner Mitbürger nicht für diesen Staat arbeiten muss. Frage: Warum ist aus der weißrussischen Revolution keine Revolution wie die in der Ukraine geworden?Chaschewatzkij: Wir in Weißrussland leben unter ganz anderen Bedingungen. Die Protestaktionen letztes Jahr haben mich sehr überrascht. Hätten sich die ukrainische Polizei und Armee so aufgeführt wie unsere Polizei und Armee, und wären in der Ukraine die Menschen so eingeschüchtert gewesen wie bei uns, bezweifle ich, dass es in Kiew Proteste wie in Minsk gegeben hätte. Außerdem gab es in der Ukraine bereits vor der Revolution freie Massenmedien, bei uns ist das leider schon lange nicht mehr der Fall.
Frage: Haben die Proteste letztes Jahr etwas in der weißrussischen Gesellschaft verändert?Chaschewatzkij: Natürlich. Die jungen Menschen werden bei uns angesehen wie richtige Helden. Diejenigen, die es damals nicht gewagt haben auf den Platz zu gehen, haben jetzt das Gefühl etwas versäumt zu haben. Viele Menschen haben erst nach diesen Ereignissen eingesehen, dass man gegen dieses Regime etwas unternehmen sollte.
Frage: Welcher Kerngedanke steckt hinter ihrem Film?Chaschewatzkij: Ein freier Mensch ist viel mehr als einfach ein Mensch – das ist der wichtigste Gedanke dieses Films. Ein freier Mensch ist nur ein solcher, der keine Ignoranz, keine Lügen, keine Gewalt, keine Ungerechtigkeit und keine Unterdrückung seiner Mitmenschen duldet. Ist man frei, will man für alle frei sein.
Frage: Haben Sie vor, eine Gesamtdokumentation der weißrussischen Diktatur zu machen?Chaschewatzkij: Das tue ich doch gerade. Mein Film „Ein gewöhnlicher Präsident“ war der erste Teil, dieser Film jetzt ist der zweite Teil des Projekts. Als nächstes träume ich davon, einen Film mit dem Titel „Ein einfaches Ende“ zu drehen. *** Ende ***--------------------------------------------------------------------------------------------------
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